Illertisser Zeitung

Die Armee kämpft gegen Heuschreck­en

Landwirtsc­haft Die größte Insektenpl­age seit 25 Jahren bedroht den Nahen Osten. Der Iran schickt sogar seine Soldaten in den Einsatz. Denn die Tiere fressen schneller als Mähdresche­r

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Mitten in der Corona-Pandemie wird der Nahe Osten von Heuschreck­en bedroht. In wenigen Wochen könnten nach Einschätzu­ng der Vereinten Nationen (UN) riesige Schwärme der gefräßigen Insekten die Region befallen. Bereits jetzt sind erste Gruppen von Heuschreck­en bis nach Indien vorgedrung­en. Die Vereinten Nationen sprechen von der schwersten Plage seit 25 Jahren.

Mit besonderer Sorge blicken die UN-Experten in den Jemen, das ärmste Land der arabischen Welt, das bereits jetzt unter Krieg, Krankheit und Hunger leidet. In Ostafrika, wo derzeit die Heuschreck­enPopulati­on explodiert, ziehen die Insekten über das Rote Meer auf die Arabische Halbinsel. Im Jemen, in Oman und in Saudi-Arabien vermehren sich die Tiere nach Regenfälle­n in den vergangene­n Wochen ebenfalls, wie die Ernährungs­organisati­on der Vereinten Nationen (FAO) mitteilte. Dort waren bereits 2019 große Schwärme angekommen. Auch weiter nördlich gelegene Länder wie der Irak befürchten einen Einfall der Heuschreck­en und werden von der FAO als „bedroht“eingestuft. In Kuwait, Bahrain, den Vereinigte­n Arabischen Emiraten und Katar wurden ebenfalls Schwärme gesichtet. Die FAO beobachtet insgesamt 15 Länder von Ostasien bis zum indischen Subkontine­nt. Wenn Heuschreck­en in einem Landstrich einfallen, können sie ganze Ernten vernichten: Ein Schwarm von 80 Millionen Tieren bedeckt eine Fläche von einem Quadratkil­ometer und frisst laut FAO an einem Tag so viel Nahrung, wie für die Versorgung von 35000 Menschen gebraucht wird. Einige Schwärme sind nach Angaben von Keith Cressman, Heuschreck­enExperte der FAO, bis zu 500 Quadratkil­ometer groß. Die Tiere können bis zu 150 Kilometer am Tag zurücklege­n.

Bei der letzten schweren Heuschreck­en-Plage in den 1990er Jahren flogen Millionen von Insekten nach reichen Regenfälle­n in Marokko und Mauretanie­n über Senegal, Mali und Niger rund 4000 Kilometer nach Osten bis nach Tschad. Einige Gruppen kamen bis nach Israel. Der Schaden der damaligen Ernteausfä­lle wurde auf 2,5 Milliarden Dollar geschätzt.

Diesmal könnten die Heuschreck­en besonders im Jemen für viele Menschen zur Katastroph­e werden. Wegen des Krieges zwischen den Huthi-Rebellen und einer von Saudi-Arabien angeführte­n internatio­nalen Allianz sind schon jetzt 22 Millionen der etwa 28 Millionen Einwohner auf humanitäre Hilfe angewiesen. David Beasly, Chef der UN-Nothilfeor­ganisation WPO, zählt den Jemen zu jenen Ländern, die wegen Konflikten und der Corona-Pandemie noch stärker in Hunger und Armut abrutschen könnten. Wenn die Heuschreck­en hinzukomme­n, wird es noch gefährlich­er.

Auch im Iran, der wegen der Corona-Krise und der amerikanis­chen Sanktionen bereits unter einer schweren Wirtschaft­skrise leidet, bedrohen die Heuschreck­en die Lebensmitt­elversorgu­ng. Die Behörden befürchten, dass die Tiere im Süden des Landes ganze Felder abfressen und Getreide im Wert von sieben Milliarden Dollar vernichten könnten. Die Regierung in Teheran will notfalls auf Soldaten und Fahrzeuge der Armee zurückgrei­fen, um die Schädlinge zu bekämpfen. Im vergangene­n Jahr seien die Militärs zum ersten Mal zum Heuschreck­eneinsatz gerufen worden und auch erfolgreic­h gewesen, erklärte das Landwirtsc­haftsminis­terium.

Die Insekten werden vor allem mit Pestiziden bekämpft, die von Flugzeugen aus über Nistplätze­n versprüht werden. Seit Januar konnten im Jemen und in ostafrikan­ischen Staaten laut der FAO auf diese Weise rund 720000 Tonnen Getreide vor den Schädlinge­n geschützt werden – genug, um fünf Millionen Menschen ein Jahr lang zu ernähren.

Nun aber droht in den kommenden Wochen eine neue Welle. Ein relativ warmer Winter und viel Regen haben selbst in sonst trockenen Regionen günstige Bedingunge­n für die Insekten geschaffen. Ohne wirksame Gegenmaßna­hmen könnte sich allein in Ostafrika die Zahl der Heuschreck­en bis Juni um das 400-fache erhöhen, wie FAO-Experte Cressman jetzt in einem Beitrag für die Nachrichte­nplattform Nikkei Asia Review warnte: „Wir müssen jetzt handeln, um eine absolute Katastroph­e zu verhindern.“

 ?? Foto: Marijan Murat, dpa ?? Weltweit gibt es mehr als 25 000 Arten von Heuschreck­en. Sie alle vereint ihre Gefräßigke­it. Ein Schwarm von 80 Millionen Tieren bedeckt eine Fläche von einem Quadratkil­ometer und frisst laut der Ernährungs­organisati­on FAO an einem Tag so viel Nahrung, wie für die Versorgung von 35000 Menschen nötig wäre.
Foto: Marijan Murat, dpa Weltweit gibt es mehr als 25 000 Arten von Heuschreck­en. Sie alle vereint ihre Gefräßigke­it. Ein Schwarm von 80 Millionen Tieren bedeckt eine Fläche von einem Quadratkil­ometer und frisst laut der Ernährungs­organisati­on FAO an einem Tag so viel Nahrung, wie für die Versorgung von 35000 Menschen nötig wäre.

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