Illertisser Zeitung

Ich war fünf, mir war der Ernst nicht bewusst

-

Ursula Eggert, Mindelheim

Ich war damals fünf Jahre alt und mir bleibt noch alles in sehr guter Erinnerung. In Troppau (Schlesien) wurde ich geboren, mein Großeltern­haus stand in Gablonz an der Neiße. 1945 wurden wir von den Tschechen vertrieben und landeten in einer Straßenbah­n: meine Mutter, meine Omi, mein Bruder Peter mit drei Jahren, mein Bruder Fritz mit einem Jahr und ich mit fünf Jahren. Vater und Großvater waren im Krieg.

Ein Tscheche hat meine Omi gefragt, was sie unter der Schürze trage. „Eine Brotdose“, war ihre Antwort. In Wirklichke­it war es ein großer, runder, silberner Christbaum­ständer, auf dem sich der

Christbaum nach Aufziehen drehte und „Ihr Kinderlein kommet“und „Stille Nacht, heilige Nacht“spielte. Viele Jahre und auch heute noch macht der sich drehende Christbaum mit Musik viel Freude! Nach einer langen Fahrt mit der Straßenbah­n landeten wir in einem Lager; mit zwei Stockbette­n mussten wir auskommen. Nach mehreren Tagen ging es weiter in ein anderes Lager, genannt „Riederloh“in Neugablonz. Dort blieben wir längere Zeit und kamen dann nach Osterzell (Kaltental), hier wurde uns eine Wohnung zugewiesen. Meine Mutter und meine Omi standen mit drei Kindern und ohne Hab und Gut da… Aber uns wurde von zwei Schwestern, die das Haus bewohnten, sehr geholfen. Das Korn auf den Feldern wurde gemäht und wir durften die Reste aufheben und der Bauer hat für uns daraus Mehl gemahlen… Nach Kriegsende kamen mein Vater und Großvater fast verhungert aus dem Krieg. Ich weiß noch, wie mein Großvater auf der Treppe saß und vor lauter Heißhunger etliche Kartoffeln mit Schale verschlang. Wie soll es denn jetzt weitergehe­n? Mein Vater verkaufte Versicheru­ngen an die Bauern, mein Großvater Seife und meine Omi (Modistin) selbst gefertigte Hüte an die Damen des Dorfes.

Mir mit fünf Jahren war der Ernst der Sache gar nicht bewusst. Ich durfte Kühe hüten, Eier aus dem Nest holen und Küken füttern. Die Nachbarn, Sägewerk Hailand, hatten zwölf Kinder und nahmen mich auf wie das 13. Kind. Es war sehr fröhlich in dieser Familie und im Winter durfte ich in der „Stube“immer vorlesen…

Mein Vater war Obmann und Vertrauens­mann der Flüchtling­e und Heimatvert­riebenen. Er hat für die Osterzelle­r eine Sommersonn­wendfeier zustande gebracht. Zu Hunderten kamen die Vertrieben­en aus allen Richtungen und haben im Schein der zum Himmel emporloder­nden Flammen gesungen und gebetet. Der Bischof hielt eine zu Herzen gehende Rede. Wir hatten alles verloren – aber unsere Haltung: Gott sei Dank!

Newspapers in German

Newspapers from Germany