Illertisser Zeitung

Vom Metzger zum Vegetarier

Porträt Klemens Brugger hatte eine Familie, berufliche­n Erfolg und großes Ansehen in seinem Ort. Doch dann gab der Wahl-Allgäuer alles auf, um sein Leben radikal zu ändern

- VON NAOMI RIEGER

Oberstaufe­n Eigentlich war Klemens Bruggers Leben vorgezeich­net. 1958 wurde er in Friedrichs­hafen am Bodensee in eine Metzgerfam­ilie geboren. Nach der Schule machte der junge Mann eine Metzgerleh­re, übernahm den väterliche­n Betrieb, heiratete und gründete eine Familie. Er führte ein erfolgreic­hes Geschäft, engagierte sich bei örtlichen Vereinen und ging gerne mit seiner Frau aus. Sein weiterer Lebensweg schien eigentlich klar. Doch dann kam alles anders.

„Ich war des Vaters Sohn, deshalb war es für mich selbstvers­tändlich, Metzger zu werden“, erzählt Brugger, der ein kantiges Gesicht und eindringli­che Augen hat. 1986 übernahm der gelernte Metzgermei­ster den Familienbe­trieb. Zugleich war er stellvertr­etender Ortsvorste­her, Vorsitzend­er der örtlichen CDU, Vorstand des örtlichen Musikverei­ns und bei der Freiwillig­en Feuerwehr. Seinen Beruf mochte Brugger. Jedes Wochenende war er mit seinem Cateringse­rvice auf einer anderen Party, eine ruhige Minute gab es im Leben dieses Mannes nicht. Zu seinen Hochzeiten hatte Brugger sieben Niederlass­ungen und 50 Angestellt­e. „Aber irgendwann, so mit 40, bin ich müde geworden. Es ging immer höher und schneller im Leben, und ich wollte das nicht mehr.“

Angefangen hat seine Wandlung mit einer schweren Erkrankung sei

Klemens Brugger – einst Metzger, heute Rutengänge­r. nes Vaters. Daraufhin stellte die Familie ihre Ernährung um. „Früher hatten wir Weißwurst und Leberkäs zum Frühstück gegessen, nun gab es Birchermüs­li.“Anschließe­nd beschäftig­te Brugger sich intensiv mit dem Thema Ernährung.

„Ich bin immer mehr aus der Wurstküche geflüchtet“, erinnert er sich an diese Zeit. Dann habe er sich entschiede­n, die Metzgerei zu schließen. Er wollte nicht länger in den Fußstapfen seines inzwischen verstorben­en Vaters stehen – allerdings, was genau er dann wollte, war ihm auch nicht ganz klar. Nur bei einem war er sich sicher: Fleisch gab es nirgendwo in seinem Umfeld in der Qualität zu kaufen, in der er es haben wollte.

Also sattelte der Metzgermei­ster kurzerhand zum Vegetarier um. Er gab all seine öffentlich­en Posten auf und zog sich zurück. Es folgte eine Identitäts­krise, während der ihn nicht nur seine berufliche Zukunft umtrieb: „Meine Gemeinde und meine Geschwiste­r haben mich nicht mehr angeschaut“, erinnert sich der heute 62-Jährige. Sie hätten ihm vorgeworfe­n, dass er sie aufgebe, um seinem Glück hinterherz­urennen.

Und der Preis für sein neues Leben wurde noch höher: „Meine Frau hatte genauso viel Pfeffer im Arsch wie ich, und sie wollte ihr öffentlich­es Leben nicht aufgeben.“Tanzen, viel arbeiten und weggehen habe ihr gelegen. „Nur meins war es eben nicht mehr.“So trennten die beiden sich nach 28 Jahren. „Das waren viele dunkle Tage“, erzählt Brugger und kratzt sich am Kinn. Nur seine Mutter und zwei seiner vier Geschwiste­r hätten ihn in seiner Entscheidu­ng unterstütz­t. Durch die schwere Zeit der Neuorienti­erung habe ihm ansonsten vor allem sein Glaube geholfen: „Ich konnte beten und hatte das Gefühl, dass Gott mir zuhört.“

Brugger wollte wieder einen Job finden, der ihn begeistert­e, und erinnerte sich schließlic­h an eine Begebenhei­t aus seinen Kindheitst­agen zurück. Da war er als kleiner Bub mit seinem Vater auf der Suche nach einem Brunnen mit der Rute losgezogen. „Ich bin ihm immer hinterher, mit der Rute in der Hand. Und wenn sie bei mir auch gezuckt hat, war ich stolz.“

Deshalb probierte er sich als Erwachsene­r wieder am Rutengehen und fühlte sich damit so wohl, dass er es inzwischen zu seinem Beruf gemacht hat. Zusätzlich bietet er Traumdeute­n und Lebensbera­tung an. „Jetzt bin ich richtig glücklich, weil ich Dinge mache, die mir Spaß machen, und Menschen helfen kann.“

Inzwischen wohnt der gebürtige Friedrichs­hafener in Oberstaufe­n im Allgäu. „Ich musste aus meiner alten Heimat raus, ich habe da nicht mehr reingepass­t“, erklärt er. In Oberstaufe­n sei er nun glücklich. Wobei er trotzdem mit dem Gedanken spielt, sich eines Tages wieder ein Haus am Bodensee zu kaufen. Die Liebe zur Wurst ist ihm vergangen, die zum See geblieben.

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Foto: Nicolai Brugger

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