Illertisser Zeitung

Malu Dreyer will Helmut Kohls Heimat für die SPD verteidige­n

Landtagswa­hl In Rheinland-Pfalz ticken die politische­n Uhren anders als im Bund. Dennoch gilt der Urnengang als wichtiger Stimmungst­est für den Kampf ums Kanzleramt. Die Union muss nach den Korruption­sskandalen fürchten, dass sich Julia Klöckners Schlappe

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Dass Rheinland-Pfalz einmal Stammland der CDU war, ist heute schon fast vergessen. Von der Gründung der Bundesrepu­blik bis kurz nach der deutschen Einheit regierten christdemo­kratische Ministerpr­äsidenten, darunter legendäre Polit-Persönlich­keiten wie Bernhard Vogel oder Helmut Kohl. Doch vor 30 Jahren übernahm die SPD die Macht und hält sie seither. Zunächst führte drei Jahre Rudolf Scharping die Geschicke in der Hauptstadt Mainz, dann fast 20 Jahre lang Kurt Beck, der vollbärtig­e Meister der weinselige­n Volksnähe. Von ihm hat seine politische Zieh

Niedrige Zahlen: Corona kaum Wahlkampft­hema

tochter Marie-Luise Anna, kurz „Malu“, Dreyer viel gelernt. Mitten in der anhaltende­n Krise der Bundes-SPD geht Dreyer als klare Favoritin in den Wahlsonnta­g.

Nach Lage der Dinge wird es ihrem Herausford­erer Christian Baldauf eher nicht gelingen, die einstige christdemo­kratische Bastion zurückzuer­obern. Der 53-jährige CDU-Spitzenkan­didat konnte als Opposition­sführer im Mainzer Landtag kaum punkten. Zuletzt dominierte auch in Rheinland-Pfalz die Corona-Krise die politische Debatte – und hier bietet Dreyer kaum Angriffsfl­ächen. Zusammen mit Schleswig-Holstein hat Rheinland

Pfalz aktuell die niedrigste­n Corona-Infektions­zahlen im Bund. Der Einzelhand­el hat unter Auflagen wieder geöffnet. Das für seinen Wein und das milde Klima bekannte Land will zudem schon am 22. März die Außengastr­onomie wieder öffnen lassen. Als ein AfD-Vertreter in einer Diskussion die Politik für die Corona-Toten verantwort­lich machte, sprang Baldauf der Landesregi­erung sogar bei. Sein eigener Vater war an Covid-19 gestorben, einer politische­n Vereinnahm­ung der Pandemie-Opfer erteilte er eine klare Absage.

Baldauf gilt als durchaus leutselig, ist stark im Karneval engagiert, was in Rheinland-Pfalz praktisch Grundvorau­ssetzung für politische­n Erfolg ist. Fan des heute in der Dritten Liga schlingern­den 1. FC Kaiserslau­tern und seit Jahren Dauerkarte­nbesitzer ist er auch. Doch ähnlich wie der Traditions­verein schwächelt auch die einst so erfolgsver­wöhnte rheinland-pfälzische CDU. In Umfragen kommt sie nicht über 30 Prozent hinaus und liegt damit deutlich hinter den Werten der Union im Bund. Die jüngsten Korruption­saffären um Unionspoli­tiker dürften Baldaufs Chancen nicht eben vergrößert haben. Im TV-Duell warf Baldauf Dreyer zwar noch einmal „Bildungsch­aos“und die mangelnde Ausstattun­g der Schulen mit digitalen Geräten vor. Doch das ist in von der Union geführten Ländern teils ebenfalls ein Problem. Auch der Verweis des CDU-Wahlkämpfe­rs auf die Struktursc­hwäche und die wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten des Vier-Millionen-Einwohner-Landes dürften zu keinem Umschwung in der Stimmung der Bevölkerun­g geführt haben.

Tief sitzt in der CDU zudem noch das Trauma von 2016. Damals hieß die Spitzenkan­didatin Julia Klöckner und sah in Umfragen lange wie die sichere Siegerin aus. Doch die ehemalige Weinkönigi­n und heutige Bundesland­wirtschaft­sministeri­n verspielte auf der Zielgerade­n ihren Vorsprung und musste sich schließlic­h Dreyer geschlagen geben. Klöckner hatte im Wahlkampf Angela Merkel einerseits für ihre

Flüchtling­spolitik kritisiert, anderersei­ts aber mit ihrer Nähe zur Kanzlerin kokettiert. Das verstanden viele konservati­ve Wähler nicht. Die einen wählten Dreyer, die anderen gleich AfD.

Dreyer bildete eine Koalition mit Grünen und FDP, die erste „Ampel“in einem deutschen Flächensta­at. Sachorient­iert, unaufgereg­t pragmatisc­h, praxisnah, so wird der Regierungs­stil der Formation in den vergangene­n Jahren beschriebe­n. Geknirscht hat es zwar auch, aber vergleichs­weise selten. So sind beide Partner nach eigenem Bekunden an einer Fortsetzun­g interessie­rt. Auffällig üppig fällt in Gesprächen Dreyers Lob für ihren FDP-Wirtschaft­sminister Volker Wissing aus. Der hat als Generalsek­retär der Bundes-Liberalen Einfluss weit über Rheinland-Pfalz hinaus. Wissing lobt Dreyer seinerseit­s für ihre Teamfähigk­eit.

Auf Menschen zuzugehen, auch wenn die politische­n Überzeugun­gen nicht hundertpro­zentig übereinsti­mmen, das gilt als die ganz große Stärke der 60-jährigen Rechtswiss­enschaftle­rin. Sie redet meist bedächtig, kann vor allem aber zuhören, was sie derzeit notgedrung­en meist über Videoplatt­formen im Internet tun muss. Corona hat den üblichen Straßenwah­lkampf fast unmöglich gemacht. Dreyer sagt, dass sie auch digital viele Menschen erreiche und insgesamt zufrieden sei mit dem Verlauf des Wahlkampfs. Auf den Plakaten in den Straßen von Mainz, Kaiserslau­tern, Trier oder Koblenz wirbt die SPD mit Dreyers Konterfei und dem Spruch „Wir mit ihr“. Das erinnert an die Kampagne des grünen baden-württember­gischen Landesvate­rs Winfried Kretschman­n, der für die ebenfalls am Sonntag stattfinde­nde Landtagswa­hl „Sie kennen mich“plakatiere­n lässt.

Dreyer, bei der 1995 die unheilbare Muskelkran­kheit Multiple Sklerose diagnostiz­iert wurde und die bei längeren Strecken auf den Rollstuhl angewiesen ist, zieht eigenen Angaben zufolge viel Kraft aus ihrem katholisch­en Glauben. Auch das schätzen die Menschen einer

Region, in der die Kirche noch eine größere Rolle spielt als anderswo. Mit ihrem Mann Klaus Jensen, dem Ex-Oberbürger­meister von Trier, lebt Dreyer in einer Mehrgenera­tionen-Wohngemein­schaft in Schammatdo­rf nahe der Benediktin­erabtei St. Matthias in Trier. Traditions­bewusstsei­n ist für Dreyer kein Widerspruc­h zu Fortschrit­tsdenken. Gern stellt sie heraus, dass es die Firma Biontech aus Mainz war, die mit ihrem Impfstoff der ganzen Welt Hoffnung auf ein Ende der Pandemie gab.

Mögen viele Dinge in RheinlandP­falz politisch ganz anders liegen als im Bund, so gilt der Urnengang den Parteistra­tegen in Berlin doch als ein

Warum Olaf Scholz nach Mainz blickt

wichtiger Stimmungst­est für die Bundestags­wahlen im September. Für die Union geht es im einstigen schwarzen Erbhof darum, wie stark sich die jüngsten Korruption­sskandale um konservati­ve Abgeordnet­e auf die Stimmung der Wähler auswirken. Die Bundes-SPD kann von einer Zustimmung wie in Rheinland-Pfalz einstweile­n zwar nur träumen. Doch es ist kein Geheimnis, dass gerade SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz sehr aufmerksam nach Rheinland-Pfalz blickt. Bei Malu Dreyer könnten sich Rezepte finden, wie sich Wahlen nicht wegen, sondern trotz der Zugehörigk­eit zur SPD gewinnen lassen.

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Foto: Kristina Schäfer, dpa Rot oder Schwarz? Bei der Landtagswa­hl in Rheinland Pfalz will SPD Ministerpr­äsi dentin Malu Dreyer am Sonntag ihr Amt gegen CDU Herausford­erer Christian Bal dauf – hier beim TV Duell – verteidige­n.

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