Als Mädchen unter lauter Jungen
Er ist die Instanz der deutschen Popkultur, eigentlich Journalist, ja und Wissenschaftler, klar. Aber bei (*1957) ist die Analyse mitunter kunstvoller als die Kunst selbst. Das beginnt nicht erst mit der Bestandsaufnahme „Sexbeat“(1985), ist längst nicht nur Zwischenstati on in seinen Jahren als Chefredakteur des Leitme diums „Spex“und ist mit dem neuen Standard werk „Über Pop Musik“(2014) sicher nicht auserzählt. Meint mancher einstige oder ewige Pop Literat (Kracht, Stuckrad Barre…), Identität sei ein Spiegelkabinett – Diederich sen könnte ihnen die Hersteller jedes einzel nen Spiegels nennen. Oder so.
Längst sind Frauen in der Welt des Fußballs nicht mehr auf die Rolle der Spielerfrau reduziert, aber Zweifel, Spott und hochgezogene Augenbrauen gibt es immer noch genug für Mädchen und Frauen, die sich im Fußball durchsetzen wollen. Davon erzählt Martina Wildner in ihrem erfrischenden Kinderbuch „Der Himmel über dem Platz“.
Jolanda, genannt Jo, hat es in ihrer Mädchenmannschaft geschafft. Sie ist die anerkannte Stürmerin der Truppe. Aber wer im Fußball etwas werden möchte, der muss bei den Jungs mitspielen können, deshalb wechselt Jo, auch auf Geheiß ihres ehrgeizigen Vaters, in einen anderen Verein und ist fortan einziges Mädchen in der Mannschaft. Ahmed, Sigi, Ron und Niclas machen es ihr nicht leicht. Nicht nur, dass es jetzt mit ihrer unangefochtenen Position vorbei ist, sie muss auch gegen Mobbing, Neid und Einsamkeit kämpfen. Das nagt so an ihr, dass sie sich selbst nichts mehr zutraut, im Fußball nicht und auch nicht neben dem Feld. Erst als ihr der Nachbar Kubitschek einen Rat gibt, findet sie ihre Stärke und sieht, dass sie nicht allein ist.
Wildners ungewöhnliches Fußballbuch wirft einen Blick auf Geschlechterstereotypen und Rollenzuweisungen. Treffend beschreibt die mehrfach ausgezeichnete Autorin die Stimmung in Jugendmannschaften, sie geht auf die Faszination des Sports genauso ein wie auf aggressive Väter am Spielfeldrand und die Ausgrenzung von Minderheiten. Birgit Müller-Bardorff
Romana Roman yschyn (T.), An drij Lessiw (Ill.): Sehen
Aus dem Ukraini schen von Claudia Dathe; Gerstenberg, 56 Seiten,
20 Euro
– ab 8 Jahre
Martina Wildner: Der Himmel über dem Platz
Beltz & Gelberg, 218 Seiten,
13,95 Euro
– ab 11 Jahre
Im Leben ist es nicht wie im Film. Da weiß man immer, womit man es zu tun bekommt. Im Science Fiction mit dem Weltraum, im Horror-Thriller mit Monstern, im Liebesfilm mit einem Happy End. Aber das Leben ist eben nicht so berechenbar, weiß Film-Fan Sebastian. Er ist sich deshalb nicht sicher, was er davon halten soll, dass er am Morgen noch einem Taylor-Swift-artigen PPW (perfektes weibliches Wesen) einen Kugelschreiber geliehen hat und nichts mehr erhofft hatte, als ein Wiedersehen mit diesem Traum-Mädchen, nun aber mit der flippigen Frida im Kino sitzt und „Casablanca“anschaut. Frida hat ihn aus einer peinlichen Situation gerettet, und jetzt sieht es so aus, als ob er sie nicht mehr los wird an diesem Schnuppertag an der Uni.
Der australische Erfolgsautor Michael Gerard Bauer startet furios in seinen neuen Jugendroman „Dinge, die so nicht bleiben können“und hält Tempo wie Niveau mühelos bis zum Ende. Nur knapp einen Tag beschreibt er und lässt dabei die Möglichkeiten anklingen, die das Leben 16-Jährigen bietet: die Erfahrung von Freundschaft, die Hoffnungen auf die Zukunft und die Sehnsucht nach Vertrauen, ebenso aber die tiefen Verletzungen, die in der Vergangenheit liegen. Das ganz große Gefühlskino also, aber nie driftet Bauer in Kitsch und Pathos ab. Witzig, spritzig und eloquent treffen – auch in der glänzenden Übersetzung von Ute Mihr – drei Jugendliche (Sebastians Freund Tolly ist zwischendurch auch mit dabei) aufeinander, die wissen, wie der Schlagabtausch mit Worten funktioniert. In „Nennt mich nicht Ismael“und den beiden Folgebänden hatte Bauer die flotte Dialogkunst schon zur Meisterschaft gebracht, nach einem allzu um Komik
Ein Pop Musiker, der sein eigenes Leben zu einer Art Pop Roman macht und darin seine Selbstfindung inszeniert. Das wäre dann wohl mal Pop zweiter Ordnung zu nennen. Der Protagonist heißt
(*1977), stammt aus dem schwäbi schen Heidenheim und ist mit seinem me lancholisch romantischen Songs in Asien am erfolgreichsten. Mit dem Buch „The Rise and Fall of Maximilian Hecker“(2012) aber hat er sein diskursives Kernwerk als Buch veröffentlicht – wenn man den glauben will, dass es ihn wirklich gibt… bemühten Abfall in „Die Nervensäge, meine Mutter, Sir Tiffy, der Nerd & ich“ist ihm dies nun wieder gelungenen. Bemerkenswert dabei: Die Figuren sind glaubwürdig, auch wenn es nur wenige Jugendliche geben wird, die es mit der Schlagfertigkeit Fridas, Sebastians und Tollys aufnehmen können.
Vor allem Tolly, der eigentlich Warren Peace heißt und seinen Spitznamen einem herrlichen literarischen Bezug verdankt, weiß, was er mit Worten bewirken kann. Seine Scharfsinnigkeit und seinen Mut nutzt er, um sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren. Ich-Erzähler Sebastian ist zurückhaltender, eher darauf bedacht, nicht aufzufallen, denn um sein Selbstvertrauen ist es nicht gut bestellt. Ihn zieht es beim Tag der offenen Tür an der Uni zu den Stadtplanern, „karrieremäßig eine sichere Bank“, denn Städte wird es immer geben.
Frida dagegen ist eine schräge Erscheinung, die auffällt: weiße Kleidung, weiß-blonde Haare, auf der einen Seite lang herabfallend, auf der anderen kurz geschoren, ein Ohr von oben bis unten mit Piercings und Ringen verziert. Je nachdem, von welcher Seite man sie ansieht, wirkt sie anders. Im Laufe des Tages bemerkt Sebastian, dass auch die Persönlichkeit des Mädchens einige Facetten hat. Ihr Auftreten ist forsch, aber ihr Blick verliert sich immer wieder, und ob die Geschichten, die sie so locker aus dem Ärmel schüttelt, wahr sind, daran bekommt er Zweifel. Es sind schockierende Erlebnisse, die sich dem Jungen durch Zufall dann offenbaren.
Aber Frida kann nicht nur erzählen, sondern auch zuhören, hat ein Gespür für die Zwischentöne Sebastians, hinter denen sich eine Familienkatastrophe verbirgt. So machen beide Teenager die Erfahrung, dass Reden zwar die traurigen Ereignisse nicht ungeschehen machen kann, aber der erste Schritt ist, mit der Vergangenheit abzuschließen. So wie Sebastians Großmutter ein Bild ihres brutalen Ehemannes im FotoAlbum ließ, weil es ihr gefiel „dem Bastard in die Augen zu schauen und dann eine neue Seite aufzuschlagen – eine Seite mit besseren und glücklicheren Erinnerungen.“
„Wenn du ein paar Erinnerungen brauchst… bessere, ich dachte einfach, ich könnte dir vielleicht dabei helfen…“, bietet Sebastian Frida an. Klingt nach einem Happy End, auch wenn „Dinge, die so nicht bleiben können“viel, viel mehr ist als eine Liebesgeschichte.
Birgit Müller-Bardorff
Michael
Gerard Bauer: Dinge, die so nicht bleiben können
Aus dem Engli schen von Ute Mihr; Hanser,
224 Seiten,
15 Euro
– ab 13 Jahre