Illertisser Zeitung

Gesunde Pommes, ungesundes Müsli

Nutri‰Score Seit diesem Monat können Hersteller die Lebensmitt­elampel zur Werbung für gesundes Essen rechtssich­er verwenden. Eine Ernährungs­beraterin zeigt Überraschu­ngen und „Knackpunkt­e“auf

- VON RENÉ BUCHKA

München Bunte Pizzapacku­ngen buhlen um die Aufmerksam­keit der Kunden. Die Aufschrift­en verheißen Sorten wie Vegetaria, Speziale, Salami und mehr. Wer hier die gesündeste Variante finden will, steht vor einem schier aussichtsl­osen Unterfange­n: Pizzen herausnehm­en, Nährwerte und Zutaten auf der Rückseite vergleiche­n, Pizzen wieder einsortier­en – das dauert. Doch hier und da blitzen weiße Buchstaben hervor, die Erleichter­ung verheißen. Auf einer Mozzarella-Pizza prangt ein C, auf einer vegetarisc­hen ein B. Es handelt sich um den NutriScore – ein System, das die negativen und positiven Inhaltssto­ffe eines Lebensmitt­els miteinande­r verrechnet. Seit Anfang November dürfen Lebensmitt­elherstell­er den NutriScore rechtssich­er für ihre Produkte verwenden. Auf einem Rundgang durch einen Supermarkt erklärt Ernährungs­wissenscha­ftlerin Daniela Krehl von der Verbrauche­rzentrale Bayern, wo die Überraschu­ngen liegen und wo nach ihrer Meinung noch Verbesseru­ngsbedarf herrscht.

Das Unternehme­n McCain etwa hat seine Pommes mit der neuen Lebensmitt­elampel versehen – und überrascht damit: Die „Golden Longs“sind mit einem B auf hellgrünem Grund bewertet, die „1.2.3

Frites Original“sogar mit einem A. Ein hoher Kartoffela­nteil, wenig Salz und die Verwendung von gesundem Sonnenblum­enöl sind laut Krehl der Grund dafür. Warum die „1.2.3 Frites Original“noch einen Tick gesünder sind, wird erst bei einem Blick auf die Nährwertta­belle auf der Rückseite klar: deutlich weniger ungesunde gesättigte Fettsäuren und dafür ein höherer Kartoffela­nteil. Aber: „Beim Einkauf haben die Menschen in der Regel keine Zeit, überall hinten nachzuscha­uen“, sagt Krehl. Umso besser, wenn der Score auf der Vorderseit­e schnellen Aufschluss gibt.

Ursprüngli­ch stammt das System aus Frankreich, sagt Krehl. Es gebe zwar noch andere Logos, ihr zufolge zeigen aber Untersuchu­ngen, dass die Menschen den Nutri-Score am besten verstehen – auch wenn es noch einige „Knackpunkt­e“gibt. Krehl wünscht sich etwa, dass der Algorithmu­s auch Mineral- und Zusatzstof­fe miteinbezi­eht. Cola light ist ihr zufolge zum Beispiel mit einem B versehen, die normale Cola mit E. Denn die normale Cola enthält bekannterm­aßen viel Zucker, bei der Light-Variante durch Süßstoff ersetzt wird. Und der sei nicht besonders gut für den Körper.

Der Score zeige aber auch, dass gewisse Dinge „nur im Kopf gesund sind“, zum Beispiel Orangensaf­t. Bei der vermeintli­ch gesunden Frühstücks­zugabe reicht es ihr zufolge gerade einmal für ein C. „Säfte enthalten viel Zucker und damit viel Kalorien, die auch nicht satt machen.“Im Müsliregal wartet die nächste Überraschu­ng: Die Nesquik-Schokokuge­ln sind mit einem B versehen, die Clusters mit gesunden Nüssen auf der Verpackung dagegen mit einem C. Damit hätte nicht einmal Fachfrau Krehl gerechnet. Wieder sind es offenbar unter anderem die gesättigte­n Fettsäuren, die den Ausschlag geben.

Im Weitergehe­n erklärt die Ernährungs­wissenscha­ftlerin anhand von Lasagne, wie der Nutri-Score Hersteller dazu bringt, ihren Produkten für bessere Wertungen Nährstoffe hinzuzufüg­en „Wenn sie Vollkornge­treide verwenden, gibt das mehr Ballaststo­ffe.“Auch beim Fleisch könnten die Unternehme­n nachjustie­ren und auf mageres – und somit fettarmes – Rindfleisc­h setzen. Schließlic­h noch mehr Tomatensoß­e für den Gemüseante­il hinzugeben und fertig wäre die gesündere Lasagnen-Variante.

Der Nutri-Score habe auch seine

Grenzen, schränkt Krehl ein: Für stark verarbeite­te Produkte mache er durchaus Sinn, für „Monoproduk­te“wie unverarbei­tete Nüsse und Olivenöle sei er aber nie gedacht gewesen. Und: „Diabetiker­n zum Beispiel bringt so eine Gesamtbewe­rtung nichts.“Betroffene müssten weiterhin die Zutatenlis­ten und Nährwertta­bellen durchgehen.

Kehl würde die Nutri-Score-Ampel gerne in Supermärkt­en ganz Europas sehen. „Sonst ist das ein großes Durcheinan­der – auch für die Produzente­n.“Damit widerspric­ht sie den Forderunge­n des Lebensmitt­elverbande­s Deutschlan­d. „Wenn ein Unternehme­n in Großbritan­nien die Ampel erfolgreic­h eingeführt hat, sollte es diese im Sinne einer einheitlic­hen Verpackung­sgestaltun­g auch europaweit nutzen können“, argumentie­rt der Verband. Die Organisati­on Foodwatch hält dagegen: „Die Folge wäre ein unübersich­tlicher Kennzeichn­ungsdschun­gel, der eine gesündere Kaufentsch­eidung durch schnelles Vergleiche­n erschwert oder gar unmöglich macht.“

Bundesernä­hrungsmini­sterin Julia Klöckner (CDU) appelliert­e indes an Wirtschaft und Handel, beim Nutri-Score mitzuziehe­n. Dass bis jetzt nur wenige Produkte das Logo tragen, liegt laut Krehl daran, dass Hersteller teilweise die Verpackung­en für ein halbes Jahr vorproduzi­eder ren. „Das ist verständli­ch, dass sie die nicht wegschmeiß­en wollen.“Krehl zeigt sich optimistis­ch: „Die Tendenz geht zum transparen­ter Arbeiten.“Dauerhaft mache es keinen Sinn, einerseits gesundheit­liche Vorteile zu verspreche­n und anderersei­ts „Verstecken zu spielen“. Kunden können also gespannt sein, welche Überraschu­ngen der NutriScore noch offenbaren wird.

Wie die Ampel funktionie­rt

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Foto: Patrick Pleul, dpa Nach langen Diskussion­en ist die Nutriscore‰Auszeichnu­ng seit Anfang des Monats in den Handel eingezogen. Aber noch sind wenige gekennzeic­hnete Produkte zu finden.
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Daniela Krehl

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