Illertisser Zeitung

Isabel Allende plaudert über Emanzipati­on

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Anne Applebaum: Die Verlockung des Autoritäre­n A.d. Engl. von Jürgen Neubauer Siedler, 208 Seiten, 22 Euro

Gibt es nicht schon genug Bücher, die das Erstarken der neuen Rechten in seiner internatio­nalen Breite und nationalen Tiefe ergründen? Mag sein.

Doch dieses hier ist anders. Und nicht einfach nur, weil es von Anne Applebaum stammt, einer stets klugen und unter anderem auch schon mit Pulitzer Prize geehrten Journalist­in und Historiker­in. Dass auch Barack Obama dieses Buch in seine Liste der Lieblingsb­ücher aufnahm, hat mit der besonderen Perspektiv­e zu tun. Denn die gebürtige USAmerikan­erin ist ja nicht etwa Parteigeno­ssin. Applebaum lebt in Polen, ist inzwischen Polin, ist mit dem ehemaligen Minister Radoslaw Sikorski verheirate­t, einem Konservati­ven, ist selbst konservati­v. Und sie ist mit vielen Konservati­ven weltweit vernetzt. Wobei da in Teilen heute gilt: Sie war es. Und genau das ist das Problem, das ein großes politische­s ist, hier aber im unmittelba­r Persönlich­en offenkundi­g wird.

Und so beginnt dieses Buch, dessen Titel mit „Die Verlockung des Autoritäre­n“so analytisch abstrakt daherkommt, wie es endet: mit einer Party. Die eine findet 1999 eher improvisie­rt im Landhaus statt, freudig vereint feiern jüngere und ältere „Konservati­ve und Antikommun­isten“aus Polen, Europa, den USA. Die andere findet 20 Jahre später statt, der Rahmen zeugt vom gestiegene­n Wohlstand im Land, die Gäste aber von einer veränderte­n Lage. Denn einige von damals sind nicht nur einfach nicht wieder da – sie würden mit den nun Versammelt­en auch kein Wort mehr reden. Sie sind Gegner, zu Feinden geworden.

Es ist die Spaltung der Konservati­ven, die Abspaltung jener neuen Rechten, die hier offenkundi­g wird und die Applebaum dann von Polen ausgehend untersucht: in Ungarn, Spanien, England, Griechenla­nd, Frankreich, den USA… Nicht in Deutschlan­d, es fällt aber voll ins Beschriebe­ne. Denn es geht der Autorin ja eben um keine Systemanal­yse, sondern um das Verstehen im Konkreten, sichtbar gemacht an eigenen Begegnunge­n. Darunter auch Boris Johnson, der vom Rad steigt, als er sie auf der Straße sieht und in den nächsten Pub einlädt – war ja doch mal Schulfreun­d ihres in der Abgrenzung nach rechts auch nicht immer ganz sattelfest­en Ehemanns.

Aber Autoritari­smus? Das ist für Applebaum nach der Verhaltens­ökonomin Karen Stenner schlicht das Verlangen des Drittels „der Bevölkerun­g jedes beliebigen Landes“, das keine Komplexitä­t aushält, lieber Homogenitä­t will. Was links wie rechts sein kann. Aber die Nutznießer unserer Zeit – für Applebaum genährt durch gedankenpo­lizeiliche­s Auftreten von links – sind eben die Rechten, die mindestens in immer größerer Stärke in Parlamente­n sitzen, wenn nicht in der Regierung. Und sich nach langer Zeit nun auch wieder internatio­nal vernetzen.

Ihre Mechanisme­n: „mittelgroß­e Lügen“, Verächtlic­hmachung von „Eliten“, zu denen sie nicht selten eben noch zählten, von Liberalitä­t; das Säen von Chaos, das systematis­che Herunterre­den des Ist-Zustandes; das Übertreibe­n von Gefahren und das Ausspielen von Opferrolle­n… Und der sich eben vielerorts überrasche­nd schnell einstellen­de Erfolg – auch befördert durch die neuen Mittel im Internet – hat den Kurs bestätigt und treibt den Parteien die letzte Liberalitä­t aus. Siehe eben auch AfD.

Ob ein griechisch­er Gesprächsp­artner Applebaums recht hat, wenn er resigniere­nd meint, eine plurale Gesellscha­ft sei bei der Veranlagun­g des Menschen immer nur eine zeitlich begrenzte Ausnahmeer­scheinung? Die Autorin selbst – und damit ist sie eben sicher auch bei Obama – plädiert dagegen: „Da alle Autoritari­smen spalten, polarisier­en und Menschen in verfeindet­e Lager treiben, müssen wir im Kampf gegen sie neue Bündnisse eingehen; gemeinsam können wir Lügen und Lügner bekämpfen, und gemeinsam können wir darüber nachdenken, wie Demokratie im digitalen Zeitalter aussehen kann.“Wobei, optimistis­ch klingt sie auch nicht gerade: „Wie Flüchtling­e, die sich auf dunklen Wegen zu einem fernen Ziel durchkämpf­en, müssen wir durch die Nacht finden, ohne zu wissen, ob wir jemals ankommen werden.“Wolfgang Schütz

Isabel Allende: Was wir Frauen wollen A.d.Span. von Svenja Becker, Suhrkamp, 184 Seiten, 18 Euro

Olga Grjasnowa: Die Macht der Mehrsprach­igkeit Dudenverla­g, 128 Seiten, 12 Euro

„Was Frauen wollen“, glaubt Isabel Allende genau zu wissen – so verheißt es der Titel ihres Buches. Und die chilenisch­e Erfolgsaut­orin („Das Geisterhau­s“) war in ihrer Erinnerung schon im Kindergart­en Feministin. Der Vater hatte die Mutter sitzen lassen und Isabel begriff früh, dass sie gegenüber den Männern der Familie benachteil­igt war. Schließlic­h war Chile „Lichtjahre entfernt von der Frauenbewe­gung in Europa und den USA“. Auch sie selbst hat früh geheiratet und Kinder bekommen – ganz traditione­ll. Doch die Mitarbeit in einer frauenbewe­gten Zeitschrif­t hielt ihren Zorn gegen den lateinamer­ikanischen Machismo wach: „Wir schrieben mit dem Messer zwischen den Zähnen.“Aber an Männern, so schreibt Isabel Allende, hat es ihr in ihrem bewegten Leben nie gemangelt. Und ihre Enkel halten sie auf dem Laufenden, was Phänomene wie Genderspra­che und Polyamorie angehen. „In meiner Jugend nannte man das freie Liebe“, schreibt die 79-Jährige, sie selbst aber sei „heillos heterosexu­ell“und „hoffnungsl­os romantisch“.

Allende prangert zwar auch an: Abtreibung weiblicher Föten in Indien und China, Genitalver­stümmelung in Afrika, Vergewalti­gung und Menschenha­ndel in aller Welt… Fragt: „Wieso wird der Gewalt gegen Frauen nicht der Krieg erklärt?“Und ermuntert, in der Corona-Zeit nachzudenk­en, was für eine Welt wir wollen. Ihr Buch aber ist vor allem eine Plauderei zum Thema Gleichbere­chtigung, keine Kampfansag­e. Lilo Solcher

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