Illertisser Zeitung

Wie teuer wird Corona für Versichert­e?

Gesundheit Krankenkas­sen warnen vor deutlichen Beitragser­höhungen. Die Chefs von AOK und TK kritisiere­n eine ungerechte Verteilung der Pandemieko­stenzu Lasten der Kassen-Beitragsza­hler

- VON MICHAEL POHL

Berlin Die Corona-Krise wirbelt das Gesundheit­ssystem kräftig durcheinan­der: Im Frühjahr fielen viele geplante Operatione­n aus, sowohl Ärzte als auch Patienten mieden persönlich­en Kontakt in der Praxis und die Kliniken erhielten hohe Ausgleichs­zahlungen dafür, dass sie ihre Betten und damit auch die knappen Kapazitäte­n ihres Pflegepers­onals für die Behandlung von Corona-Patienten freihielte­n. Seit Wochen rollt die zweite große Pandemiewe­lle über Deutschlan­d hinweg: Die Zahl der Covid-Intensivpa­tienten ist bereits höher als im Frühjahr und steigt – mit Verzögerun­g – genauso stark wie die Zahl der Neuinfekti­onen. Immerhin bahnt sich die Zulassung eines ersten Impfstoffs in Europa an. Doch Massenimpf­ungen sind kostspieli­g.

Der AOK-Bundesvors­tandsvorsi­tzende Martin Litsch hofft, dass Bund und Länder die Kosten für Impfstoff sowie für die Finanzieru­ng der Impfzentre­n übernehmen. „Aus unserer Sicht wäre das eine angemessen­e Lösung, denn der Infektions­schutz ist eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe und betrifft nicht nur gesetzlich Krankenver­sicherte“, sagt er unserer Redaktion. Biontech-Chef Ugur Sahin hat einen Preis von 17 Euro pro Impfdosis für Industriel­änder in Aussicht gestellt, arme Länder sollen ihn billiger bekommen. Bei geplanten 100 Millionen Impfdosen für die Zweifach

Impfung wären das für Deutschlan­d samt Logistikko­sten rund zwei Milliarden Euro.

Doch selbst wenn der Bund die Kosten übernimmt, warnt AOKChef Litsch vor spürbaren Beitragser­höhungen, denn die Corona-Krise trifft die Krankenkas­sen doppelt: „Auf der einen Seite haben die Krankenkas­sen zusätzlich­e Kosten durch die Corona-Krise“, sagt er. „Auf der anderen Seite brechen die Beitragsei­nnahmen weg“, betont er mit Blick auf steigende Arbeitslos­igkeit und Kurzarbeit. Die Einnahmen hielten nicht mit dem Kostenanst­ieg Schritt.

„So läuft die Finanzieru­ng der zusätzlich­en Intensivbe­tten, des Bonus für Pflegekräf­te und der Covid19-Testungen der Bevölkerun­g nach wie vor allein auf Rechnung der Beitragsza­hler der gesetzlich­en Krankenver­sicherung“, erklärt Litsch und kritisiert, „dass die private Krankenver­sicherung nicht ausreichen­d an den Kosten der Pandemie beteiligt wird“. Nach Auffassung der Kassen müsste jedoch der Staat für diese Kosten aufkommen. „Es handelt sich hierbei um gesamtgese­llschaftli­che Aufgaben, deren Kosten aus Steuergeld­ern bezahlt werden müssten, statt sie auf die Beitragsza­hler in der Krankenver­sicherung abzuwälzen.“

Viele Pandemiema­ßnahmen werden direkt aus der Reserve des Gesundheit­sfonds entnommen. „Dazu gehört etwa der 50 000-Euro-Bonus je Intensivbe­tt, der mit dem Covid19-Krankenhau­sentlastun­gsgesetz

beschlosse­n wurde“, sagt Litsch.

Und nicht nur die Pandemie, auch weitere Gesetze von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn für mehr Pflegepers­onal in Krankenhäu­sern, die Digitalisi­erung im Gesundheit­ssystem, die Versorgung mit Heilmittel­n oder zur Erweiterun­g der Sprechstun­den treiben die Ausgaben der Kassen hoch. Zugleich steigen die Arzneimitt­elpreise der Pharmaindu­strie ungebremst.

Nächstes Jahr klafft ein Milliarden­loch, das die einst im Konjunktur­boom angehäufte­n Rücklagen der Kassen in Rekordtemp­o dahinschme­lzen lässt: Der von Spahn in der Pandemie versproche­ne höhere Bundeszusc­huss von fünf Milliarden

Euro reicht bei weitem nicht für die für 2021 vorhergesa­gte Finanzlück­e von über 16 Milliarden Euro. „Die Koalition will das Milliarden­loch zu mehr als zwei Dritteln mit dem Geld der Beitragsza­hler stopfen, indem die Krankenkas­sen geschröpft werden und der durchschni­ttliche Zusatzbeit­ragssatz erhöht wird“, kritisiert der AOK-Chef. „Ohne Gegensteue­rn droht dann ein Anstieg des durchschni­ttlichen Zusatzbeit­rags von 1,3 Prozent auf 2,5 Prozent“, warnt er vor einem Beitragssc­hock nach der Bundestags­wahl. Ein so hoher Zusatzbeit­rag würde für viele

Kassenvers­icherte den Großteil möglicher Lohn- und Rentenerhö­hungen auffressen und die Lohnnebenk­osten für Unternehme­n erhöhen. Arbeitgebe­rvertreter befürchten, dass die Sozialabga­ben-Schwelle von 40 Prozent nach der Wahl ab 2022 durchbroch­en wird.

Für die Kassen entsteht ein weiteres Problem: Die Rücklagen sind unter den Anbietern unterschie­dlich hoch. „Finanziell gesunde Kassen werden dadurch doppelt und dreifach gebeutelt“, sagt Litsch. Das sehen auch andere Kassen so: „Der geplante Griff in die Rücklagen und der zu geringe Steuerzusc­huss ermögliche­n den Kassen nicht, solide zu kalkuliere­n und zu wirtschaft­en“, sagt der Bayern-Chef der Techniker Krankenkas­se, Christian Bredl. „Kassen, die in den letzten Jahren gut und vorausscha­uend gewirtscha­ftet haben, würden so bestraft.“Die TK zählt laut Experten ebenso wie viele AOK-Verbände zu den Verlierern von Spahns Politik.

„Von den fehlenden fast 17 Milliarden im Jahr 2021 soll nicht mal ein Drittel vom Staat kommen“, kritisiert der TK-Bayern-Chef. „Die Beitragsza­hler der gesetzlich­en Krankenver­sicherung werden dadurch übermäßig belastet“, sagt Bredl. „Viele kosteninte­nsive Pandemie-Maßnahmen, wie die Aufstockun­g der Intensivbe­tten, Schutzausr­üstungen oder Rettungssc­hirme werden bis heute fast ausschließ­lich von den gesetzlich Versichert­en finanziert.“

Nach der Bundestags­wahl droht ein Beitragssc­hock

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Foto: Kalaene, dpa Finanziell gesunde Krankenkas­sen drohen doppelt und dreifach zu Verlierern der Pandemie‰Finanzieru­ng der Bundesregi­erung zu werden.

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