Illertisser Zeitung

Kopetzkys andere deutsche Virengesch­ichte

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Gibt es noch einen aus den 90ern, der Pop Literatur schreibt, ja, lebt? Wenn dann er:

(*1975). Musik, Literatur, Selbst inszenieru­ng, Fernsehen, Leben – alles eins. Gleich mit dem Debütroman „Solo album“(1998) wurde er zur Marke, ge hörte dann auch gleich als Jüngster ins popkulture­lle Edel Quintett „Tristesse Royal“um Christian Kracht und Co. Und bis heute ist diese selbstgefä­hrdende Exis tenz sein Schicksal (siehe „Panikherz“, 2016). Das Ich ist das Medium.

Man kann in diesen Zeiten ja schon fragen: Warum sich nun auch noch einen Roman antun, der von einem 50 Jahre zurücklieg­enden Seuchenaus­bruch in Deutschlan­d handelt? Aber die Antwort ist einfach: Weil er von Steffen Kopetzky ist. Denn dieser Autor aus Pfaffenhof­en an der Ilm hat etwa mit „Risiko“und zuletzt auch „Propaganda“so erzähleris­ch hinreißend­e wie klug konstruier­te Verarbeitu­ngen deutscher Geschichte abgeliefer­t, dass man sich ihm nun auch in „Monschau“mit großem Gewinn anvertraue­n kann.

Der Titel ist der Ort des Geschehens. Ein Städtchen in der Eiffel, in dem 1962 plötzlich hoch ansteckend­e und lebensgefä­hrliche Pocken ausbrechen – und das von den dort ansässigen Rither-Werken lebt, die nun ihr weltweit florierend­es Geschäft in Gefahr sehen. Menschen zwischen Angst und Wut, Medizin zwischen Politik und Wirtschaft… – wir kennen das. Dieser Autor aber macht daraus viel mehr. Denn mit seinen Hauptfigur­en geht es in die Tiefe von Zeit und Gesellscha­ft: ein Firmenverw­alter mit fragwürdig­er Vergangenh­eit, eine Unternehme­nserbin mit dem Veränderun­gsgeist der 60er, ein griechisch­er Arzt mit Gastarbeit­erprobleme­n. Und dann sind die zwei letzteren inmitten all dem auch noch doppelt infiziert: mit Jazz – und der Liebe. Wieder ein starker Kopetzky also. Wie man dann aufatmet, dass die Seuche nicht eskaliert, seufzt man auch, dass das Buch schon nach 350 Seiten endet… Schon mal vormerken, erscheint am 23. März. Wolfgang Schütz

Steffen Kopetzky: Monschau Rowohlt,

352 Seiten,

22 Euro

Ziemlich lustig dieses Buch. Das nur vorneweg, weil man als Leser bei einem Roman, in dem die aktuellen Identitäts­diskurse abgehandel­t werden, mit vielem rechnet, aber sicher nicht damit: dass sich das so launig und unverkramp­ft liest wie „Identitti“von Mithu Sanyal. Ein Debütroman, aber nicht die erste Veröffentl­ichung der Düsseldorf­er Kulturwiss­enschaftle­rin. Mit zwei viel diskutiert­en Sachbücher­n wurde sie als Autorin bekannt, eines über die „Vulva – Das unsichtbar­e Geschlecht“und das zweite „Vergewalti­gung. Aspekte eines Verbrechen­s“. Und nun also dieser Roman mit seinem schon schön schrägen Titel, in dem Identitäts­debatten ebenfalls mit viel Emotion geführt werden, aber Sanyal klug und trickreich den Boden zum Wanken bringt, auf dem all die wütenden Diskutante­n stehen. Und damit alle Gewissheit­en ...

Der Auslöser all des Chaos in diesem turbulente­n Roman ist die charismati­sche Saraswati, die an der Heinrich-Heine-Universitä­t in Düsseldorf Intercultu­ral Studies und Postkoloni­ale Theorie lehrt. Ein Star, internatio­nale Rednerin, gern gesehener Gast bei Maischberg­er und Lanz, von ihren Studenten fast abgöttisch verehrt. Wobei Saraswati nicht jeden in ihre Seminare aufnimmt, sondern weißen Studenten auch mal erklärt: „Packt eure Sachen. Ihr könnt nächstes Semester wiederkomm­en. Dieses Seminar ist nur für Students of Colour.“

Dann aber stellt sich heraus: Saraswati, benannt nach der indischen Göttin der Weisheit, die gerne mit wehender Dupatta den Raum betritt, ist weiß. Geboren als Sarah Vera Thielmann in Karlsruhe, Zahnarztfa­milie – Migrations­hintergrun­d: null! Oder auch: eine Biodeutsch­e also. Die Professori­n soll sich erklären, in den sozialen Medien prasseln Wut und Hass auf sie ein, irgendwann folgt auch die Kündigung. Nivedita, eine, wenn nicht die Lieblingss­tudentin, fährt zu Saraswati und will sie wegen des Verrats zur Rede stellen. Sie bleibt dann für die nächsten drei Wochen, wird im Shitstorm mitgewirbe­lt, ringt in einer von der Sommerhitz­e glühenden Wohnung drei Wochen lang mit... – ja, mit wem eigentlich?

Ein Professor, der sich eine neue Identität gibt ... Ein Klassiker der Weltlitera­tur erzählt diese Geschichte, „Der menschlich­e Makel“von Philip Roth. Da aber gibt sich der Wissenscha­ftler als weiß aus, stolpert letztendli­ch auch über eine Liebesbezi­ehung zu einer wesentlich jüngeren Putzfrau, die sich wiederum als Analphabet­in ausgibt. Identitäte­ndrama. Nun also eine andere Version. Die einer weißen Wissenscha­ftlerin, die sich fürs indische Aussehen einer Augen-OP unterzogen hat, die Haut mit Hormonen hat nachdunkel­n lassen und der Studentin verrät: Am schwierigs­ten sei es mit den Haaren gewesen, schwarz und schwer fallen sie nun über den Nacken ... Inspiriert wurde Mithu Sanyal für den Roman durch den realen Fall der amerikanis­chen Bürgerrech­tsaktivist­in Rachel Dolezal, die sich als schwarz ausgegeben hatte und das später so erklärte: Sie fühle sich schwarz mit afrikanisc­hen Wurzeln, trans-black sei vielleicht der richtige Ausdruck. Genau das ist

Mit „Generation Golf“(2000) hat er eine eigene Marke der Pop Literatur geschaffen, die sehr schön vorführt wie die bundesdeut­sche Jugend der 80er war – und den

Ursprüngen der Beat Poeten kaum ferner sein konnte. (*1971) legte noch ein bisschen nach („Anleitung zum Unschul digsein“, „Generation Golf zwei“) zog – mehr

Journalist, als Poet – dann aber weiter. An die Spitze von Redaktione­n, Auktions häuser, Verlage… Und wieder der

Bestseller­listen. Aber „1913“hat mit

Pop nun wirklich nichts mehr gemein. auch die Verteidigu­ngshaltung von Saraswati. Mal bezeichnet sie sich in den hitzigen Diskussion­en mit der Lieblingss­tudentin als postracial, dann erklärt sie sich zur Race-Terroristi­n, fragt: Wenn man sich sein Geschlecht aussuchen darf, warum dann nicht seine Rasse? Und überhaupt: Race ist nur ein Konstrukt – und habe sie nicht durch ihre Arbeit die Welt für People of Colour verbessert?

Was soll da die Studentin Nivedita nur dagegenhal­ten, die sie sich betrogen fühlt, verletzt und vor allem verwirrt, nachdem ihr die Professori­n als Rollenmode­ll abhandenge­kommen ist: „In einer Welt, in der Saraswati weiß ist, verstehe ich mich selbst nicht mehr.“Da kann auch die indische Göttin Kali nicht helfen, mit der Nivedita Gespräche führt, darüber in ihrem Blog schreibt. In dem spielen neben Identitäts­fragen übrigens auch Brüste eine Rolle, daher auch das Pseudonym: Identitti.

Mit Nivedita, der Heldin dieses Romans, teilt sich die Autorin die Herkunftsg­eschichte: Der Vater ist aus Indien, die Familie der Mutter stammt aus Polen. Das Kind: mixed raced, wie man sagt. Im Roman heißt es: „Ihr Problem war, dass sie das Gefühl hatte, Identitäte­n seien etwas für andere Leute. Und sie hätte kein Anrecht darauf, weil sie zwischen alle Kategorien und durch alle Ritzen fiel.“Zum ersten Mal repräsenti­ert fühlt sich Nivedita im Proseminar von Saraswati.

Dass Sanyal in die Diskussion diesen leichten Ton bringt, Campus-, Gesellscha­fts- und Debattenro­man in eine Form gießt, ist die eine Kunst. Die andere: Wie dieser Roman dennoch auch von großer Ernsthafti­gkeit getragen ist. Während Sanyal schrieb, geschahen die rassistisc­hen Morde von Hanau. Das Entsetzen, die Trauer sind ins Buch mit eingefloss­en. Für den Shitstorm, der über Saraswati, aber auch Nivedita fegt, hat die Schriftste­llerin, selbst oft schon im Zentrum eines solchen Sturms, Mitstreite­r um Beiträge gebeten: Und so finden sich nun eigens fürs Buch geschriebe­ne Tweets von Fatma Aydemir, Antje Schrupp oder Ijoma Mangold.

Was an „Identitti“neben all dieser kunstferti­gen Konstrukti­on aber vor allem beeindruck­t: dass Mithu Sanyal den Leser nicht nur einmal rasant quer durch den Theorie-Parcour treibt, sondern am Beispiel von Nivedita und Saraswati auch zeigt, wie sich in der hitzig geführten Debatte darüber sprechen und streiten lässt. Stefanie Wirsching

Mithu M. Sanyal: Identitti

Hanser,

432 Seiten, 22 Euro

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