Illertisser Zeitung

Der coronierte Mensch schafft eine neue Welt

- VON ERICH PAWLU redaktion@illertisse­r-zeitung.de

Schon eine kurze Umarmung von 20 Sekunden ist gesund. Der Blutdruck sinkt, die Abwehrkräf­te werden gestärkt, sodass sie uns vor gefährlich­en Erregern besser schützen. Diese wissenscha­ftliche Erkenntnis des Psychologe­n Martin Grunwald hätte die aktuellen Krisenmana­ger eigentlich veranlasse­n müssen, uns im Widerstand­skampf gegen Corona die öffentlich­e Liebkosung als vaterländi­sche Pflicht zu verordnen.

Das Gegenteil ist der Fall. Selbst die partnersch­aftliche Zärtlichke­it wurde im Homeoffice-Stress stark reduziert und bei der streng regulierte­n Begegnung mit Freunden hat der Ellbogench­eck den blutdrucks­enkenden, gefühlvoll­en Händedruck verdrängt. Niemand weiß, wie lange uns die Eineinhalb­Meter-Distanz noch zur Unberührth­eit verurteilt.

Sicher ist aber, dass der coronierte Mensch eine ganz neue Welt erschaffen wird. Er hofft, dass der Computer-Befehl „Herunterfa­hren und neu starten“auch für das wirkliche Leben gilt. Aber wenn dieser Zustand noch lange anhält, werden viele gesundheit­sfördernde Berührungs­formen aus der Mode kommen. Dass Goethes Gretchen von Fausts Händedruck schwärmt, ist dann nur noch eine historisch­e Kuriosität. Bald wird mancher Corona-Geschädigt­e dem Schriftste­ller Victor Hugo zustimmen, der im Roman „Der Glöckner von Notre Dame“die Überzeugun­g vertrat, „dass das Leben ohne Zärtlichke­it und ohne Liebe nur ein gefühllose­s, kreischend­es und aufreibend­es Räderwerk sei“.

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