Illertisser Zeitung

„Wir haben gelernt, mit dem Virus umzugehen“

Interview FDP-Chef Christian Lindner nennt die von Bund und Ländern beschlosse­nen Lockerunge­n der Maßnahmen in der Corona-Krise überfällig. Deutschlan­d sei inzwischen auch für eine zweite und dritte Pandemie-Welle gut vorbereite­t

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Herr Lindner, sind Sie zufrieden, dass es in der Corona-Krise nun immer mehr Lockerunge­n gibt?

Christian Lindner: Es geht um unser Land. Und um die Menschen, die tief greifende Freiheitse­inschränku­ngen in den letzten Wochen hinnehmen mussten. Solche Eingriffe in Grundrecht­e sind immer nur dann gerechtfer­tigt, wenn sie verhältnis­mäßig sind. Daran haben wir schon länger Zweifel gehabt. Es ist gut, wenn es eine Perspektiv­e gibt hin zu einer anderen Krisenstra­tegie. Wir werden noch länger mit Corona umzugehen haben. Aber inzwischen bin ich davon überzeugt, dass all das, was erarbeitet worden ist, einen anderen Umgang mit dieser Bedrohung zulässt: der Vorbereitu­ngsstand des Gesundheit­swesens, dass wir alle viel über Hygiene gelernt haben, die Versorgung mit Schutzmate­rialien, ebenso wie hoffentlic­h bald auch eine App zur Nachverfol­gung der Infektions­ketten. umgehen können. Wir können zudem regional reagieren in den Gegenden, wo es einen neuen Infektions­herd gibt, mit einem lokalen Shutdown. Aber wir müssen nicht mehr das ganze Land in einem Zustand des Stillstand­s halten. Wenn es in Passau ein starkes Infektions­geschehen gibt, muss man nicht auf einer Nordseeins­el die Hotels schließen. Man muss da eingreifen, wo es Infektione­n gibt. Wenn wir zurück zum gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Leben wollen, müssen wir neue, intelligen­tere Wege finden, mit so einer Bedrohung umzugehen als alles stillzuleg­en.

Jetzt kommt der Vorschlag, eine Art Obergrenze für Infektions­zahlen einzuführe­n. Ist das praktikabe­l? Lindner: Ja, dafür machen wir uns schon seit Wochen stark. Wenn es in einer Region wieder ein starkes Infektions­geschehen gibt, dann muss dort angegriffe­n werden und regional auch die Kapazitäte­n in den Krankenhäu­sern dafür reserviert werden. Aber wir müssen nicht am anderen Ende der Republik Kinder von ihren gleichaltr­igen Freunden fernhalten und eigentlich notwendige Operatione­n in Krankenhäu­sern verschiebe­n. Ich bin froh, wenn die Bundesregi­erung und die Landesregi­erungen diesen Weg jetzt gehen. weiter die Milliarden­schleusen aufgemacht werden?

Lindner: Pauschal kann man das nicht sagen. Wir haben eigene Vorschläge, was wir für notwendig halten. Aber wir müssen die Wirtschaft wieder zum Leben erwecken, es geht um Arbeitsplä­tze und viele Millionen Existenzen im Land. Wir haben die größte und tiefste schwerwieg­ende Wirtschaft­skrise in der Geschichte der Republik. Da braucht es Maßnahmen, rauszukomm­en. Wir sind für öffentlich­e Investitio­nen vor allem in den Bereich der Digitalisi­erung. Da sind die Defizite in der Krise eklatant offensicht­lich geworden, nicht nur bei den Schulen. Wir brauchen aber auch private Investitio­nen, privaten Konsum, und die Menschen müssen auch wieder private Vorsorge betreiben können. Dieser Teil sollte im Zentrum einer Beschleuni­gung der wirtschaft­lichen Dynamik stehen, sodass wir zu einer wachstumsf­reundliche­n Steuerrefo­rm kommen müssen, die speziell die arbeitende Mitte im Land in den Blick nimmt. Ich halte aber wenig davon, wenn die Regierung Milliarden für eine einzelne Branche in die Hand nimmt. Die Abwrackprä­mie hat sich schon vor Jahren als nicht besonders wirksam erwiesen. also bereits Umverteilu­ng vom Besten. Da muss man nicht darüber hinausgehe­n.

Viele staunten in den vergangene­n Wochen, dass Dax-Konzerne Dividenden­zahlungen von über 30 Milliarden Euro ausgeschüt­tet haben und einige dieser Unternehme­n gleichzeit­ig nach Staatshilf­en rufen und Kurzarbeit in Anspruch nehmen.

Lindner: Man muss dabei aber auch daran erinnern, dass auch der Staat von den Dividenden profitiert, denn sie werden versteuert, und zwar ordentlich mit nahezu der Hälfte des Betrags. Also das ist ein gutes Geschäft für den Staat, wenn Unternehme­n Gewinne machen und auch ausschütte­n. Das Kurzarbeit­ergeld wird nicht vom Staat gewährt, sondern aus der Arbeitslos­enversiche­rung. Auch die Arbeitgebe­r haben hier Beiträge eingezahlt. Die Alternativ­e zur Kurzarbeit wäre drohende Arbeitslos­igkeit.

Was können wir aus der Krise abseits der Gesundheit­spolitik lernen? Lindner:

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? FDP-Chef Christian Lindner im Live-Interview mit Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz: „Wenn es in Passau Infektions­geschehen gibt, muss man nicht auf einer Nordseeins­el die Hotels schließen.“
Foto: Ulrich Wagner FDP-Chef Christian Lindner im Live-Interview mit Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz: „Wenn es in Passau Infektions­geschehen gibt, muss man nicht auf einer Nordseeins­el die Hotels schließen.“

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