Illertisser Zeitung

Müssen Britinnen Angst haben?

Verbrechen Der Fall einer brutal getöteten jungen Frau in London hat im Königreich eine Sicherheit­sdebatte ausgelöst. Zumal der Tatverdäch­tige bei der Metropolit­an Police ist

- VON KATRIN PRIBYL

London Sie war auf dem Weg nach Hause an jenem Mittwochab­end vor einer Woche. Es war 21 Uhr. Es war dunkel. Die Straßen im Süd-Londoner Viertel Clapham waren zwar gut beleuchtet, aber aufgrund des Lockdowns verlassene­r als sonst. Nach einem Besuch bei einem Freund, nicht weit von ihrer Wohnung im hippen Viertel Brixton entfernt, telefonier­te die junge Frau noch mit ihrem Partner. Er sollte gegen 21.30 Uhr der Letzte sein, der von Sarah Everard hörte. Die 33-jährige Britin kam nie in ihrer Wohnung an.

Es begann eine groß angelegte Suchaktion. „Please Help“-Plakate klebten an Lampenmast­en und in Schaufenst­ern, in den sozialen Medien meldeten sich besorgte Bekannte und bewegte Fremde zu Wort. Sarah Everards Gesicht kannte plötzlich ganz Großbritan­nien. Am vergangene­n Mittwoch entdeckte die Polizei dann Leichentei­le in einem Wald in Ashford in der Grafschaft Kent. Am Freitag folgte die traurige Bestätigun­g: Sarah Everard ist tot.

Ein Mann war bereits am Dienstag verhaftet worden – und auch diese Nachricht löste Bestürzung aus. Denn es handelt sich um einen Polizeibea­mten. „Die Tatsache, dass der festgenomm­ene Mann ein Mitglied der Metropolit­an Police ist, ist schockiere­nd und sehr verstörend“, sagte Kommissar Nick Ephgrave. Der tatverdäch­tige britische Beamte war zum Zeitpunkt von Everards Verschwind­en nicht im Dienst. Seine Freundin wird nun der Beihilfe beschuldig­t. Die Ermittlung­en laufen.

Der Fall erschütter­t das Königreich – und insbesonde­re Frauen fühlen sich betroffen. Sie denken: Das hätte auch ich sein können. Das Schicksal Everards steht für einen Albtraum. Sie steht für alle Frauen, die täglich allein zu Fuß unterwegs sind und Angst haben, wenn Männer ihnen zu nahe kommen; die angepöbelt werden oder sexuell belästigt; die verfolgt werden und nach Hause hasten; die vorgeben, am Telefon zu sein, um potenziell­e Angreifer abzuschrec­ken; die sich im Laden um die Ecke verschanze­n, weil sie sich bedrängt fühlen oder Schritte hinter sich hören; die für den Notfall ihre Schlüssel als Waffe in der Hand halten oder extra flache Schuhe tragen, um gegebenenf­alls losrennen zu können.

In sozialen Netzwerken haben sich bereits tausende Frauen zu Wort gemeldet und von ihren Erfahrunge­n erzählt. „Frauen haben genug“, sagte Mandu Reid von der Women’s Equality Party, einer feministis­chen Partei. „Wir wollen auf der Straße gehen dürfen ohne Angst vor Belästigun­g oder Gewalt.“Die Wut vieler Britinnen wurde noch angeheizt von dem Ratschlag der Polizei, in dieser Woche nicht mehr alleine nachts unterwegs zu sein. Denn: Warum sollen die potenziell­en Opfer bestraft werden? Warum ist es auch im Jahr 2021 nicht sicher für Frauen, abends oder nachts alleine unterwegs zu sein? Für diesen Samstag riefen Aktivistin­nen unter dem Titel „Reclaim These Streets“(„Holt euch diese Straßen zurück“) zu einer Mahnwache in einem Park nahe des Orts von Sarah Everards Verschwind­en auf.

Besonders tragisch ist, dass die Marketing-Managerin selbst alle möglichen Sicherheit­svorkehrun­gen getroffen hatte: Sie trug helle Kleidung und Turnschuhe, ging entlang großer Straßen und war am Telefon.

In die Debatte um die Sicherheit von Frauen schalten sich inzwischen auch immer mehr Männer ein und fragen nach Tipps, wie sie als unangenehm empfundene Situatione­n vermeiden können. Die Organisato­rin von „Reclaim the Night“(„Holt euch die Nacht zurück“)Protestzüg­en, Al Garthwaite, forderte sie auf, die Schuld nicht indirekt bei den Opfern zu suchen.

Etwa, indem sie Frauen nach Vorfällen fragen würden, was sie getragen hätten. Vielmehr sollten sie sich als Verbündete der Frauen anbieten und das Gespräch mit anderen Männern suchen. „Zu helfen heißt, aufzustehe­n und zu sagen: Alles, was Frauen daran hindert auszugehen und sich dabei sicher zu fühlen, ist inakzeptab­el“, sagte sie.

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Foto: Gareth Fuller, PA Wire, dpa Ermittler untersuche­n nach dem Fund von Leichentei­len ein Haus.

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