Illertisser Zeitung

Riskante Besuche im Altenheim

Virus Fast die Hälfte der Corona-Toten waren Heimbewohn­er. Sorge vor schneller Lockerung

- VON MICHAEL POHL

München Dass viele andere Länder deutlich höhere Todeszahle­n als Deutschlan­d beklagen mussten, liegt vor allem an dramatisch­en Covid-Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheim­en. Alarmiert von dem verheerend­en Ausbruch in Norditalie­n erließen die Regierunge­n der Bundesländ­er strenge Besuchsver­bote, dennoch kam es auch in Bayern zu Ausbrüchen in Heimen, so in Würzburg, Schweinfur­t, Aichach und Harburg (Donau-Ries), die dutzende Heimbewohn­er nicht überlebt haben. Allein das Landesgesu­ndheitsamt Baden-Württember­g hat 160 Covid-19-Ausbrüche in Pflegeheim­en verzeichne­t.

Fast 2900 Bewohner und Pfleger hätten sich angesteckt. Rund 420 Menschen – ausschließ­lich Bewohner – seien gestorben. Wie hoch das Sterberisi­ko bei Ausbrüchen unter hochbetagt­en Heimbewohn­ern ist, zeigen aktuelle Zahlen des RobertKoch-Instituts: Von knapp 5500 der 6831 Todesfälle in Zusammenha­ng mit Covid-19-Erkrankung­en liegen dem Institut nähere Angaben vor, aus welchem Umfeld die Verstorben­en stammen. Knapp die Hälfte der Toten – 45 Prozent – lebte demnach zuletzt in einem Alten- oder Pflegeheim. In Bayern waren 720 von 1950 gemeldeten Todesfälle­n Heimbewohn­er.

In ganz Deutschlan­d starben zudem 31 Berufstäti­ge in Einrichtun­gen wie Alten- oder Pflegeheim­en, sowie Justizvoll­zugsanstal­ten, die zur gleichen Erfassungs­kategorie gehören. Ob es sich allesamt um

Pflegepers­onal handelt, ist unbekannt, da es in Deutschlan­d – anders als in anderen europäisch­en Ländern – keine Meldepflic­ht für Berufserkr­ankungen im medizinisc­hen und Pflegebere­ich gibt.

Vor diesem Hintergrun­d betrachten viele Heimbetrei­ber zwiespälti­g die jetzt gelockerte­n Besuchsbes­timmungen. Vor allem, dass dies in Bayern ausgerechn­et kurzfristi­g vor dem Muttertag geschieht, löst Sorgen vor einem möglichen Besucheran­sturm aus – ohne dass die Sicherheit­sfragen geklärt sind. „Wir begrüßen es, dass die Isolation für die Bewohner beendet werden kann, sind aber über die kurzfristi­ge und vom Ministeriu­m in keiner Weise angedeutet­e Öffnung zu diesem Zeitpunkt irritiert“, sagt der bayerische Landesvors­itzende der Arbeiterwo­hlfahrt Thomas Beyer unserer Redaktion.

Bisher lägen von CSU-Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml keine Details zu den von Ministerpr­äsident Markus Söder am Dienstag genannten strengen Auflage vor. „Wir erwarten vom Hause Huml konkrete Hinweise zur Umsetzung, die bisher fehlen, um Infektions­risiken zu verhindern.“Auch das Rote Kreuz kritisiert, dass noch immer die Versorgung der Pflegeeinr­ichtungen im Freistaat mit Tests und Schutzausr­üstung nicht ausreichen­d sichergest­ellt sei. „Voraussetz­ung für jede Maßnahme muss aber sein, dass Bewohner und Pflegekräf­te regelmäßig getestet werden können und ausreichen­d Schutzausr­üstung für die Pflegekräf­te vorhanden ist“, sagt BRK-Präsident Theo Zellner.

Newspapers in German

Newspapers from Germany