„Die Ärmsten leiden am stärksten“
Hintergrund Anders als befürchtet ist die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten in Afrika zumindest offiziell vergleichsweise gering. Warum der Kontinent trotzdem massiv von den Folgen der Pandemie getroffen wird, und was Experten prophezeien
Augsburg Es ist ja nicht so, dass es an großen Worten fehlen würde. „Ich glaube an Gott, und er hat unsere Gebete erhört“, sagt John Magufuli. Der 60-Jährige ist nicht nur ein strenggläubiger Mensch, sondern auch Präsident des westafrikanischen Landes Tansania. Inmitten der Corona-Pandemie empfahl er seinen Landsleuten, gegen das Virus anzubeten. „Corona kann nicht überleben im Leib Christi, es würde verbrennen“, glaubt Magufuli. Die Wirksamkeit seines Rezeptes bescheinigt er sich selbst: Noch nicht einmal 200 Menschen seien in Tansania infiziert. Auch eins seiner Kinder sei positiv getestet worden, nun aber geheilt, nachdem es unter anderem Zitronen und Ingwer gegessen habe. Deshalb wird sich das Land – anders als viele andere afrikanische Staaten – wieder dem Tourismus öffnen. Die Behörden haben die Anweisung erhalten, den Weg freizumachen für Besucher aus aller Welt und deren Devisen.
Tatsächlich gibt es in Afrika, anders als befürchtet, weit weniger Corona-Infizierte und Tote als im Rest der Welt. 84 596 bestätigte Infektionen zählte die Statistik der John-Hopkins-Universität Stand 17. Mai, 2759 Menschen sind gestorben. Weltweit gelten 4731987 Menschen als infiziert, 315496 sind gestorben. Dabei hatten Experten
den Kontinent eine Explosion der Zahlen vorhergesehen – und einen Zusammenbruch nicht nur der fragilen Gesundheitssysteme. So hat etwa Äthiopien mehr Einwohner als Deutschland, aber nur 100 Intensivbetten. In ganz Malawi gibt es nur 50 Ärzte. Zudem mangelt es oft an Desinfektionsmitteln, Seife und Schutzmaterial, es gibt zu wenig medizinisches Personal. Was sind also die Ursache für diese allen widrigen Umständen zum Trotz erfreuliche Entwicklung? Ein Grund für eine zumindest verzögerte Ausbreitung des Coronavirus dürfte die geringere Mobilität in Afrika sein. Während sich das Virus in Europa durch Urlauber rasch über die Landesgrenzen hinweg bewegte, sind weite Teile der afrikanischen Bevölkerung deutlich weniger mobil. Hinzu kommt: In afrikanischen Ländern sind die Gesellschaften im Durchschnitt oft eher jung. In Nigeria etwa sind den Daten des US-Geheimdienstes CIA zufolge nur gut drei Prozent der Bevölkerung 65 Jahre alt oder älter – auch, weil die Lebenserwartung deutlich niedriger ist als in Wohlstandsgesellschaften. Ältere Infizierte und solche mit Vorerkrankungen haben häufiger einen schweren Verlauf von Covid-19. Auch die Erfahrung mit anderen Seuchen wie Ebola, das sich vor einigen Jahren in Westafrika ausgebreitet hatte, dürfte heute helfen: Es gibt Strukturen wie Lagezentren oder Hotlines, die schnell wieder aktiviert werden könnten.
Mit den größten Einfluss dürfte aber ein anderer Faktor haben: Anders als in den reichen Ländern des Nordens stehen in Afrika kaum Tests zur Verfügung. Die tatsächliche Zahl der Infizierten dürfte also schlicht nicht bekannt sein. Kenia etwa testete zuletzt pro Tag rund 1000 Menschen. In Deutschland haben die Labore nach Angaben des Robert- Koch-Instituts Kapazitäten für mehr als 150000 Tests am Tag. „In vielen ländlichen Regionen Afrikas gibt es aber keine Labore, es gibt auch keine Möglichkeit, die Tests in die nächstgrößere Stadt zu transportieren“, sagt Anna Kühne, Epidemiologin bei „Ärzte ohne Grenzen“. Auch ein kritisches Verständnis von guter Regierungsführung führt in einigen Ländern dazu, dass das wahre Ausmaß der Pandemie kaum zu überblicken ist. Statt sich als ehrliche Krisenmanager zu betätigen, täuschen Regierungen nicht nur in Tansania vermeintliche Allheilmittel vor. Jüngst hatte Madagaskar einen „Covid Organics“genannten Gesundheitstrank entwickelt und im Land verteilt. Das auf Basis der heimischen ArtemisPflanze hergestellte Getränk stärke die Immunität, schütze vor zahlreichen Viren und Fieber sowie vor allem vor Lungenkrankheiten, hatte Präsident Andry Rajoelina gesagt. Daraufhin hatte Guinea-Bissau eine Lieferung des Tranks bestellt, und weitere afrikanische Länder wollten folgen.
Doch längst nicht alle Staatschefs in Afrika ignorieren das Problem. Dutzende Länder auf dem Kontifür nent griffen rigoros durch und verhängten Ausgangssperren und andere strenge Maßnahmen, um die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen. „Viele afrikanische Länder haben sogar, als es dort noch gar keine Corona-Fälle gab, Maßnahmen ergriffen, um eine mögliche Ausbreitung einzudämmen“, sagt Anna Kühne. „Das hat vermutlich eine positive Auswirkung gehabt und die Verbreitung ausgebremst.“
In Europa reagierten die Staaten erst, als die Zahl der Kranken bereits eine kritische Marke erreicht hatte. Mit die strengsten Vorgaben machte Südafrika. Über Wochen durften die Menschen am Kap ihre Wohnungen und Häuser nur bei medizinischen Notfällen und Versorgungsengpässen verlassen. Die Regierung erließ ein striktes Verbot des Alkohol- und Tabakverkaufs, Landesgrenzen sind ebenso geschlossen wie Hotels. Trotzdem breitet sich das Virus in den dicht besiedelten Townships aus: Südafrika ist von allen afrikanischen Ländern am stärksten betroffen (15515 Infizierte), es folgen Ägypten (12229 Infizierte) und Algerien (7019 Infizierte). Noch viel stärker als Europa muss das Land am Kap eine Balance finden und sowohl die Krankheitsübertragung ausbremsen als auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen abfedern. Südafrika galt noch vor wenigen Jahren als einer der Hoffnungsträger des Kontinents, sollte als Schwellenland den Sprung in eine bessere Zukunft schaffen. Inzwischen ist die Stimmung von Ernüchterung geprägt: Die häufig mangelhafte Bildung trägt zur hohen Arbeitslosigkeit bei. Immer noch müssen 22 Prozent der Südafrikaner in absoluter Armut leben. Durch den Lockdown dürfte die Zahl der Menschen ohne Einkommen weiter wachsen. Kleinbetriebe wie Restaurants oder Läden, aber auch der Tourismus leiden bereits jetzt und stehen bisweilen vor dem Bankrott. Die Staatsverschuldung Südafrikas steigt seit Jahren kontinuierlich an – die Aussichten sind mehr als düster. In vielen anderen afrikanischen Staaten sieht es nicht viel besser aus. In der Hauptstadt von Sierra Leone, Freetown, ist der Preis für Reis um 32 Prozent gestiegen. Es ist, wie die Hilfsorganisation IRC berichtet, der höchste Anstieg seit fünf Jahren. Von Hilfsprogrammen, wie sie Europa und die USA auflegen, können die Menschen in Afrika nur träumen. Dutzende Staaten haben wegen der Corona-Krise bereits beim IWF Notkredite beantragt. Ghana soll einen Kredit von einer Milliarde US-Dollar (rund 900 Millionen Euro) bekommen, Senegal etwa 440 Millionen Dollar. Geld überweist der Internationale Währungsfonds zudem an Madagaskar, Togo, Gabun und Ruanda. Auch das ölreiche Nigeria hat ein Kreditgesuch eingereicht. In Nordafrika wiederum hat Tunesien bereits einen Kredit erhalten.
Für die Gesellschaften, die etwa wie Südafrika seit dem Ende der Apartheid auf den Aufschwung hofft, wirken die wirtschaftlichen Rückschritte wie sozialer Sprengstoff. Doch kaum ein Experte traut der Regierung zu, die Krise zu meistern. Zu weit sind Korruption und Misswirtschaft verbreitet. „Die Ärmsten leiden am stärksten, denn ihre Einkommensmöglichkeiten gehen sofort verloren“, sagt Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe, unserer Redaktion. „Tagelöhner, Wander- oder Fabrikarbeiter haben nur ihre körperliche Arbeitskraft und verfügen über keinerlei Rücklagen. Sie sind von den Ausgangssperren und Grenzschließungen hart getroffen.“Der Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel treffe sie ebenfalls.
Mogges Sorge: Die Zahl der Hungernden steigt ohnehin seit einigen Jahren wieder an – diese Entwicklung könnte sich nun beschleunigen. „Aktuell leiden mehr als 820 Millionen Menschen an Hunger“, sagt Mogge. „Die Erfolge der vergangenen Jahre drohen zunichtegemacht zu werden.“In der Zentralafrikanischen Republik, dem Jemen, Tschad, in Madagaskar aber auch Simbabwe, Haiti und Afghanistan sei die Ernährungslage besonders schlecht. Es sind verschiedene Gründe, die dazu führen – aber Kriege, Konflikte und die Folgen des Klimawandels spielen überall eine Rolle. „Die Auswirkungen der Corona-Krise wirken wie ein Beschleuniger der ohnehin bestehenden Probleme“, sagt der Generalsekretär der Welthungerhilfe. „Hinzu kommt schlechte Regierungsführung, die sich jetzt besonders negativ auswirkt.“In Burundi etwa habe die Regierung am geplanten Wahltermin mit öffentlichen Massenveranstaltungen festgehalten, in Simbabwe hätten Misswirtschaft und Korruption zu einem maroden Gesundheitssystem geführt.
Auch Anna Kühne von „Ärzte ohne Grenzen“warnt davor, das Problem Corona in Afrika zu unterschätzen. Die örtlichen Gesundheitssysteme könnten schon bei einer relativ geringen Zahl an Infizierten an ihre Grenzen geraten, der Höhepunkt des Ausbruchs dürfte noch bevorstehen. Sie befürchtet zudem: Wenn die Wirtschaftsleistung Europas sinke, könnte auch die Entwicklungshilfe darunter leiden. Denn häufig ist der Anteil dieser Finanzmittel prozentual an das Bruttoinlandsprodukt geknüpft. „Es braucht aber eigentlich mehr Geld“, sagt Kühne. Das fordert auch die Welthungerhilfe. „Die Länder des Südens benötigen jetzt sofort substanzielle Unterstützung für die Anpassung an den Klimawandel und die Folgen der Corona-Krise“, sagt Mathias Mogge. Diese finanziellen Mittel müssen zusätzlich zu den europäischen Rettungsschirmen bereitgestellt werden.
„Die Auswirkungen der Corona-Krise wirken wie ein Beschleuniger der ohnehin bestehenden Probleme.“