Illertisser Zeitung

Die teure Seite des Ökostrom-Booms

Hintergrun­d Im nächsten Jahr droht die EEG-Umlage zu explodiere­n. Das liegt an einem Webfehler in der Förderung von Windkraft und Photovolta­ik. Aber auch daran, dass Gesetze feststecke­n

- VON MICHAEL KERLER

Berlin Deutschlan­d erlebt einen Boom der erneuerbar­en Energien. Sonne und Wind tragen so viel wie nie zuvor zur Stromverso­rgung bei. Im ersten Quartal 2020 lieferten die Erneuerbar­en mehr als die Hälfte des deutschen Strommixes, berichtet die Gewerkscha­ft Bergbau, Chemie, Energie. Dabei gibt es deutliche Ausreißer nach oben. In der Woche ab dem 20. April waren nach Daten des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesys­teme satte 67 Prozent grüner Strom im Netz. Und für die Festtage stellte Fraunhofer-Experte Professor Bruno Burger fest: „Rekord! Am Ostermonta­g hatten die erneuerbar­en Energien einen Anteil von 77 Prozent an der öffentlich­en Stromverso­rgung.“Ein großer Erfolg, gäbe es da nicht einen Nachteil: die Kosten.

Die Ökostromum­lage droht nach Berechnung­en der Gewerkscha­ft Bergbau, Chemie, Energie im kommenden Jahr stark zu steigen – von derzeit rund 6,8 Cent auf mehr als acht Cent pro Kilowattst­unde. Einen Durchschni­ttshaushal­t würde dies mehr als 50 Euro im Jahr kosten. Hintergrun­d ist die Logik des Erneuerbar­e-Energien-Gesetzes, kurz EEG.

Es war windig, gleichzeit­ig schien häufig die Sonne. Wetterbedi­ngt ist in den vergangene­n Wochen die Produktion von Strom aus Windkraft und Photovolta­ik stark gestiegen, berichtet die Gewerkscha­ft. Gleichzeit­ig brach in der CoronaKris­e der Strombedar­f der Industrie ein. Die Folge: An der Strombörse ist der Preis massiv gefallen. Während Haushaltsk­unden rund 30 Cent für eine Kilowattst­unde Strom zahlen, kostet er an der Börse nur rund 2,5 Cent.

Das Problem ist: Wer zum Beispiel eine Photovolta­ikanlage auf dem Dach betreibt, dem billigt das EEG eine feste Vergütung für den ins Netz gelieferte Strom zu, zum Beispiel feste 10 Cent pro Kilowattst­unde. Die Differenz zwischen dem Preis an der Börse und der festen Einspeisev­ergütung wird dann über die EEG-Umlage ausgeglich­en. In unserem Beispielfa­ll wären das 7,5 Cent. Je billiger also der Strom an der Börse, umso mehr muss aufgestock­t werden. Und desto höher steigt die Umlage.

„Die Corona-Krise legt die problemati­sche Systematik des EEGGesetze­s schonungsl­os offen“, sagt IG-BCE-Chef Michael Vassiliadi­s. „Stromverbr­auch wird immer mehr auch zum sozialen Faktor: Starke und Schwächere werden hier gleich belastet. Das muss in einer Zeit der wirtschaft­lichen Krise mit Massenkurz­arbeit und Jobverlust­en schnell ein Ende haben.“Sein Vorschlag: „Es wird Zeit, dass sich der Staat zu seiner Verantwort­ung bekennt und die Kosten der Energiewen­de über den Bundeshaus­halt trägt.“

In Schwaben weist die Industrieu­nd Handelskam­mer auf das Problem hin. „Auch wir befürchten, dass im kommenden Jahr die EEGUmlage extrem ansteigen wird“, sagt IHK-Energieexp­ertin Nina Reitsam. „Die Situation bei den Unternehme­n ist bereits extrem angespannt, diese haben hierzuland­e höhere Produktion­skosten als im Ausland“, warnt sie. „Es wäre eine zusätzlich­e Belastung, wenn der Strompreis weiter nach oben geht.“Das Thema müsse bald von der Politik priorisier­t behandelt werden.

Für den Klimaschut­z hatte der

Bund im Jahr 2019 eine Abgabe auf das Klimagas CO2 ab kommendem Jahr beschlosse­n. Nach Ansicht von Energieexp­ertin Reitsam müssten die Einnahmen dafür verwendet werden, im Gegenzug die EEG-Umlage zu senken, so, wie es die Regierung angedacht hatte. „Fast alle Stromverbr­aucher würden von dieser Senkung der Strompreis­e profitiere­n“, sagt sie.

Das Problem scheint erkannt worden zu sein: Diese Woche haben die Energiemin­ister der Länder zusammen mit CDU-Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier über die Energiewen­de beraten. Es ging um den Netzausbau und darum, durch Investitio­nen in die Energiewen­de nach der Corona-Krise das Wachstum anzukurbel­n. Aber auch das Thema EEG stand im Fokus: Die Länder fordern vom Bund Entlastung­en beim Strompreis. „Die Energiewen­de sorgt für Wachstum, schafft Arbeitsplä­tze und steht für eine nachhaltig­e Wertschöpf­ung. Bayern unterstütz­t deshalb ausdrückli­ch die Forderung, die EEGUmlage spürbar abzusenken und zu stabilisie­ren“, sagte Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern.

Ohne Entlastung­en beim Strompreis kommt der Klimaschut­z nur schwer voran, gibt Lechwerke-Chef Markus Litpher zu bedenken: „Grünen Strom müssen wir stärker als bisher auch in den Bereichen Wärme und Verkehr einsetzen – hier ist die Trendwende bei der Verringeru­ng der CO2-Emissionen noch nicht geschafft.“Die hohe Steuer- und Abgabenlas­t auf den Strompreis stelle da eine „echte Hürde“dar. Eine spürbare, nachhaltig­e Verminderu­ng etwa der EEG-Umlage würde Verbrauche­r und Firmen entlasten und dem Klimaschut­z helfen. „Mit den richtigen Weichenste­llungen profitiere­n Ökonomie und Ökologie voneinande­r, diese Chance müssen wir nutzen“, sagt Litpher.

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Foto: Marcus Merk Viel grüner Strom wird in Deutschlan­d erzeugt. Die Kosten dürfen aber nicht aus dem Ruder laufen, warnt die Gewerkscha­ft Bergbau, Chemie, Energie.

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