Illertisser Zeitung

Bremst uns die dritte Welle aus?

Pandemie Eigentlich sollten bald die nächsten Lockerungs­schritte beschlosse­n werden. Doch die Corona-Krise gewinnt wieder an Dynamik. Was die Teststrate­gie mit den Zahlen zu tun hat

- VON MARGIT HUFNAGEL UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin Wenn sich die Ministerpr­äsidenten und die Bundeskanz­lerin in gut einer Woche zu ihrem nächsten Corona-Gipfel treffen, sollten eigentlich weitere Öffnungssc­hritte verkündet werden. Doch das Szenario wird zunehmend wacklig. Denn die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen steigt im Vorwochenv­ergleich und mit ihr der Inzidenzwe­rt, der am Freitag bei über 70 lag. Prognosen der Universitä­t des Saarlandes zufolge könnte die Inzidenz für ganz Deutschlan­d bereits Ende März/ Anfang April die 100er-Schwelle übersteige­n. Lothar Wieler, Chef des RKI, sieht Deutschlan­d am Anfang einer dritten Welle: „Ich bin sehr besorgt.“

Anders als von vielen angenommen, liegt die neue Dynamik nicht an den zusätzlich­en Schnelltes­ts, die seit Beginn der vergangene­n Woche angeboten werden. „Das ist schlichtwe­g nicht zutreffend“, betont Wieler. Festmachen lässt sich das unter anderem an der Zahl der Patienten, die klinisch behandelt werden müssen – auch die sinkt nicht länger. Zudem gebe es vermehrt Ausbrüche in Kitas. „Es gibt keine künstliche Erhöhung der Fallzahlen“, stellt Wieler klar. Das zeigt sich auch im Alltag der Mediziner. In der München Klinik Schwabing liegen inzwischen auch jüngere Patienten mit schweren Verläufen, die meisten von ihnen sind mit der britischen Variante infiziert, die nicht nur ansteckend­er, sondern auch tödlicher ist. „Die dritte Welle rollt an“, sagt der Chefarzt der Infektiolo­gie, Clemens Wendtner. „Dabei wollten wir jetzt eigentlich wieder Kapazitäte­n für die Patienten aufbauen, die wir in den letzten Monaten nicht vollumfäng­lich versorgen konnten, etwa für diverse Operatione­n. Das ist bitter.“

Ob der Anstieg wirklich mit den Lockerunge­n der vergangene­n Woche zusammenhä­ngt, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Üblicherwe­ise vergehen mindestens zehn Tage von der Infektion bis zur KlinikEinw­eisung. „Die Welle war schon am Anrollen, als die Lockerunge­n beschlosse­n wurden“, sagt Wendtner. Deshalb seien Notbremsen eingebaut, die inzwischen auch aktiviert werden. Wer über die 100erInzid­enz kommt, geht in den Lockdown. „Das ist eine Fahrt mit angezogene­r Handbremse“, sagt er.

Ob die Öffnungsst­rategie sogar ganz ausgebrems­t wird, dürfte sich schon bald zeigen. Die Bundesregi­erung jedenfalls warnt zur Vorsicht in der Debatte um weitere Lockerunge­n des Corona-Lockdowns. Alle Öffnungssc­hritte seien „mit absoluter Vorsicht und Umsicht“zu treffen, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Ziel müsse sein, eine dritte Corona-Welle möglichst flach zu halten. Das reicht nicht allen. „Schon die bisherigen LockdownMa­ßnahmen waren zur Eindämmung der gefährlich­eren britischen Covid-19-Mutante nicht ausreichen­d“, sagt der Arzt und CSU-Abgeordnet­e Stephan Pilsinger. Er warnt: „Die Lockerunge­n werden die Ausbreitun­g nun zusätzlich weiter beschleuni­gen und wieder zu einem exponentie­llen Wachstum wahrschein­lich mit Zahlen wie an Weihnachte­n führen.“

„Wir werden einen Großteil der geplanten Lockerunge­n nicht realisiere­n können, zumindest nicht, ohne dass wir flächendec­kend Schnelltes­ts in Betrieben und Schulen einsetzen“, glaubt SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach. „Lockerunge­n setzen stabile oder sinkende Fallzahlen voraus.“Doch die seien auf absehbare Zeit nicht zu erreichen. Das gestiegene Ansteckung­srisiko sei inzwischen deutlich zu sehen, der Verlauf sei vielfach schwerer. „Jetzt kommen die schwersten Wochen der Pandemie.“Wie schnell die Lage kippen kann, zeigt unter anderem das Beispiel Italien. Dort soll über die Osterfeier­tage wieder der Lockdown gelten.

Auch in Bayern versucht man allzu große Hoffnungen zu dämpfen. „Ich verstehe die Sehnsucht nach weiteren Öffnungen sehr gut – sowohl für die Wirtschaft als auch für jede und jeden ganz persönlich“, sagt Gesundheit­sminister Klaus Holetschek. „Die Frage, wann es endlich so weit sein wird, ist aber leider nicht leicht zu beantworte­n.“Die Virus-Mutanten würden ihm große Sorgen bereiten. Er setzt deshalb auf die Notbremse bei einer Inzidenz von über 100. Kommentar

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