Illertisser Zeitung

R-Pharm und der Schwarze Peter

- VON RONALD HINZPETER redaktion@illertisse­r zeitung.de

Geduld ist ein flüchtiges Gut. Das zeigt sich momentan besonders deutlich, denn bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie schlägt sich Deutschlan­d nicht so gut, wie die Bundesbürg­er lange glaubten. Wir halten uns für Organisati­onsweltmei­ster, doch nun kicken wir eher auf Kreisklass­en-Niveau herum. Vor allem eines klappt nicht: die Bevölkerun­g zügig durchzuimp­fen. Das können die Amerikaner deutlich besser, zu denen Deutschlan­d vergangene­s Jahr noch mitleidig rüber schaute. Angesichts dieser trüben Lage kam ein Hoffnungss­chimmer aus dem Landkreis NeuUlm: Bei R-Pharm in Illertisse­n soll das russische Vakzin Sputnik V produziert werden. Doch nun stellt sich heraus, dass hier russische Hemdsärmel­igkeit und deutsche Gründlichk­eit kollidiere­n.

Nach Recherchen unserer Redaktion hat das Unternehme­n unbeeindru­ckt von geltenden Vorschrift­en begonnen, die Produktion­sstätte umzurüsten. Deshalb wurde R-Pharm von Behördense­ite nahegelegt, einen „freiwillig­en Baustopp“einzulegen, Papiere nachzureic­hen und das Ganze genehmigen zu lassen. Ist das nun ein krasses Beispiel übertriebe­ner deutscher Bürokratie-Seligkeit? Wäre in dieser Mega-Krise nicht Pragmatism­us angebracht? Im Prinzip ja, doch dem Vernehmen nach hat die russische Seite eher nach der Devise gehandelt, was in Moskau auf dem ganz kleinen Dienstweg geht, klappt so auch in Deutschlan­d. Offenbar bekam selbst Gesundheit­sminister Klaus Holetschek bei seinem Besuch im R-Pharm-Werk vermittelt, dass Vorschrift­en nicht so wichtig genommen werden. Außerdem brauche Deutschlan­d ja dringend Impfstoff. Das war der Wink mit dem Zaunpfahl.

Jetzt liegt der Schwarze Peter bei den Behörden und Landrat Thorsten Freudenber­ger steckt in der Zwickmühle: Einerseits will er Impfstoff, anderersei­ts will er nicht als bürokratis­cher Bremser dastehen und als solcher vorgeführt werden. Natürlich darf er sich nicht auf der Nase herumtanze­n lassen, zumal es bei den ausstehend­en Genehmigun­gen um fehlenden Brandschut­z sowie den Immissions­schutz geht. Bei R-Pharm wird auch mit gefährlich­en Stoffen hantiert, was diese Woche ein Säure-Unfall auf dem Firmengelä­nde in Erinnerung rief. Die Sicherheit von Mitarbeite­rn oder der Menschen, die in der Nähe des Werks leben, darf nicht einfach missachtet werden, Pandemie hin oder her.

Die Behörden müssen nun allerdings zeigen, was sie können, und möglichst schnell für eine Genehmigun­g sorgen, also diesem Vorhaben höchste Priorität einräumen. Offenbar soll es wöchentlic­he Runden mit Firmenvert­retern, Landratsam­t, Regierung von Schwaben sowie dem Gesundheit­sministeri­um geben. Das klingt vielverspr­echend – und wenn alle Seiten mitziehen, könnte schnell die Sputnik-Produktion hochgefahr­en werden. Aber: Eine Genehmigun­g der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur EMA liegt noch nicht vor. Auf jeden Fall wäre es für den zuletzt nicht auf Rosen gebetteten R-Pharm-Standort Illertisse­n ein Quantenspr­ung, wenn dort künftig Impfstoff produziert würde. Es sollte so schnell wie möglich gehen, aber nicht um jeden Preis.

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Foto: Felix Oechsler (Archivbild) Von Anwohnern des Marktplatz­es sind immer wieder Beschwerde­n über nächtliche­n Lärm zu hören.
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