Vom Fluch und Segen, Autostadt zu sein
Finanzen Viele Jahre lang floss das Geld scheinbar grenzenlos in den Ingolstädter Stadtsäckel. Damit ist nun Schluss. Denn die Steuereinnahmen brechen massiv ein. Jetzt macht die Stadt wieder Schulden
Ingolstadt Es ist schon lange her, dass die Stadt Ingolstadt zum letzten Mal einen Kredit aufgenommen hat. Finanzreferent Franz Fleckinger muss erst in seinen Unterlagen blättern. An die 15 Jahre müsste das wohl her gewesen sein, sagt er. 2004 gab’s zum letzten Mal eine größere finanzielle Delle. Seitdem baute Ingolstadt üppige Rücklagen auf und im Gegenzug schmolzen die Schulden nur so dahin. Bis schließlich im vergangenen Jahr beim Schuldenstand eine „0“stand. Ingolstadt, viele Jahre lang die bayerische „Boomtown“, war schuldenfrei.
Doch die fetten Jahre sind vorbei. Schuld ist nicht nur die Pandemie. Schuld ist auch, dass die Stadt schon immer eine Autostadt war, deren Wohl und Wehe an Audi mit seinen 44 000 Mitarbeitern hing. In guten wie in schlechten Zeiten. Nicht umsonst heißt ein geflügeltes Wort in Ingolstadt: „Wenn Audi hustet, dann hat die Region eine Lungenentzündung.“Und Audi hustet grade ganz ordentlich. Diesel-Krise, Transformationsprozesse bei den Autoherstellern und eben Corona: Das Unternehmen habe die drei Krisen mit voller Wucht getroffen.
Die Folge ist nicht nur, dass Audi deutschlandweit rund 9500 Stellen abbauen will. Die Steuereinnahmen, die in der Stadt an der Donau in den vergangenen Jahren regelrecht gesprudelt sind, werden bereits in diesem Jahr massiv zurückgehen. „Bei der Gewerbesteuer rasseln wir so was von nach unten“, sagt Oberbürgermeister Christian Scharpf von der SPD, der seit Frühjahr im Amt ist. Zu Spitzenzeiten konnte Ingolstadt fast eine viertel Milliarde Euro
Ohne Kompensationszahlungen von Bund und Land gibt es in diesem Jahr nicht einmal mehr 40 Millionen Euro. Und auch bei der Einkommen- und Umsatzsteuer wird es merklich weniger werden.
Fleckinger rechnet damit, dass innerhalb von drei Jahren allein mehr als 150 Millionen Euro an Steuern fehlen werden. Die Konsequenz ist, dass Ingolstadt nach vielen Jahren wieder Schulden machen muss. Nicht gleich im kommenden Jahr, da reichen die Ersparnisse aus den „fetten Jahren“noch. Aber 2022. Mit 140 Millionen Euro wird – treffen die Prognosen ein – Ende 2024 die Stadt in den Miesen sein.
Ingolstadt muss sparen. Und das in einer Zeit, in der die Stadt in große Bauprojekte investiert, vor allem in Schulen und Kindergärten. In den kommenden vier Jahren sollen 500 Millionen Euro allein dafür ausgegeben werden. Christian Scharpf will dann auch beruhigen: „Es wird keine Schule und keine Kindertagesstätte später fertiggestellt, weil wir jetzt eine finanzielle Durststrecke durchlaufen.“Und auch die Kamverbuchen. merspiele – eine neue Spielstätte für das Stadttheater – will er weiterhin bauen lassen. Letzte Kostenberechnung: fast 40 Millionen Euro. Jede Menge Bagger und Kräne stehen seit vielen Jahren auch auf einem riesigen innerstädtischen Areal, dem ehemaligen Gießereigelände: Für viele Millionen Euro entstehen hier ein Hotel, ein Kongresszentrum, das Museum für Konkrete Kunst und Design und das Digitale Gründerzentrum Brigk.
Ein Konsolidierungsprogramm soll nun die Stadt finanziell durch die kommenden klammen Jahre bringen. Oberbürgermeister Scharpf will den Personalhaushalt genauer unter die Lupe nehmen – „und zwar nicht auf dem Rücken des Personals“– er kann sich vorstellen, Projekte gerade im Straßenbau zu verschieben und insbesondere die Baukosten besser im Blick zu behalten. Auch eine Anhebung des Grundsteuerhebesatzes bringt er ins Gespräch. Die Verwaltung soll jetzt jedenfalls auf die Suche nach Möglichkeiten zum Sparen und Geldverdienen gehen.
Scharpf will keine „düsteren Szenarien an die Wand malen“. Er spricht auch von großen Hoffnungsschimmern, die Ingolstadt halbwegs unbeschadet aus der Krise kommen lassen könnten. Direkt neben dem Fußballstadion bauen Audi und die Stadt als Joint Venture den INCampus. Auf dem Areal, auf dem einst eine Raffinerie stand, sollen in den kommenden Jahren tausende von hoch qualifizierten Jobs entstehen. Und dann gibt es auch noch Urban Air Mobility (UAM). Die Initiative fördert die Mobilität in der dritten Dimension, beispielsweise die Entwicklung und den Bau von Drohnen und Flugtaxis. Erst vor wenigen Wochen sind vom Land Bayern 100 Millionen Euro für entsprechende Projekte versprochen worden.
Und auch von Audi kamen vor ein paar Tagen ein paar positive Signale angesichts eines nicht mehr ganz so düsteren dritten Quartals. „Der Audi Konzern blickt aktuell vorsichtig optimistisch auf das verbleibende Jahr“, heißt es in einer Zwischenmitteilung. Die Stadtpolitiker werden die Nachricht ziemlich aufmerksam verfolgt haben.