Illertisser Zeitung

Ich hatte Angst um meine Puppe

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Alma Lindenthal, Gundelfing­en

An einem Abend Ende April hat es geheißen, der Ami sei schon in Lauingen. Kurz darauf kam ein Panzer an unsere Brenzbrück­e an der Günzburger Straße. Der Bürgermeis­ter hatte ein weißes Tuch in der Hand und besprach mit den Soldaten etwas. Uns Kinder interessie­rte hauptsächl­ich Schokolade, deshalb schaute ich mit unserem Nachbarn, dem Reichherze­r Günther, neugierig zu, was da vor sich ging. Sie sagten, morgen früh kommen die Amerikaner. Wir Kinder freuten uns. In der Nacht wurden wir von einem Nachbarn geweckt. Er sagte, wir sollen weggehen, weil sich in unserem Hof Soldaten eingraben. Meine Mutter, meine

Großmutter und ich packten die Luftschutz­tasche und ein Kissen für mich auf einen Handkarren. Wir fragten die Soldaten, ob wir noch durchlaufe­n dürfen. Sie meinten, wir sollen schnell machen, denn die Sprengladu­ng sei schon an der Brücke angebracht. Wir sind bis zum „Bächinger Keller“, einem Wirtshaus zwischen Gundelfing­en und Bächingen, gelaufen. Dort fragten wir, ob wir im Bierkeller Unterschlu­pf bekommen. In diesem Moment ist unsere Brücke in die Luft geflogen. Es war plötzlich ganz hell und ich hatte Angst um meine Puppe.

Eine Weile später kamen SS Leute und sagten, dass hier der Gefechtsst­and der SS eingericht­et wird. Kurz darauf wurde schon der erste verwundete Soldat hergebrach­t. Der Keller hat insgesamt sechs „Volltreffe­r“bekommen. Mit der Zeit sind immer mehr Verwundete angekommen. Viele haben vor Schmerzen geschrien, manche haben nach ihrer Mama gerufen. Ein alter Mann wollte sich unbedingt eine Zigarette anzünden. Diese kleine Glut veranlasst­e den Gegner, zu schießen. So hat es immer wieder gekracht. Wir Kinder sind immer wieder die Treppe raufgelauf­en und wollten rausschaue­n. Den Reichherze­r Günther hat es dann an die Wand geworfen. Unsere Mütter haben geschrien und wir durften nicht mehr weggehen. Die Erwachsene­n haben gesagt, wenn sich Gundelfing­en nicht ergibt, kommen Flieger. Dann kam ein Soldat und sagte, dass sie keine Munition mehr haben. Ab Nachmittag war Ruhe. Als es Tag wurde, hat meine Oma ihren Wagen genommen, hat ihr Kopftuch an eine Rute gehängt und wir sind Richtung Gundelfing­en gelaufen. Als die ersten Häuser kamen, sahen wir einen toten Soldaten und ein Fahrrad im Graben liegen. Der wollte bestimmt noch weg! Beim Rigel lag der nächste Tote.

Die Toten liegen bei uns auf dem Friedhof. Erst im Alter habe ich begriffen, dass es großteils erst 18-jährige „Buben“waren. Als damals Zehnjährig­e waren es für mich schon richtige Männer.

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