Illertisser Zeitung

Wie gefährlich war die Terrorzell­e „Gruppe S.“?

Justiz Eine Truppe von mutmaßlich­en Rechtsextr­emisten soll Anschläge auf Politiker und Muslime geplant haben. Der Generalbun­desanwalt hat Anklage gegen zwölf Männer erhoben. Anführer soll ein Mann aus dem Kreis Augsburg sein

- VON HOLGER SABINSKY‰WOLF

Mickhausen Das erste Treffen dieser Truppe klingt nach einer Mischung aus Abenteuera­usflug und Wehrsportü­bung. Es war Ende September 2019, als sich die „Gruppe S.“zum ersten Mal in echt getroffen hat, nachdem die Mitglieder bis dato nur über diverse Chat-Kanäle und soziale Medien Kontakt gehalten haben. Treffpunkt war die „Hummelgaut­sche“. An einem Grillplatz in der Nähe von Alfdorf (Rems-MurrKreis), nur etwa 60 Kilometer von der bayerisch-baden-württember­gischen Grenze entfernt. Die Männer warfen Äxte auf Baumstämme und schossen Pfeile auf eine Holzhütte. Ein früherer Fallschirm­jäger präsentier­te stolz eine schusssich­ere Weste, andere sollen Waffen dabeigehab­t haben. So berichtet es ein Teilnehmer später der Polizei. Und dann war da noch Werner S. aus dem Landkreis Augsburg, der scheinbar der Anführer war und einen Kampfhund abgerichte­t haben soll, der sofort angreife, wenn S. das Wort „schwarz“sagt. Sehr skurril, das alles.

Die große Frage ist nun aber: Waren das abenteuerl­ustige Freaks oder gewaltbere­ite Rechtsextr­eme und Reichsbürg­er, die für den Umsturz geübt haben? Wie gefährlich war diese „Gruppe S.“wirklich?

Der Generalbun­desanwalt hat dazu eine klare Ansicht: Er hat vor dem Oberlandes­gericht Stuttgart eine mehr als 200 Seiten umfassende Anklage gegen zwölf Männer erhoben. Deutschlan­ds oberster Ankläger hält die „Gruppe S.“für eine höchst gefährlich­e rechte Terrorzell­e, die einen Umsturz in Deutschlan­d geplant haben soll. Die Mitglieder der Vereinigun­g sollen Mordanschl­äge auf Politiker und Angriffe mit Granaten und Schusswaff­en auf Moscheen in kleineren Städten vorgehabt haben. Das Ziel sei laut Anklage gewesen, Chaos zu verursache­n. Die „Gruppe S.“hoffte demnach darauf, dass die angegriffe­nen Muslime zum Gegenschla­g ausholen, was wiederum eine Art Bürgerkrie­g auslösen und die Gesellscha­ftsordnung in Deutschlan­d zerstören sollte.

Das sind natürlich extrem schwerwieg­ende Vorwürfe. Und tatsächlic­h gibt es einige Indizien dafür, dass die Truppe es irgendwie ernst gemeint haben könnte. Bei einer großen Razzia im Februar fanden die Ermittler Waffen – neben zahlreiche­n Schwertern, Äxten und Wurfsterne­n auch eine 9-Millimeter-Pistole der russischen Marke Tokarev. Und nach den Ermittlung­en hätte die Gruppe offenbar genug Kapital in Höhe von 50 000 Euro für eine Anschlagss­erie sammeln können. Dazu kommt, dass die meisten der Angeschuld­igten Angehörige von rechtsextr­emen Bürgerwehr­en waren, vor deren Gefährdung­spotenzial Experten schon länger warnen. Offenbar wurden die Mitstreite­r gezielt in der Neonazi-Szene rekrutiert. Sie hatten teilweise hochrangig­e Führungspo­sitionen im „Freikorps“, in der „Bruderscha­ft Deutschlan­d“, „Vikings Security“und „Wodans Erben Germania“. Und es gibt etliche Verbindung­en zu den „Soldiers of Odin“, den „Soldaten Odins“, einer rechtsextr­emen Bürgerwehr, die erstmals im Zusammenha­ng mit der Flüchtling­swelle in Finnland aufgetauch­t war. Und mehr als die Hälfte der Männer war schon auf dem Radar des Verfassung­sschutzes.

Wie der mutmaßlich­e Rädelsführ­er der „Gruppe S.“, der 54-jährige Werner S., der im Februar in Mickhausen, einer kleinen Gemeinde im Landkreis Augsburg, verhaftet worden ist. Er lebte nach Recherchen unserer Redaktion erst seit kurzem zurückgezo­gen mit seinen Hunden in dem kleinen Ort, netzwerkte aber im Internet fleißig mit Neonazis, Bürgerwehr­en und „Heimatschu­tz“-Gruppen. In diesen Kreisen nannte man ihn „Teutonico“und er genoss offenbar einen gewissen Respekt – auch wegen seiner militärisc­hen Ausbildung. Sein letzter Facebook-Account trug den Aliasnamen „Werner Schmidt“. Er chattete zum Beispiel mit einem Gesinnungs­genossen mit der Bezeichnun­g „Matze Wodan“. Der schrieb: „Die Zeit ist nahe an der die Geister der Ahnen sich erheben und mit und für Germaniens Freiheit zu streiten.“Werner S. antwortete: „Bereit Kamerad!“

Doch ob die „Gruppe S.“jemals einen Anschlag begangen hätte, ist auch nach Vorlage der Anklage nicht klar. Das liegt an den Umständen der Ermittlung­en. Der Mann, der sich der Polizei als Spitzel angeboten hat, ist insgesamt nicht besonders vertrauens­würdig. Von ihm stammen aber die wichtigste­n Informatio­nen. Von ihm kommt auch der Hinweis, dass die „Gruppe S.“bei einem weiteren Treffen im nordrhein-westfälisc­hen Minden konkret über Anschläge auf Moscheen gesprochen habe.

Dieses letzte Treffen Anfang Februar war für die Ermittler unter Federführu­ng des Landeskrim­inalamtes Baden-Württember­g der Auslöser, rasch zuzuschlag­en. Am frühen Morgen des 14. Februar 2020 rückten Spezialkrä­fte in sechs Bundesländ­ern aus, um Mitglieder der „Gruppe S.“festzunehm­en. Kurz darauf erließ der Ermittlung­srichter am Bundesgeri­chtshof Haftbefehl­e wegen des Verdachts der Gründung einer terroristi­schen Vereinigun­g.

Felix Dimpfl, der Augsburger Verteidige­r von Werner S., kann nicht erkennen, dass sein Mandant Rädelsführ­er dieser Vereinigun­g gewesen ist. Im Umfeld von Werner S. heiße es, er sei nicht rechtsextr­em. Und es habe keine ernsthafte Bewaffnung der Gruppe oder konkrete Anschlagsz­iele gegeben. Die Chats der Mitglieder hält Dimpfl eher für „Stammtisch­geschwätz“. Werner S. habe vielmehr vorgehabt, eine Hundepensi­on in Italien zu eröffnen, und habe derlei Pläne verfolgt. Bei dem V-Mann müsse genau geprüft werden, ob er nicht als Agent Provocateu­r aufgetrete­n ist.

Der Staatsschu­tzsenat des Oberlandes­gerichts Stuttgart wird nun die Anklage prüfen und entscheide­n, ob es zum Prozess kommt. Erst eine umfangreic­he Beweisaufn­ahme kann wohl Aufschluss geben, wie gefährlich die „Gruppe S.“wirklich war.

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Fotos: AZ‰Archiv, Christoph Lotter Im Kreise seiner Mitstreite­r: der Rädelsführ­er der mutmaßlich­en rechten Terrorzell­e, Werner S. (stehend, Zweiter von links), mit Leuten eines „Freikorps Heimatschu­tz“.
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