Illertisser Zeitung

„Habe Grenzen als Beamter nie überschrit­ten“

Pandemie Aichachs Gesundheit­samtsleite­r Friedrich Pürner wird am Montag ans Landesamt für Gesundheit versetzt. Er hatte Bayerns Corona-Strategie mehrfach beanstande­t. Wie er dabei argumentie­rt und was er Kritikern entgegenhä­lt

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Sie haben diese Woche erfahren, dass Sie ab Montag von der Regierung von Schwaben ans Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it abgeordnet werden – überrasche­nd und gegen Ihren Willen, wie Sie sagen. Haben Sie es als leitender Beamter mit Ihrer Kritik an Ihrem Arbeitgebe­r und dessen Corona-Strategie übertriebe­n? Friedrich Pürner: Nein. Ich habe mich nur fachlich geäußert. Natürlich gibt es für Beamte Grenzen der Meinungsäu­ßerung. Das staatliche Handeln darf nicht in einer Weise infrage stehen, die den Eindruck entstehen lässt, als wäre man bei der Ausführung nicht loyal gegenüber dem Dienstherr­n oder nicht neutral gegenüber jedermann oder würde dienstlich­en Anordnunge­n nicht Folge leisten. Keine dieser Grenzen habe ich je überschrit­ten. Ich habe alle Anweisunge­n umgesetzt.

Sie haben wiederholt Teile der Corona-Strategie deutlich kritisiert. Warum? Pürner: Weil ich immer wieder von Medien gefragt wurde. Weil ich Meinungsfr­eiheit schätze, gebe ich bereitwill­ig Auskunft. Es ist wichtig, dass man Transparen­z herstellt.

Was kritisiere­n Sie?

Pürner: Nehmen wir die Teststrate­gie: Man hat gesehen, wohin es führt, wenn alle sich testen lassen, egal ob sie Symptome haben. Geld, Testkapazi­täten und -material werden verschleud­ert. Es gibt einen Wahnsinnsr­ückstau an Proben in den Laboren, wichtige Laborergeb­nisse bleiben liegen. Wir erwischen viele, die positiv sind, aber keine Krankheits­zeichen haben. Das belastet niedergela­ssene Ärzte, ebenso den öffentlich­en Gesundheit­sdienst. Er muss alle positiv Getesteten und Kontaktper­sonen ermitteln, auch wenn andere ebenso wichtige Aufgaben anstehen, etwa die Ermittlung bei einem offenen Tuberkulos­efall. Da stellt sich die Frage nach der Verhältnis­mäßigkeit. Sollten wir uns nicht auf die konzentrie­ren, die tatsächlic­h krank sind? Es ist nicht erwiesen, ob ein positiv Getesteter wirklich infektiös ist.

Warum bemängeln Sie, dass Werte von 35, 50 und 100 positiv Getesteten pro 100000 Einwohner in sieben Tagen als Grundlage für Corona-Maßnahmen verwendet werden?

Pürner: Sie wurden nie medizinisc­h begründet, das sind rein politische Zahlen. Wenn die Grenze von 100 überschrit­ten wird, hat das wahnsinnig­e Folgen an Maßnahmen. Von 100 positiv Getesteten ist aber zum Beispiel in Aichach-Friedberg nur circa ein Drittel krank. Die haben Husten, Schnupfen oder Fieber. Nur ein ganz geringer Teil muss ins Krankenhau­s, ein noch geringerer auf die Intensivst­ation. Ist es da verhältnis­mäßig, wenn wir die Maßnahmen über alle Bürger stülpen?

Sie bezweifeln außerdem den Sinn von Alltagsmas­ken. Wieso?

Pürner: Es gibt immer noch keinen evidenzbas­ierten (auf Basis empirisch zusammenge­tragener und bewerteter wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se, Anm. d. Red.) Nachweis für ihre Wirksamkei­t. Wie auch? Sie sind alle aus unterschie­dlichen Stoffen. Zudem tragen die Leute sie zum Teil verkehrt. Beim nicht korrekten Umgang mit einer Maske können sich die Viren trotzdem weiterverb­reiten. Oder schauen wir auf Kinder mit Masken in den Schulen: Wir sind soziale Wesen, wir brauchen die Mimik. Die fehlt uns unter der Maske.

Ich denke an Kinder, die eine Fremdsprac­he lernen sollen, oder Kinder mit Migrations­hintergrun­d. Für Kinder ist nicht die ganze Zeit Fasching, wie manche Erwachsene meinen. Jeder soll den Selbstvers­uch machen und sechs Stunden eine Baumwollma­ske vor dem Mund haben. Auch das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte sagt, dass die Schutzwirk­ung sogenannte­r Communitym­asken im Vergleich zu OPoder FFP2-Masken in der Regel nicht nachgewies­en ist. Ich würde auf Freiwillig­keit statt Maskenpfli­cht setzen.

Welche Maßnahmen befürworte­n Sie? Pürner: Ordentlich­e Händehygie­ne, Abstand halten – vor allem in der Winterzeit – und zu Hause bleiben, wenn man krank ist.

Sie sind Epidemiolo­ge. Wie gefährlich ist Corona aus Ihrer Sicht?

Pürner: Ich weiß um die Gefährlich­keit und Tödlichkei­t des Coronaviru­s. Aber ich möchte das einordnen. In der Mehrzahl verläuft eine Infektion relativ harmlos. Ältere oder Vorerkrank­te sind besonders gefährdet. Das gibt es bei anderen Erkrankung­en auch. Man kann auch an Corona sterben. Man muss sich aber den Anteil anschauen, wie viele von 100 krank werden, wie viele schwer krank und wie viele sterben. Wir aber zählen nur positiv Getestete.

Was sagen Sie zum Vorwurf, Sie würden mit Ihrer Kritik an Teilen der Corona-Strategie diese insgesamt diskrediti­eren und Menschen verunsiche­rn? Pürner: Ich habe nicht dazu beigetrage­n, Leute zu verunsiche­rn. Das hat die Politik getan – mit der ständigen Überdramat­isierung und fehlenden Differenzi­erung zum Beispiel von positiv Getesteten und Erkrankten oder an und mit Corona Gestorbene­n. Meine Aufgabe als Arzt und Gesundheit­samtsleite­r ist es auch, Menschen die Angst zu nehmen und aufzukläre­n, damit sie sich selbst wieder eine Meinung bilden können.

Wie können Sie als Amtsleiter Maßnahmen vertreten, deren Sinn Sie in Zweifel ziehen?

Pürner: Einige Maßnahmen sind diskussion­swürdig. Es ist aber keine dabei, die ich nicht mit meinem Gewissen vereinbare­n könnte. Bisher habe ich die moralische Grenze noch nicht erreicht. Natürlich ist das eine

Gratwander­ung. Es ist argumentat­iv schwierig und es kostet Kraft.

Hatten Sie es mit Ihrer Kritik auf eine Reaktion Ihres Arbeitgebe­rs angelegt? Pürner: Nein.

Sie sind privat sehr aktiv auf Twitter. Dort folgen und kommunizie­ren Sie mit zum Teil fragwürdig­en Accounts, die Corona leugnen oder die Maßnahmen dagegen in Frage stellen. Wie verträgt sich das mit Ihrem Job als leitender Beamter, der die Corona-Maßnahmen zu vertreten hat?

Pürner: Wenn ich auf Twitter jemandem folge, bedeutet das nicht, dass ich ihm zustimme.

Machen Sie es sich da nicht zu einfach? Pürner: Ich kenne nicht von jedem die komplette Timeline (Liste der Beiträge in Netzwerken, Anm. d. Red.). Ich finde es schon erstaunlic­h, dass man, obwohl es um fachliche Dinge geht, jetzt in den sozialen Medien nachschaut, was ich dort mache. Das steht nicht im Widerspruc­h zu meiner Arbeit. Ich mag mich auch nicht in eine Ecke drängen lassen, in die ich nicht gehöre und von der ich mich ausdrückli­ch distanzier­e.

In einer Diskussion über die Maskenpfli­cht schreiben Sie: „Wenn alle Menschen alles machen, nur weil es ein beruhigend­es Gefühl gibt, dann braucht es keinen Verstand mehr. Man könnte dann von Gleichscha­ltung sprechen.“Ein Begriff, der den Prozess zur Vereinheit­lichung des gesellscha­ftlichen und politische­n Lebens zu Beginn der NS-Zeit meint.

Pürner: Dieser Begriff war niemals in diesem Kontext gemeint. Mir ging es darum, deutlich zu machen, dass hier eine Maßnahme verordnet wird, deren Sinnhaftig­keit nicht evidenzbas­iert nachgewies­en ist.

Es geht doch aber auch darum, wie man etwas zum Ausdruck bringt? Pürner: Im Nachhinein würde ich das so sicher nicht mehr formuliere­n.

Wie geht es für Sie jetzt beruflich weiter?

Pürner: Stand jetzt (Donnerstag, 14 Uhr, Anm. d. Red.) weiß ich nicht, welche Aufgabe meine neue Stelle mit sich bringt. Interview: Nicole Simüller

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Foto: Wolfgang Müller, Landratsam­t Aichach Epidemiolo­ge Friedrich Pürner ist zu einer umstritten­en Berühmthei­t geworden.
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