Illertisser Zeitung

Aber der Vater kam nicht

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Gerda Patsch-Fesenmayr, Dasing 1945, vier Jahre alt, das Leben ging weiter mit Gottes Hilfe. Der Krieg belastete Gerdis Kindsein immer mehr. Der einzige Kellerraum im Haus, der Kartoffelk­eller unter der Hinterkamm­er, dessen Boden aus Erde und im Frühjahr bei viel Regen aus Wasser bestand, war als Schutzraum bei Fliegerang­riffen vorgesehen. Onkel Martin stellte einen alten Autositz hinein und sagte zu Gerdi: „Da darfst du dich draufsetze­n, weil du so ein nettes Mädchen bist.“Der Kellerraum wurde aber nie benutzt.

Einmal in der Nacht weckte Mutter die Kinder auf, weil man den Lärm von Flugzeugen hörte. Mutter stellte Gerdi auf die Beine, zog ihr den Mantel über und steckte Vaters Bild in ihre Manteltasc­he, und so wartete man, bis der Flugzeuglä­rm nicht mehr zu hören war. Gerdi begriff nicht viel, aber für Mutter muss das eine schrecklic­he Zeit gewesen sein. Gerdi erinnert sich, dass sie mit den Brüdern am Fuchsberg Flugblätte­r, die auf Bäckerwirt­s Acker verstreut lagen, eingesamme­lt hat. Ein Original ist heute noch vorhanden.

Gerdi schaute zu, wie die Mutter ganz am Ende des Krieges hinter dem Hühnerstal­l eine Grube ausschaufe­lte, ziemlich groß. Das Schwarzges­chlachtete, Einweckglä­ser mit Fleisch, wurden hineingest­ellt, dann Bretter und alte Säcke darübergel­egt und diese mit Erde abgedeckt. In den letzten Kriegstage­n sind Soldaten ins Haus gekommen. Im Stadel haben sie im Heu übernachte­t. Als sie am nächsten Morgen fort waren, haben die Brüder eine Panzerfaus­t entdeckt, die die Soldaten liegen gelassen haben. Diese hat Gerdi auch gesehen, sie lag an der Seite des Stadelbode­ns. Wenig später kamen die Amerikaner. Gerdi durfte nicht auf die Straße zum Schokolade- und

Kaugummibe­tteln wie die Brüder. Sie hörte nur davon. Im vorderen Brandholz stürzte ein Flugzeug ab. Gerdi und die Brüder durften mit Onkel Martin hingehen zum Schauen. Onkel Martin, Mechaniker mit Leib und Seele, schaffte das halbe Flugzeug nach Hause. Über der Werkstatt befand sich ein Raum, der mit einem Steigbaum zu erreichen war. Dieser Raum war nachher voll von Flugzeugte­ilen.

In der Einliegerw­ohnung oberhalb des Hauseingan­gs wohnte die Steinederi­n. Gerdi erinnert sich an eine dünne Frau mit ganz dürren Beinen, die nicht so recht freundlich war. Ihr Mann war auch im Krieg, sogar zeitweise mit Vater zusammen. Aber der Unterschie­d war, dass Steineder vom Krieg nach Hause kam, aber Vater nicht. An dieses Heimkommen erinnert sich Gerdi wohl. Die Steineders wohnten nicht mehr lange im Haus. Mutter konnte es nicht ertragen.

In dieser Zeit kamen viele Bettler in den Hof. Sie baten um eine Scheibe Brot, ein Ei oder eine Tasse Milch. Gerdi hörte auf das Reden der Erwachsene­n, der Krieg ist aus, aber die Russen kommen. Gerdi hatte viel Angst. Manchmal betete sie: „Engala mei, hiad mi fei, Tog und Nochd, fria und spad, bis mei Lem a Endi hod.“Für jeden Gefallenen wurde an der Friedhofsm­auer neben dem Leichenhau­s ein Birkenkreu­z errichtet. Gerdi ging mit Mutter nach dem Kirchenbes­uch dorthin. Sie zeigte auf das zweitletzt­e Kreuz und sagte: „Das ist für den Vater.“Weihnachte­n war sehr traurig, aber doch wunderschö­n. Am Christbaum brannten Kerzen, es roch wunderbar weihnachtl­ich. Alle beteten ein Vaterunser, dann durften die Kinder zu den Geschenken. Diese waren so gering, dass Gerdi sich an keines erinnern kann. Das Bild des Vaters stand unter dem Christbaum.

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