„Wir sind immer egoistischer geworden“
Interview Reinhold Messner hat in seinem Leben schon viele Berge bestiegen und genießt auch im Alltag den Blick über den Tellerrand. Umso entsetzter ist er über Trumps Populismus und Corona-Leugner
Herr Messner, wo erreiche ich Sie gerade?
Reinhold Messner: In meinem Büro auf Schloss Sigmundskron. Auch in Südtirol ist die Mobilität derzeit sehr eingeschränkt. Und ich halte mich an die Vorgaben.
Das war früher anders. Sie haben wahrscheinlich öfter als jeder andere Mensch ganz oben gestanden auf den Gipfeln und haben hinuntergeblickt auf die Welt. Wie sehr hat diese Erfahrung Ihre Weltsicht geprägt?
Messner: Das Ganz-Oben-Stehen ändert den Blick nicht. Je höher die Berge, desto weniger wichtig ist die Emotion „Gipfel“. In den Alpen kann es schon passieren, dass ich mir am Gipfel Zeit gönne, die Aussicht genieße, mich aufplustere über das, was ich geschafft habe. Bei den hohen Bergen aber ist der Gipfel nur ein Knickpunkt. Da gibt es den großen Drang zurück in die Sicherheit, den Selbsterhaltungstrieb. Das positive Gefühl dort heißt „Ich lebe noch“– und kann mein Leben mit neuen Herausforderungen füllen.
Über diese Herausforderungen und die Frage der Sinnhaftigkeit des Bergsteigens haben Sie ja auch oft und gern geschrieben.
Messner: Natürlich ist Bergsteigen nutzlos, das weiß ich auch. Aber weil es nutzlos ist, ist es umso wichtiger, dass ich dem nutzlosen Tun Sinnhaftigkeit gebe. Das Recht, Sinn in unser Tun hineinzulegen, haben wir alle im gleichen Maße. Aber heute sind wir mit einer Problematik befasst, die wir seit den Weltkriegen nicht kannten.
Pandemie war ich in Bhutan, in Nepal, in Äthiopien. Ich kam nach Hause und hielt vier Vorträge. Das war’s. Seither lebe ich das Leben eines Pensionisten, es ist völlig ungewohnt für mich, obwohl ich Pensionär bin. Die Museen stehen plötzlich ohne Besucher da, aber die Kosten laufen weiter. Mit dieser Situation habe ich nie gerechnet. Und dann muss ich mir derzeit auch die Fahrt in mein Büro genehmigen lassen. Aber ich lebe damit. Ich habe verstanden, dass wir nur gemeinsam durch diese Krise kommen. Und nun warten wir alle auf den Impfstoff. wusstsein ist aus dem Gleichgewicht geraten. Um das alles wieder zurechtzurücken, bräuchten wir hunderte von Jahren. Dabei haben wir eine großartige Forschung, großartige Mediziner und Virologen, auch wenn wir derzeit nicht in der Lage sind, eine eindeutige Antwort auf Covid-19 zu finden. Aber vor Jahrhunderten hätte diese Pandemie die Hälfte der Menschheit ausgerottet. Und heute glauben viele nicht einmal, dass es das Virus gibt. Auch Trump, obwohl er selbst daran erkrankt war. falschen Heilsbringern auf den Leim zu gehen?
Messner: Unbedingt. Wir sind Erdbewohner, und als solche tragen wir Mitverantwortung für die gesamte Menschheit. Deshalb sollten wir auch über den Kirchturm hinausschauen, andere Länder und Kulturen kennenlernen. Wie wichtig das ist, hat zum Beispiel die große Hilfsbereitschaft nach dem Erdbeben in Nepal gezeigt. es anders machen. Nur, wenn sie mit Verzicht argumentieren, werden sie keine Stimmen bekommen. Die Populisten dagegen wissen genau, welche Argumente ihre Anhänger hören wollen. Was wir brauchen, sind Menschen, die Verantwortung übernehmen. Das, was zum Beispiel Angela Merkel tut.