Teures Nachspiel des Atomausstiegs
Energie Ende 2022 geht das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz. Konzerne bekommen viel Steuergeld dafür, dass sie früher abschalten. Aber wie viel genau? Warum das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung nachsitzen lässt
Berlin/Karlsruhe Manchmal fühlt es sich an, als sei das Kapitel Atomkraft in Deutschland schon abgeschlossen. Es sind ja nur noch zwei Jahre, bis das letzte Kernkraftwerk abschaltet. Aber nicht nur die Suche nach einem Atommüll-Endlager beschäftigt die Politik weiter. Es gibt noch finanzielle Fragen zu klären – konkret, wie viel Entschädigung die Energiekonzerne Vattenfall und RWE dafür bekommen sollen, dass sie früher vom Netz gehen. Dazu hat die Große Koalition vor zwei Jahren eine Regelung beschlossen – und nun eine Ohrfeige vom Bundesverfassungsgericht kassiert.
Worum geht es überhaupt?
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 beschloss die Regierung – damals schwarz-gelb – den Atomausstieg bis Ende 2022. Das Problem: Erst kurz zuvor hatten Union und FDP den von RotGrün beschlossenen Atomausstieg, genannt Atomkonsens, noch mal in die Länge gezogen – bis mindestens 2036. Das Hin und Her führte dazu, dass die Atomkonzerne vors Bundesverfassungsgericht zogen. Mit Erfolg: 2016 bekamen sie für sinnlos gewordene Investitionen und verfallene Produktionsrechte, sogenannte Reststrommengen, einen „angemessenen Ausgleich“zugesprochen. Konkret geht es dabei um die Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel von Vattenfall und MülheimKärlich von RWE.
Wie sollte die Entschädigung geregelt werden?
Mit einem Gesetz, das 2018 von der schwarz-roten Koalition beschlossen wurde. Es legte noch keine konkrete Höhe für die Entschädigung fest. Diese sollte 2023 – also nachdem das letzte AKW vom Netz ist – anhand der zugesagten Reststrommengen berechnet werden, die die Atomkraftwerke nun nicht mehr selbst oder an andere Energiekonzerne verkaufen konnten. Die Regierung rechnete damit, dass dies einen „niedrigen einstelligen Milliardenbereich nicht überschreiten“werde. Die Alternative wäre gewesen, Atommeiler länger laufen zu lassen. Das war nicht gewollt.
Warum haben die Karlsruher Richter dieses Gesetz jetzt kassiert?
Die Begründung klingt für das Bundesumweltministerium ziemlich peinlich:. Zunächst sei die gesetzliche Regelung nie in Kraft getreten, da dies von der Zustimmung der EU-Kommission abhängig gemacht wurde – diese sie aber nie förmlich erteilt hatte. Aber auch sonst seien die Regelungen teils „unzumutbar“, weil die Entschädigungszahlung davon abgängig gemacht werde, dass die Unternehmen auch ernsthaft versuchen, ihre Reststrommengen zu verkaufen – aber nicht genau definiert ist, was das heißt. Die Schlussfolgerung der Richter: Der Staat ist damit „weiterhin zur alsbaldigen Neuregelung verpflichtet“.
Was sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze dazu?
Der SPD-Politikerin blieb nichts anderes übrig, als anzukündigen, sie werde „zügig“eine neue Regelung auf den Weg bringen, die den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes gerecht wird. Sie betonte aber auch, dass die Entscheidung nicht den Atomausstieg bis 2022 an sich betreffe. „Es geht um einen Randbereich: Regelungen für gewisse etwaige Ausgleichsansprüche der AKW-Betreiber.“
Wird es jetzt noch teurer für die Steuerzahler?
Das ist erst mal noch nicht abzusehen. Schließlich war ja noch gar nicht klar, was die Konzerne 2023 bekommen hätten. Die Bundesregierung muss jetzt also eine wasserproduzieren dichte Regelung finden, und zwar „alsbald“. Vattenfall äußerte sich erst mal erfreut, ohne ins Detail zu gehen. RWE rechnet weiterhin mit einem „mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag“. Ein teures Nachspiel hat der Atomausstieg ohnehin längst. Die Karlsruher Richter hatten schon 2017 den Staat verdonnert, rund 6,3 Milliarden Euro Brennelementesteuer an die Konzerne zurückzuzahlen.
Gibt es beim Atomausstieg noch mehr offene Fragen?
Jede Menge, auch finanzielle. Es ist zum Beispiel eine Klage von Vattenfall beim internationalen Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) in Washington anhängig. Hier geht es um Forderungen von mehreren Milliarden Euro wegen der dauerhaften Stilllegung der AKW Krümmel und Brunsbüttel. Die politisch schwierigste Frage ist aber die nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll – die Standortsuche läuft und soll 2031 abgeschlossen sein. Weil das Endlager erst Mitte des Jahrhunderts in Betrieb gehen kann, müssen Genehmigungen für Zwischenlager verlängert werden. Auch da dürfte es noch Ärger geben. Teresa Dapp und Anja Semmelroch, dpa