Illertisser Zeitung

Chorgesang? Viel zu gefährlich!

Musik Sängerinne­n und Sänger müssten eigentlich mehrere Meter Abstand voneinande­r halten. Wie soll das gehen?

- VON DAGMAR HUB

Landkreis/Ulm Thomas Stang ist Chorleiter und Kirchenmus­iker – und er hielt seinen Beruf stets für einen sehr positiven. In diesen Tagen geht ihm aber so etwas durch den Kopf: „Wer hätte das gedacht, ich arbeite in einem sehr gefährlich­en Beruf. Ich arbeite mit großen Gruppen und ziehe – wenn ich erfolgreic­h bin – viele Menschen an.“Und das ist in Corona-Zeiten eben das Problem.

Eine an Chorleiter und in Musikschul­en verteilte Risikoeins­chätzung vom Freiburger Institut für Musikermed­izin, vom Universitä­tsklinikum und der Hochschule für Musik Freiburg kommt zu dem Schluss, dass es bei Sängern und Sängerinne­n sowie bei Bläsern und Bläserinne­n sinnvoll ist, die Distanzreg­eln auszuweite­n. „Der für die Allgemeinb­evölkerung geltende Abstand von 1,5 bis 2 Metern sollte unserer Meinung nach für die Musikausüb­ung mit anderen Personen durch Vergrößeru­ng auf 3 bis 5 Meter deutlich übererfüll­t werden, um hierdurch das Infektions­risiko zu verringern“, heißt es in der Vorlage.

Chorproben? Konzerte? „Wir müssen irgendwie die Zeit überbrücke­n, bis es einen Impfstoff gibt und man sich gesellscha­ftlich wieder normal verhalten kann“, sagt Thomas Stang. Momentan probt er mit den Sängern der Georgschor­knaben, deren Leiter er ist, online. „Ich höre natürlich, ob beispielsw­eise die Intervalle stimmen, das geht schon. Aber ein Chor ist auch eine Gemeinscha­ft, die gepflegt werden will.“Zwei Mal pro Woche haben die Sänger Online-Unterricht, jeder bei sich zu Hause, und die Komponisti­n Fay Neary hat einen „Harmonic Corona“-Song komponiert, der auf

Weise mit Einzelstim­men zu Hause einstudier­t und aufgenomme­n wird. Danach werden die Stimmen zusammenge­fügt, sodass der Song dann online zu hören sein wird.

Eigentlich wäre Stang am vergangene­n Sonntag mit seinen Sängern aus einer Konzertrei­se durch die Lombardei zurückgeko­mmen, und demnächst wären Auftritte im Kölner Dom und in Brüssel angestande­n – Dinge, die in weite Ferne gerückt sind. „Es ist nicht vorstellba­r, in einem voll besetzten Bus zu reisen, nicht vorstellba­r, in einer dicht besetzten Kirche aufzutrete­n.“Die Zukunft? „Ich sehe momentan eher Möglichkei­ten für Auftritte von Quartetten und Doppelquar­tetten, aber die muss man beim Online-Unterricht erst einmal auf ein Niveau bringen oder auf einem solchen halten, damit solche Auftritte möglich sind.“An der Neu-Ulmer Musikschul­e wartet deren Leiter Matthias Haacke auf weitere politische Entscheidu­ngen. In einigen Bundesländ­iese dern ist Solo-Unterricht an Musikschul­en bereits wieder möglich, in anderen noch nicht. Auch Haacke und die Lehrer der Musikschul­e hatten in den vergangene­n Wochen online unterricht­et. Für Anfänger ist es schwierig, stellte sich heraus, und Ensembles kamen zu kurz, wenn sie nicht aus Geschwiste­rn im gleichen Haushalt bestehen. „Die Öffnung der Musikschul­en verlangt ein Hygienekon­zept, das wir einhalten können“, sagt Haacke. „Wir haben zum Glück große Räume.“Von einer Maskenpfli­cht beim Musikunter­richt hält er wenig. „Und ich halte nichts davon, wenn andere Instrument­e unterricht­et werden dürften, aber Sänger und Bläser keinen Unterricht haben sollten.“Haacke setzt eher auf das Trennen von bisherigen Schülergru­ppen und bei Sängern auf zwei bis drei Meter Abstand. „Das könnten wir gewährleis­ten.“

Oliver Scheffels ist Chorleiter und Kantor an der Neu-Ulmer Petruskirc­he. Sein Konzertpro­gramm ist bis August abgesagt; wie es im Herbst weitergeht, wird er im Sommer entscheide­n, und für seine Chöre hofft er, im Herbst wieder starten zu können. Entscheide­nd ist für ihn die Verantwort­ung gegenüber den Sängerinne­n und Sängern und gegenüber dem Publikum. „Virologen haben herausgefu­nden, dass beim Singen sehr viele Aerosole freigesetz­t werden“, sagt er. Für Chorproben im Petrussaal könnte er maximal den Mindestabs­tand von zwei Metern sicherstel­len, aber nicht den, der für Gesang nötig ist. „Man müsste dann die ganze Probe über Masken tragen, und das ist fast nicht möglich. Zumal die Masken klanglich Auswirkung­en haben.“

Auch wenn die Gottesdien­ste in der Petruskirc­he am Sonntag wieder starten dürfen, so wurde jetzt festgelegt, dass sie nur instrument­al von Orgelmusik begleitet sein werden. „Wir haben jetzt festgelegt, dass es aufgrund des Infektions­risikos besser ist, auf Gemeindege­sang zu verzichten.“Wenn aber eines Tages nach der Entwicklun­g eines Impfstoffe­s wieder ein normales Konzertleb­en möglich sein wird, sagt Scheffels, will er die Entbehrung­en der musikarmen Zeit nachholen. Ein Fest, das er am liebsten mit Bachs h-Moll-Messe beginge.

 ?? Archivfoto: Wilhelm Schmid ?? Lassen sich bei Chören und Orchestern wirklich Abstandsre­geln einhalten? Vor allem bei Chorauftri­tten sollten die Sängerinne­n und Sänger drei bis fünf Meter Distanz zueinander halten. Das geht nicht, sagen Chorleiter. Unser Bild entstand bei der Aufführung des Weihnachts­oratoriums in der Illertisse­r Stadtpfarr­kirche St. Martin.
Archivfoto: Wilhelm Schmid Lassen sich bei Chören und Orchestern wirklich Abstandsre­geln einhalten? Vor allem bei Chorauftri­tten sollten die Sängerinne­n und Sänger drei bis fünf Meter Distanz zueinander halten. Das geht nicht, sagen Chorleiter. Unser Bild entstand bei der Aufführung des Weihnachts­oratoriums in der Illertisse­r Stadtpfarr­kirche St. Martin.

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