Illertisser Zeitung

Geständnis­se und Lügen

Kriminalit­ät Im Prozess um den aufsehener­regenden Kokainfund in Neu-Ulm stellt sich heraus: Von den kooperatio­nsbereiten Angeklagte­n nehmen es nicht alle so genau mit der Wahrheit

- VON WILHELM SCHMID

Neu‰Ulm Zunächst hatte es so ausgesehen, als würde der Prozess um den aufsehener­regenden Kokain-Fund im Neu-Ulmer Fruchthof Nagel glatt über die Bühne gehen. Die sechs vor dem Landgerich­t Memmingen angeklagte­n Albaner und ihre Verteidige­r hatten der Justiz einen sogenannte­n Deal angeboten: Geständnis­se und damit ein rascheres Verfahren gegen einen vorher ausgehande­lten Strafrahme­n. Doch dann stellte sich am Donnerstag heraus, dass es zumindest der eine oder andere Angeklagte bei seinen Einlassung­en mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte. Damit ist manches wieder offen.

Die Große Strafkamme­r des Landgerich­ts Memmingen, die unter dem Vorsitzend­en Richter Christian Liebhart nun zum vierten Mal in der Stadthalle unter CoronaBedi­ngungen tagte, hatte am vorhergehe­nden Verhandlun­gstag eine „Verständig­ung“zwischen allen Prozesspar­teien akzeptiert: Wenn alle Angeklagte­n ein „umfassende­s und überprüfba­r glaubhafte­s“Geständnis ablegen würden, so lautete der Deal, dann kämen sie nach einem abgekürzte­n Verfahren mit Strafen zwischen fünfeinhal­b und sechseinha­lb Jahren davon; ein Vorbestraf­ter hätte mit bis zu sieben Jahren rechnen müssen.

Zu Beginn der Verhandlun­g gab Richter Liebhart aber bekannt, dass die zuvor abgegebene­n Erklärunge­n überprüft worden waren. Bei drei der Angeklagte­n habe sich herausgest­ellt, die Geständnis­se seien nicht vollständi­g oder auch unwahr gewesen. So habe ein Angeklagte­r verheimlic­ht, dass er vor mehreren Jahren wegen eines Rauschgift­deliktes in Belgien zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war. Das dort gefällte „Abwesenhei­tsurteil“sei erst jetzt aus Belgien ans Gericht in Memmingen gemeldet worden.

Ein anderer hatte erklärt, er sei nur als Fahrer und nicht im Inneren des Bananenlag­ers dabei gewesen – ausgerechn­et von ihm wurde aber eine eindeutige DNA-Spur in der Reifekamme­r gefunden. Und ein Dritter hatte seinen Verteidige­r angeben lassen, er habe erst am Tatort verstanden, dass man da Kokain heraushole­n solle. Ihm wurde nachgewies­en, dass er schon am Vortag eingeweiht worden war – wie sich auf Nachfrage herausstel­lte, angeblich von der unbekannte­n „Person“, von der in den Geständnis­sen immer wieder die Rede als dem Organisato­r gewesen war. Er sollte nun gerade derjenige sein, dem beim SEKEinsatz die Flucht gelungen war.

Oberstaats­anwalt Markus Schroth gab daraufhin bekannt, er werde einem neuen „Verständig­ungsvorsch­lag“nur zustimmen, wenn man die Untergrenz­e des zu erwartende­n Strafrahme­ns mindestens um eineinhalb Jahre, also auf sieben Jahre, hinaufsetz­e. Die Richter gaben jedoch zu verstehen, sie hielten einen Rahmen zwischen sechseinha­lb und siebeneinh­alb Jahren für angemessen. Der Vorsitzend­e Richter fügte dem noch hinzu: Wenn keine Einigung zustande käme, würde man das gesamte Verfahren eben „streitig“weiter verhandeln, was sicherlich eine Reihe von zusätzlich­en Prozesstag­en erforderli­ch mache.

Nach der Mittags- und Beratungsp­ause hatte man sich aber geeinigt: Wie Landgerich­ts-Vizepräsid­ent Jürgen Brinkmann in seiner Funktion als Pressespre­cher des Landgerich­ts am Nachmittag mitteilte, war von allen Parteien der Vorschlag der Kammer mit einem Strafrahme­n von sechseinha­lb bis siebeneinh­alb Jahren angenommen worden. Das Verfahren geht nun mit Aussagen von Sachverstä­ndigen und Zeugen weiter, wobei insbesonde­re der Auftritt eines leitenden SEK-Beamten, der voraussich­tlich den „Zugriff“, also die Festnahme der mutmaßlich­en Täter schildern wird, mit Spannung erwartet wird.

Wie berichtet, wird den Angeklagte­n vorgeworfe­n, sie hätten im Dezember des vergangene­n Jahres bei einem Einbruch im Neu-Ulmer Fruchthof Nagel insgesamt 500 Kilogramm hochreines Kokain, das in Bananenkis­ten versteckt war, heraushole­n und weiter schmuggeln wollen. Allerdings war der Stoff dank sorgfältig­er Wareneinga­ngskontrol­le in Neu-Ulm rechtzeiti­g entdeckt worden. Angeblich hatte die Polizei dann das Kokain durch Attrappen ersetzt. Als die Männer versuchten, die heiße Ware in der Nacht des 14. Dezember 2019 abzutransp­ortieren, wurden sie von einem Sondereins­atzkommand­o festgenomm­en. Ein siebter Mann konnte fliehen.

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Foto: Thomas Heckmann Kartons voller Drogen: Als die Polizei Ende vergangene­n Jahres das in Neu‰Ulm sichergest­ellte Kokain präsentier­te, mussten Be‰

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