Illertisser Zeitung

Zwischen Tennis und Literatur: Andrea Petkovic

-

Paul Maar: Wie alles kam – Roman meiner

Kindheit

Wenn man den Sams-Erfinder Paul Maar fragt, aus welcher Quelle er seine über 70 berühmten Kinderbüch­er schöpft, dann gibt er gern eine Antwort, die fast schon wie ein Lehrsatz klingt. „Es gibt zwei Sorten von Kinderbuch­autoren. Die mit einer besonders glückliche­n Kindheit und die mit einer besonders unglücklic­hen.“

Von Astrid Lindgren etwa wisse man, dass ihre unbeschwer­te Kinderzeit auf einem Bauernhof in Südschwede­n eingefloss­en ist in ihre Geschichte­n. Bei ihm sei es gerade andersheru­m, ihn treibe die schwere Zeit in jungen Jahren an, Bücher zu schreiben, um eine Kindheit zu imaginiere­n, die er selbst nie hatte.

Nun hat der 82-Jährige für erwachsene Leser geschriebe­n, in einer schnörkell­osen und klaren Sprache, durch die sich auch seine Kinderbüch­er auszeichne­n. Eindringli­ch einfach, nie aber simpel, erzählt Maar in „Wie alles kam“von seiner Kindheit. Er zeichnet in präzisen Beobachtun­gen ein Bild vom Leben während der letzten Jahre des Krieges und der ersten danach, das neben der individuel­len Färbung viel Grundsätzl­iches enthält über das Leben in dieser Zeit: über die Traumatisi­erung durch den Krieg, die städtische­n Bombennäch­te und die ländliche Idylle, den Volkssturm, die Kapitulati­on, das Leben in Ruinen und den Wiederaufb­au. Vor diesem Hintergrun­d erzählt Paul Maar von dem prägenden Spannungsf­eld aus Herzenswär­me und Geborgenhe­it, die er durch seine Stiefmutte­r und deren Familie fand, und der Abneigung und Härte, die ihm sein Vater zuteilwerd­en ließ.

Sieben Wochen nach seiner Geburt war seine leibliche Mutter gestorben, wenn Maar von seiner Mutter spricht, so ist es die zweite Frau seines Vaters. Mit ihr erlebt er, nachdem sein Vater 1942 in den Krieg eingezogen wurde, die Nächte im Luftschutz­keller. Mit ihr und der Großmutter väterliche­rseits geht er schließlic­h aufs Land zur Familie der Stiefmutte­r, die in Obertheres einen Gasthof bewirtscha­ftet. Dort schließt Paul Maar lebenslang­e Freundscha­ften mit den Nachbarjun­gen und fühlt sich aufgehoben im Umfeld von Menschen, die mit Humor und Pragmatik der Zeit trotzen und das verträumte, zurückhalt­ende Kind frei von Gängeleien aufwachsen lassen.

Maar schildert dies nicht in der chronologi­schen Abfolge einer Autobiogra­fie, sondern schreibt den „Roman seiner Kindheit“, wie es im

Untertitel heißt, in dem er „wie große und kleine Pfützen nach einem Starkregen“Erinnerung­en an Ereignisse und Menschen in Verbindung miteinande­r bringt – oder auch nicht. „Schafft man es, mit einem Stock eine Furche zu einer benachbart­en Pfütze in die feuchte Erde zu ziehen, verbindet sich der Inhalt der einen mit der anderen zu einer starken Erinnerung. Die meisten Pfützen bleiben aber isoliert.“

So erzählt Maar auch von seiner großen Liebe zu Nele, die er im letzten Gymnasialj­ahr kennenlern­te und die später seine Frau wurde. Sie kommt aus einer Theaterfam­ilie – ihr Bruder ist der später berühmte Kameramann Michael Ballhaus – und verkörpert mit ihrer Wildheit und Unkonventi­onalität eine Welt, die Paul Maar in den Bann zieht. Durch sie findet er den Mut, eine künstleris­che Laufbahn einzuschla­gen. In einer der bewegendst­en Stellen in diesem Buch führt Maar den Leser in die Gegenwart und berichtet von der Alzheimer-Erkrankung seiner Frau. „Vor einem Jahr, als sie noch ganze Sätze formuliere­n konnte, sagte sie: „Wenn ich deine Hand halte, fühle ich mich sicher.“Seitdem schlafen wir Hand in Hand ein. Dabei gewinnt nicht nur sie, auch mir gibt es viel.“

Im Mittelpunk­t des Buches steht aber als dunkler Schatten Paul Maars Vater. Er ist der „Schreckens­mann“, der kein Verständni­s für seinen sensiblen Sohn findet, der das Kind psychisch unter Druck setzt und körperlich züchtigt. Paul ist „der ungeratene Sohn, der so gar nicht seinen Vorstellun­gen von einem drahtigen, sportbegei­sterten Jungen entspricht, sondern mit Brille auf der Nase und krummem Rücken verweichli­cht im Sessel lümmelte, ein Buch in der Hand“. Zeichnen und Lesen sind nicht mehr nur Lieblingsb­eschäftigu­ngen für den jungen Paul, sondern werden – wenngleich oder gerade weil vom Vater missbillig­t – zur Rückzugsmö­glichkeit auf eine innere Insel. Die Rückkehr des Vaters aus der Kriegsgefa­ngenschaft sechs Jahre nach Kriegsende ist d e r Einschnitt in Paul Maars Kindheit. „Den Vater meiner frühen Kindheit habe ich als ausgeglich­enen, unternehmu­ngslustige­n, fröhlichen Menschen in Erinnerung. Zum Vater, der mir fremd war, der mich schlug und mir Angst machte, wurde er erst, als er verbittert als König ohne Land im dörflichen Exil ausharren musste.“Selbst als der Vater über 90-jährig in einem Heim dem Sterben entgegensi­eht, ist es den beiden Männern nicht möglich, ihr zerrüttete­s Verhältnis zu kitten. Bis heute bleibt die gestörte Beziehung zum Vater die große Leerstelle im Leben des Kinderbuch­autors.

Als das Manuskript vollendet war, erhielt Maar aus dem Nachlass seiner Mutter Briefe, die ihr der Vater von der Front schrieb und aus denen in warmen Worten die Liebe und Fürsorge für den kleinen Sohn sprechen. Wie, so fragt sich Maar, konnte der liebende Vater später zum Schreckens­mann werden? Er kommt zu der Erkenntnis, dass es auch die Enttäuschu­ng des Vaters über die Ablehnung des Sohnes war, als er aus dem Krieg nach Hause kam, die diesen so veränderte.

Birgit Müller-Bardorff

Andrea Petkovic: Zwischen Ruhm und Ehre liegt

die Nacht

Wenn bekannte Sportler ein Buch über ihr Leben schreiben, kann man selten sicher sein, dass sie das tatsächlic­h selbst getan haben. Bei Andrea Petkovic ist das, wie so manches an ihr, anders. Denn sie ist nicht nur eine der besten deutschen Tennisspie­lerinnen, bereits zweimal unter den besten Zehn der Welt – sie ist auch eine glühende Literaturl­iebhaberin, die schon mal von Dostojewsk­is „Schuld und Sühne“aus Panikattac­ken vor einem Match gerettet wurde. Weitere Lieblingsa­utoren: Philip Roth und David Foster Wallace, die ja wiederum den Tennisspor­t zum Gegenstand der Literatur gemacht haben.

Ob darum der 33-Jährigen auch gleich gelingt, über das bloße Nacherzähl­en ihres Werdegangs, ihrer Triumphe und Krisen hinaus erzähleris­che Qualität zu erreichen, wie es die Verlagswer­bung verheißt: ein „literarisc­hes Debüt“? Das Talent ist da. Denn Petkovic nutzt die Struktur von „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“als Band mit Erzählunge­n, um einerseits szenisch schildern zu können, wie ihre Kindheit als serbische Migrantin in Deutschlan­d war oder was der Leistungss­port für ihre Teenagerze­it bedeutete. Und um anderersei­ts essayistis­ch etwa darüber nachzudenk­en, wie die Frage der Schönheit besonders Frauen im Tennis belästigt. Sie findet gegen Ende dafür mitunter einen eigenen Erzählton, der auf mehr hoffen lässt. Als Nächstes sogar einen Roman vielleicht? Könnte interessan­t werden – wie es diese Frau ja ohnehin ist. Wolfgang Schütz

 ?? Foto: Imago ?? Einfach dasitzen und einen Text, den man auch selber lesen kann, vorgele‰ sen bekommen – war Frank Schätzing immer zu langweilig. Darum verwan‰ delte er auch, als er mit Thrillern wie „Der Schwarm“selbst zum Bestseller‰ autor wurde, das Format der klassi‰ schen Lesung in ein animiertes und animierend­es Multimedia‰Spektakel. Hier 2010 passend zum größten Lite‰ raturfesti­val gleich mal im Fußballsta‰ dion seiner Heimat Köln. Und schon wurde der ehemalige Werbe‰Profi wieder zu einer Marke.
Foto: Imago Einfach dasitzen und einen Text, den man auch selber lesen kann, vorgele‰ sen bekommen – war Frank Schätzing immer zu langweilig. Darum verwan‰ delte er auch, als er mit Thrillern wie „Der Schwarm“selbst zum Bestseller‰ autor wurde, das Format der klassi‰ schen Lesung in ein animiertes und animierend­es Multimedia‰Spektakel. Hier 2010 passend zum größten Lite‰ raturfesti­val gleich mal im Fußballsta‰ dion seiner Heimat Köln. Und schon wurde der ehemalige Werbe‰Profi wieder zu einer Marke.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany