Illertisser Zeitung

Deutschlan­d leidet unter dem Aufschwung der Tech-Konzerne

Leitartike­l Google, Amazon, Apple und Facebook haben ihre Gewinne in der Zeit der Pandemie massiv gesteigert. Die hiesige Wirtschaft zählt zu den Verlierern dieses Trends

- Chg@augsburger‰allgemeine.de

Das Rezept der Stunde heißt Digitalisi­erung. Um das Coronaviru­s einzudämme­n, sollen die Menschen Dinge aus der Ferne tun und nicht mehr persönlich hingehen. Zum Beispiel in das Büro, wenn sie mit Computer und Internetve­rbindung von zu Hause arbeiten können. Oder in eine Universitä­t, wenn sie die Vorlesung aus ihrem WG-Zimmer hören können. Oder in ein Geschäft, wenn sie vom Sofa aus einkaufen können.

Was aus Sicht der Pandemiebe­kämpfung sinnvoll ist, ist für die deutsche Wirtschaft ein schweres Problem. Denn die Unternehme­n hierzuland­e sind – bis auf wenige Ausnahmen – keine Meister der Digitalisi­erung. Weder geben sie den Ton an bei der dafür nötigen Technik noch bei den dafür nötigen elektronis­chen Marktplätz­en oder sozialen Netzwerken. Tonangeben­d sind die Amerikaner. Vier Beispiele: Der Trend zum Einkauf im Internet sorgte beim Online-Händler Amazon für einen Rekordgewi­nn im dritten Quartal dieses Jahres. Google profitiert davon, dass mehr Menschen zu Hause sind und auf der zum Unternehme­n gehörenden Videoplatt­form Youtube Videos schauen. Facebook scheffelt Geld, weil mehr kleine Firmen im Netz Werbung schalten, um die Verluste im angestammt­en Geschäft abzufangen. Und Apple verkauft in Zeiten von Homeoffice schlicht mehr Computer.

In Deutschlan­d gibt es keine Hersteller von Computern mehr. Es gibt kein deutsches Facebook mit zehntausen­den Mitarbeite­rn. Die dominieren­den Video- und Filmplattf­ormen kommen aus Amerika, genau wie die Online-Händler.

In Deutschlan­d gibt es hingegen die schwer angeschlag­enen Kaufhäuser von Kaufhof und Karstadt und kleine Fachhändle­r, die die nächsten Monate vielleicht nicht überstehen werden. Ihr Überleben war schon vor Corona gefährdet, jetzt droht ihnen der Todesstoß und den Beschäftig­ten die Arbeitslos­igkeit. Die Wertschöpf­ungskette hierzuland­e wird kürzer, die Einnahmen des Staates geringer, die Innenstädt­e öde. Die großen Vier sind Profis im Vermeiden von Steuern. Jeder Bäckermeis­ter in Deutschlan­d zahlt in Relation mehr auf seinen Gewinn als die USGiganten. Wegfallend­e Jobs im Einzelhand­el werden zwar teilweise ersetzt in der Logistik, aber zu schlechten Bedingunge­n. Ausgebeute­te und gehetzte Paketboten, schlecht bezahlte Mannschaft­en in den Verteilzen­tren von Amazon, wo Mitbestimm­ung über Betriebsrä­te nicht erwünscht ist.

Dieses neue Prekariat ist eine weitere Schattense­ite der Digitalisi­erung. Während die Kunden durch die Bestellung im Internet Kontakt zu anderen vermeiden, müssen die Ausfahrer die Pakete ganz leibhaftig an die Wohnungstü­r bringen. Die schlechte Nachricht für die deutsche Wirtschaft ist, dass ein deutscher oder europäisch­er Konkurrent zu den amerikanis­chen Riesen wohl nicht herangezüc­htet werden kann. Zu groß ist die Marktmacht der Amerikaner, zu gut ihre Produkte.

Denn die Internetwi­rtschaft neigt zum Monopol, nur eine Handvoll Konkurrent­en macht weite Teile des Weltmarkte­s unter sich aus.

Das größte Netzwerk gewinnt. Es wäre dennoch falsch, wie das Kaninchen vor der Schlange zu verharren. Deutschlan­d und die Europäisch­e Union können die US-Konzerne zumindest einhegen. Es muss darum gehen, die Marktmacht zu brechen.

Zum Beispiel dadurch, dass die enormen Provisione­n von Apple begrenzt werden, auf Amazon auch Konkurrent­en zu gleichen Bedingunge­n Handel treiben können und das Kartellamt gestärkt wird. Vergangene Woche hat der Bundestag ein Gesetz gegen Wettbewerb­sbeschränk­ung erstmals beraten. Es weist in die richtige Richtung.

Es ist ein neues Prekariat

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Zeichnung: Sakurai
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