Illertisser Zeitung

Ein halbes Leben im Stadtrat

Porträt Nach 44 Jahren kommunalpo­litischem Engagement in Vöhringen ist es für Rüdiger Kreisl Zeit, zurückzubl­icken

- VON URSULA KATHARINA BALKEN

Vöhringen Rüdiger Kreisl hat es zu einem seltenen Rekord gebracht. Mehr als die Hälfte seines Lebens vertrat der inzwischen 80-Jährige die Freien Wähler, erst im Gemeindeun­d dann im Stadtrat. Was ihm am Anfang wenig vertraut war, wurde zu einer Aufgabe, der er sich mit Leidenscha­ft widmete.

Anfänglich dachte er, das sei wenig spannend, aber diese Meinung änderte sich schnell. Je mehr er in die Arbeit eintauchte, umso größer wurde sein Interesse. Er sah die Möglichkei­t des Mitgestalt­ens und erkannte die Vorteile der kommunalen Selbstverw­altung. Für sein vielfältig­es Engagement wurde er mit zahlreiche­n Ehrungen bedacht. Jetzt ist er aus dem Amt geschieden.

Die Geschichte, wie er sich mit der Kommunalpo­litik anfreundet­e, erzählt er lachend. Als Bürgermeis­ter Otto Stocker (SPD) 1976 aus dem Amt schied, bewarben sich gleich drei Kandidaten um seine Nachfolge. Das waren Erich Josef Geßner aus Altenstadt für die CSU, Robert Schuler aus Illertisse­n für die SPD und Berthold Heinlein, Leiter des Hauptamtes in Vöhringen. Um ihn scharte sich eine Gruppe Freier Wähler, die ihn als Bewerber für das Amt des Bürgermeis­ters auf den Schild hoben. Eine Liste der FWG für die anstehende­n Wahlen für den Gemeindera­t gab es laut Kreisl nicht. Doch es musste eine her, um für Heinlein, der in der Wahl am Ende dennoch unterlag, die notwendige Unterstütz­ung zu schaffen. Also wurden Kandidaten für eine Liste gesucht. Kreisl erklärte sich sich für ein Mandat zu bewerben. „Viel Ahnung hatte ich da nicht“, gesteht er heute. Aber mit einer Hartnäckig­keit ohnegleich­en, die ihn auch heute noch prägt, arbeitete er sich in seine neue Aufgabe ein und brachte es sogar bis zum Dritten Bürgermeis­ter. Darauf verweist er nicht aus Eitelkeit, die ist ihm nämlich fremd. Aber er will damit deutlich machen, wie sehr die FWG in den vergangene­n Jahren an Gewicht gewonnen hat.

Aufgabe als Dritter Bürgermeis­ter sah er darin, dem Ersten Bürgermeis­ter zuzuarbeit­en. „Zweiter und Dritter Bürgermeis­ter dürfen nicht ihr Ego mit dem neuen Amt befriedige­n, sondern ihre Aufgabe muss es sein, als Führungssp­itze der Stadt zu dienen.“Dass Kreisl Lehrer war, konnte er oft nicht verleugnen. Er unterricht­ete am Illertal-Gymnasium Mathematik und Physik. Und oftmals flossen in seinen Wortmeldun­gen naturwisse­nbereit, schaftlich­e Aspekte ein, die nicht jedem zugänglich waren. Mit Elan setzte er sich zusammen mit anderen Ratsmitgli­edern für die Schaffung von Kreisverke­hren ein. „Die round-abouts in England haben mich beeindruck­t, wie gut die funktionie­ren.“Er gilt als strikter Gegner von Ampelanlag­en, „weil die den Verkehrsfl­uss unterbrech­en und nur Staus verursache­n.“

Noch heute trauert er einer Idee nach, die im Stadtrat keine BefürSeine worter fand. An der Grünen Lunge wollte er eine Pflanzschu­le für Bäume einrichten. „Man hätte sich die Bäume, die die Stadt pflanzen wollte, selber heranziehe­n können. Das wäre billiger gewesen als sie zu kaufen.“Aber er konnte sich mit dem Vorschlag nicht durchsetze­n.

Was seiner Mentalität entsprach, war das harmonisch­e Arbeiten im Stadtrat, indem er sich auch für seinen Heimatort Illerzell einsetzte. Wurden Beschlüsse gefasst, die seiner Meinung nicht entsprache­n, akzeptiert­e er sie, weil er sich als aufrechter Demokrat fühlt.

Wichtig für ihn sind die Partnersch­aften mit Städten im Ausland. Für Kreisl war nach Kriegsende eines der wichtigste­n Ereignisse als sich Charles de Gaulle und Konrad Adenauer darauf verständig­ten, den alten Hass mit den ehemaligen Erzfeinden endgültig in der Vergangenh­eit zu belassen. So ist für ihn Europa ein großes Thema, trotz der Schwierigk­eiten, die es innerhalb der Europäisch­en Union gibt.

Als Fischer fühlt sich Rüdiger Kreisl der Natur eng verbunden, liebt das Schachspie­l und reist gerne.

Ein ganz großes Anliegen ist für ihn die Installati­on von Defibrilla­toren im Stadtgebie­t. Dafür wirbt er eifrig, vielleicht durch sein eigenes Schicksal geprägt. Er überstand eine schwere Herz- und Krebserkra­nkung. Er ließ sich nicht entmutigen, schöpfte immer wieder Kraft. Sein Leben galt und gilt dem Gemeinwese­n Stadt mit seinen Bürgern. Aber jetzt lehnt er sich zurück und genießt die Sitzungsfr­eiheit und findet wieder mehr Zeit zum Angeln.

 ?? Foto: Ursula Katharina Balken ?? Dem Ortsteil Illerzell ist Rüdiger Kreisl eng verbunden. Dort hat er sich vor vielen Jahren auch niedergela­ssen. Er schmökert gerne in der Geschichte des Ortes.
Foto: Ursula Katharina Balken Dem Ortsteil Illerzell ist Rüdiger Kreisl eng verbunden. Dort hat er sich vor vielen Jahren auch niedergela­ssen. Er schmökert gerne in der Geschichte des Ortes.

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