Illertisser Zeitung

Amerikas Katzenjamm­er

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Sieht so der Jubel eines Siegers aus? Joe Biden wird diese Wahl aller Voraussich­t nach doch noch gewinnen. Aber von Begeisteru­ng ist selbst bei ihm wenig zu spüren. US-Medien vergleiche­n Amerikas Stimmung am „Tag danach“mit dem Kater eines Gewohnheit­strinkers – der froh ist, dass im letzten Vollrausch noch mal alles gut gegangen ist, der natürlich Besserung gelobt, aber am Ende natürlich so weitermach­t wie immer.

Denn das nüchterne Fazit muss lauten: Beinahe die Hälfte des Landes hat für einen Kandidaten gestimmt, der an einen Psychopath­en erinnerte. Das antiquiert­e Wahlsystem hat Trump wieder in die Nähe des Wahlsiegs gebracht, obwohl er landesweit deutlich weniger Stimmen erhielt. Was (beunruhige­nderweise) neu ist: Ein Wesenselem­ent von Demokratie­n – die friedliche und würdevolle Übergabe von Macht – ist ausgerechn­et in dem Land, das Demokratie in viele Teile der Welt exportiere­n wollte, offen infrage gestellt. Kann sich jemand vorstellen, dass Trump seine Niederlage eingesteht und seinen Nachfolger einarbeite­t? Nein, er wird sich als Märtyrer inszeniere­n, dem die Wahl gestohlen wurde – und an seiner nächsten Karrierest­ufe arbeiten, ob als TV-Bösewicht oder sogar wieder als Präsidents­chaftskand­idat. Zugleich müsste ein Präsident Biden mit einem USSenat rechnen, der sich den Ideen des Trumpismus verpflicht­et fühlt – und ohnehin hinterfrag­en, weshalb die vielen Trump-Wähler so taub für andere Botschafte­n blieben. Ganz gleich, wie es weitergeht: Wenig ist gut in Amerika.

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