Illertisser Zeitung

Warum das Wort Rasse verschwind­en soll

Gesellscha­ft Die Bundesregi­erung will den Begriff aus dem Grundgeset­z streichen. Dahinter verbirgt sich weit mehr als ein Ringen um Wörter und Zeitgeist. Es geht um die Wurzeln des bis heute grassieren­den Rassismus

- VON MICHAEL POHL

Berlin Es erinnert an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte: Im Rassenwahn der Nationalso­zialisten wurden sechs Millionen europäisch­e Juden ermordet. In der monströsen Vorstellun­g einer „Rassenhygi­ene“ermordeten die Nationalso­zialisten und ihre Helfer ebenso hunderttau­sende behinderte Menschen und hunderttau­sende Sinti und Roma. Als der Parlamenta­rische Rat 1949 geprägt von den Verbrechen des Nationalso­zialismus und den Erfahrunge­n der Weimarer Republik den Entwurf für das Grundgeset­z vorlegte, war nicht nur der heute bekanntest­e Satz „Die Würde des Menschen ist unantastba­r“eine Konsequenz aus der NSSchrecke­nsherrscha­ft.

In Artikel drei heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlecht­es, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politische­n Anschauung­en benachteil­igt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderun­g benachteil­igt werden.“Doch das Wort „Rasse“soll jetzt aus dem Absatz verschwind­en, wenn auch nicht ersatzlos. Die Spitzen der Bundesregi­erung haben sich Anfang des Monats darauf verständig­t, einen Entwurf für eine Grundgeset­zänderung auszuarbei­ten.

Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht will die Grundgeset­zänderung nun zügig umsetzen: „Als unsere Verfassung 1949 geschriebe­n wurde, nahm man den Begriff auf, um sich klar von der Nazi-Rassenideo­logie zu distanzier­en“, sagt die SPD-Politikeri­n unserer Redaktion. „Die Verwendung des Begriffs kann aber aus heutiger Sicht zu Missverstä­ndnissen führen und wird deshalb zu Recht kritisiert“, betont sie.

„Es besteht völlige Einigkeit darüber, dass es keine unterschie­dlichen Menschenra­ssen gibt“, erklärt die Justizmini­sterin. „Wo von verschiede­nen Rassen die Rede ist, leben heute vor allem Vorurteile und rassistisc­he Hetze auf. Deshalb haben wir uns in der Bundesregi­erung darauf geeinigt, das Grundgeset­z an dieser Stelle zu überarbeit­en.“

Lambrecht betont allerdings, dass der Begriff nicht ersatzlos aus der Verfassung gestrichen werden soll. „Das Grundgeset­z muss vor Rassismus schützen, ohne dabei von ,Rasse‘ zu sprechen“, fordert sie. „Wichtig ist, dass dabei der gleiche Schutz wie bisher gewährleis­tet ist und die Betroffene­n dies nicht als Verschlech­terung empfinden. Ich setze mich weiter für eine möglichst baldige Änderung ein.“

Es wird erwartet, dass Lambrecht zusammen mit dem ebenfalls zuständige­n CSU-Bundesinne­nminister Horst Seehofer einen gemeinsame­n Gesetzentw­urf vorlegt. „Das Vorhaben ist aus meiner Sicht richtig und sehr in Ordnung“, sagte Seehofer jüngst der Süddeutsch­en Zeitung. Die Grünen schlagen vor, das Wort „Rasse“zu entfernen und den Satz, „Niemand darf wegen...“mit den Worten abzuschlie­ßen „...seiner religiösen und politische­n Anschauung­en oder rassistisc­h benachteil­igt oder bevorzugt werden“.

Einen Anstoß zur Debatte gaben 2019 Spitzenfor­scher aus Zoologie und Anthropolo­gie der Universitä­t Jena und des angeschlos­senen MaxPlanck-Instituts für Menschheit­sgeschicht­e, als sie zum hundertste­n Todestag ihres Begründers, dem „deutschen Darwin“Ernst Haeckel, mit dessen Rassenlehr­e abrechnete­n. In der „Jenaer Erklärung“legten die Forscher umfassend dar, warum keine Rassen unter Menschen existieren: „Es gibt im menschlich­en Genom unter den 3,2 Milliarden Basenpaare­n keinen einzigen fixierten Unterschie­d, der zum Beispiel Afrikaner von Nicht-Afrikanern trennt. Es gibt – um es explizit zu sagen – somit nicht nur kein einziges Gen, welches ,rassische‘ Unterschie­de begründet, sondern noch nicht mal ein einziges Basenpaar.“

Hautfarbe spiegele hauptsächl­ich eine biologisch­e Anpassung an den Grad der Sonneneins­trahlung wider. „Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetz­ung“, betonen die Forscher. „Der Nichtgebra­uch des Begriffes Rasse sollte heute und zukünftig zur wissenscha­ftlichen Redlichkei­t gehören.“

In der Debatte geht es jedoch nicht um Anpassung an einen neuen

Stand der Wissenscha­ft. Schon zur Zeit der Geburt des Grundgeset­zes 1949 hatten die UN darauf hingewiese­n, dass „Rasse“für einen sozialen Mythos stehe, der ein enormes Ausmaß an Gewalt verursache.

„Es ist wichtig, dass der Begriff Rasse aus dem Grundgeset­z gestrichen wird, Rassen sind eine Erfindung des Rassismus“, betont auch der Rassismus-Forscher Karim Fereidooni. „Die Einteilung in weiße, gelbe, rote und schwarze Menschen war schon immer rassistisc­h, weil der weiße Mensch dabei auf der Entwicklun­gsstufe über den anderen rangierte“, betont der Professor an der Ruhr-Universitä­t Bochum. Diese Irrlehre habe in Deutschlan­d eine jahrhunder­tealte Tradition.

„Das mag heute erstaunlic­h klingen, aber dieser vermeintli­ch ,wissenscha­ftliche‘ Rassismus wurde im Zeitalter der Aufklärung erfunden“, erklärt Fereidooni. Das 18. Jahrhunder­t sei nicht nur die Zeit der Deklarieru­ng der Menschenre­chte, sondern auch das Zeitalter der Kolonialis­ierung Afrikas gewesen. „Man konnte nicht auf der einen Seite ausrufen, alle Menschen sind frei, gleich, Brüder und Schwestern, und auf der anderen Seite der Welt Menschen versklaven, weshalb man Rassen als Legitimati­onstrick erfunden hat, um diesen Widerspruc­h aufzulösen“, sagt der Forscher. „Philosophe­n wie Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel stellten Rassentheo­rien auf, in denen sie Menschen nach Hautfarben in eine Rangfolge brachten und weiße über schwarze Menschen stellten. Mit der Erfindung der Rassen wollte man den Genozid der weißen Menschen an schwarzen Menschen in Afrika rechtferti­gen.“

Kant sei mit Aussagen wie „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommen­heit in der Rasse der Weißen“keineswegs nur einem Zeitgeist gefolgt, sondern habe offiziell als anerkannte­r Wissenscha­ftler der Politik aus Fürsten- und Königshäus­ern philosophi­sche Begründung­en geliefert, Afrika brutal auszubeute­n. „Schon damals gab es von anderen Philosophe­n den Widerspruc­h, dass es keine Rassen unter Menschen gibt“, sagt Fereidooni.

„Rassismus ist eine Fantasie in den Köpfen weißer Menschen über Menschen of Color und schwarze Menschen“, erklärt der Forscher. „Und weil diese Fantasie seit über 500 Jahren in unseren Köpfen existiert und von Generation von Generation weitergetr­agen wird, haben es wissenscha­ftliche Erkenntnis­se so schwer, das zu verändern.“Deshalb würden auch heute vermutlich 80 Prozent der Menschen auf der Welt zustimmen, es gebe menschlich­e Rassen, die durch unterschie­dliche Hautfarben repräsenti­ert würden. „Die Grundgeset­zänderung ist ein wichtiges Zeichen in die breite Bevölkerun­g hinein, dass wir alle wandlungs- und lernfähig sind“, sagt der Bochumer Rassismusf­orscher. „Wir können unser Schicksal selber in die Hand nehmen und uns von rassistisc­hen Dingen der Vergangenh­eit trennen.“

Wissenscha­ftler verweisen auf die Gentechnik

 ?? Foto: Reiner Zensen, Imago Images ?? Der dritte Artikel des Grundgeset­zes auf der Scheibe eines Berliner Bundestags‰Bürohauses.
Foto: Reiner Zensen, Imago Images Der dritte Artikel des Grundgeset­zes auf der Scheibe eines Berliner Bundestags‰Bürohauses.

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