„Corona wird uns nicht verlassen“
Interview Der Immunexperte Carsten Watzl spricht über Risiken von AstraZeneca für Ältere, wie Infizierte geimpft werden und was Impfungen langfristig im Kampf gegen das Virus bewirken
Der Corona-Impfstoff von AstraZeneca wird nur noch ab 60 empfohlen. Doch auch bei den Älteren herrscht Verunsicherung. Wie sicher ist AstraZeneca für die ältere Bevölkerung? Carsten Watzl: Es ist natürlich schwierig, gegen ein Bauchgefühl zu argumentieren. Aber wenn man die Fakten betrachtet, muss man zunächst sagen, dass diese Nebenwirkungen auch bei den Jüngeren relativ selten waren. Nach der aktuellen Datenlage traten sie in einem Fall bei 90 000 Impfungen auf. Der entscheidende Punkt ist: Wenn man die Altersgruppe der unter 60-Jährigen aus der Impfung mit AstraZeneca herausnimmt, nimmt man auch das Nebenwirkungsrisiko von Sinusvenenthrombosen weitestgehend heraus. Denn Sinusvenenthrombosen treten generell bei über 60-Jährigen nicht gehäuft auf. Deshalb ist eine AstraZeneca-Impfung für über 60-Jährige genauso sicher wie eine Biontech-Impfung.
Warum treten die Hirnthrombosen als Nebenwirkung im Alter weniger auf? Watzl: Nach den aktuellen Erkenntnissen wird durch die Impfung mit AstraZeneca höchstwahrscheinlich bei diesen seltenen Nebenwirkungen eine Art Autoimmunreaktion ausgelöst: Das heißt, durch die Impfung werden sehr spezielle Antikörper gegen die Blutplättchen gebildet. Das passiert nur sehr selten, dazu muss man vermutlich eine besondere Veranlagung haben. Aber dabei ist das Immunsystem stark beteiligt. Und man weiß, bei den Älteren ist das Immunsystem nicht mehr so stark wie bei den Jüngeren.
Es heißt, AstraZeneca habe sogar bei der Erstimpfung eine höhere Wirksamkeit als Biontech. Ist das korrekt? Watzl: Ja, es gibt eine Studie aus Schottland, demnach wurde die Zahl der Krankenhausaufenthalte nach Erstimpfungen mit AstraZeneca zu 94 Prozent reduziert und bei Biontech zu 85 Prozent. Das ist ein Beispiel, wo AstraZeneca sogar besser wirkt als Biontech. Der Impfstoff schützt sehr effektiv vor schweren Verläufen und schließt Todesfälle nahezu komplett aus.
Warum wird für Menschen, die bereits eine Corona-Infektion durchgemacht haben, nur eine Einfach- statt einer Zweifachimpfung empfohlen?
Watzl: Wenn man Menschen impft, die bereits eine Infektion hinter sich haben, wirkt die Erstimpfung bereits so erfolgreich wie die zweite Dosis bei Menschen, die sich zuvor nicht infiziert hatten. Diesen Effekt kann man zum Beispiel am Antikörperspiegel messen. Die Infektion wirkt quasi wie eine Erstimpfung, die man dann mit einer Dosis quasi nur auffrischen muss. Das wirkt nach den vorliegenden Daten auch bei den Menschen, die sich in der ersten Corona-Welle infiziert haben.
Wie lange wird uns Corona möglicherweise noch beschäftigen, wenn die Impfungen voranschreiten?
Watzl: Corona wird uns nicht verlassen. Wir werden dieses Virus auch durch die Impfungen nicht ganz ausrotten können. Es wird wie bei der Grippe möglicherweise jeden Winter eine kleine Corona-Welle über Deutschland schwappen. Aber das wird dann eine Atemwegsinfektion sein, gegen die man sich impfen lassen kann. Sobald die Bevölkerung im Herbst eine Grundimmunität gegen diese Krankheit hat, wird man Corona tatsächlich mit einer Art Grippe vergleichen können, auch wenn dieser Vergleich zum heutigen Zeitpunkt unzutreffend ist. Schwere Verläufe wird es dann vor allem bei den Menschen geben, die sich nicht haben impfen lassen.
Und bei den Geimpften? Wie lang hält ihr Schutz?
Watzl: Bei Geimpften sind nur milde Verläufe zu erwarten. Der Impfschutz wird sicher mehrere Jahre anhalten. Die Impfung sorgt für einen höheren Antikörperspiegel als eine durchgemachte Infektion. Möglicherweise kommen wir in eine Situation wie bei einer Tetanus-Impfung, die man alle fünf bis zehn Jahre auffrischen muss. Es kann aber auch sein, dass durch die Grundimmunität in der Bevölkerung das Virus zu einer harmloseren Form mutiert, um weiter überleben zu können. Doch das ist Spekulation. Aber jeder, der sich jetzt nicht impfen lässt, wird auch noch jahrelang das Risiko eines schweren Verlaufs haben.
Interview: Michael Pohl
Carsten Watzl ist Professor an der Uni Dortmund und Ge neralsekretär der Deut schen Gesellschaft für Immunologie. Auf You
Tube betreibt er den
Kanal „Watzl Weekly“.