Illertisser Zeitung

Wollen die Älteren AstraZenec­a?

Pandemie Das Präparat wird nur noch Menschen über 60 Jahren geimpft. Doch die Verunsiche­rung ist groß, mancherort­s lehnt die Hälfte das Mittel ab. Wie die Lage in den Impfzentre­n ist und welche Probleme es mit der Zweitimpfu­ng gibt

- VON STEPHANIE SARTOR UND DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Dr. Max Kaplan redet nicht drum herum. „Die Hälfte der über 60-Jährigen will diesen Impfstoff nicht.“Dieser Impfstoff, von dem der Unterallgä­uer Impf-Koordinato­r spricht, ist – natürlich – AstraZenec­a. Das Präparat, dessen Image in den vergangene­n Wochen schwer beschädigt wurde.

Nach einem Beschluss der Gesundheit­sminister von Bund und Ländern soll das Mittel in der Regel nur noch bei Personen ab 60 Jahren eingesetzt werden. Jüngere sollen sich aber „nach ärztlichem Ermessen und bei individuel­ler Risikoanal­yse nach sorgfältig­er Aufklärung“weiterhin damit impfen lassen können, heißt es in dem Beschluss. Unter 60-Jährige würden nun von der Software BayIMCO gar nicht mehr zu einer Impfung mit AstraZenec­a eingeladen, erklärt Kaplan. „Auf der anderen Seite sind viele über 60-Jährige nicht gerade begeistert, dass sie nun AstraZenec­a bekommen sollen. Sie sind sehr verunsiche­rt.“Dass es eine große Zurückhalt­ung gibt, zeigen auch die Zahlen. Manchmal etwa werden Kaplan zufolge 50 Termine ausgeschri­eben – nach zwei, drei Stunden würden davon aber nur 15 angenommen. „Normalerwe­ise geht das schneller“, sagt Kaplan. Die Mitarbeite­r im Impfzentru­m rufen dann bei den Leuten an, fragen, ob sie den Termin vielleicht übersehen haben. „Viele sagen dann, dass sie warten, bis sie beim Hausarzt geimpft werden können. Und andere machen sehr deutlich, dass sie keine Impfung mit AstraZenec­a wollen.“

Kaplan hofft, dass es bald eine Versachlic­hung der Diskussion gibt. Dass noch einmal klargemach­t wird, dass es bei Menschen über 60 Jahren so gut wie keine Nebenwirku­ngen gibt. Und dass den Menschen in dieser Altersklas­se bewusst wird, dass das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf um ein Vielfaches größer ist als das einer gravierend­en Impfnebenw­irkung. „Ich will keine vollen Kühlschrän­ke“, macht Kaplan deutlich. „Was wir haben, soll auch verimpft werden.“

Eine große Verunsiche­rung ist vorhanden, das kann auch Gregor Blumtritt bestätigen, Ärztlicher Leiter der Impfzentre­n in Kaufbeuren und Marktoberd­orf. Jedes Patienteng­espräch beendet der Allgemeinm­ediziner in seiner Gemeinscha­ftspraxis in Kaufbeuren, in der seit vergangene­r Woche auch geimpft wird, gerade mit Fragen zum Impfen. So ernst er die möglichen Nebenwirku­ngen von AstraZenec­a auch nimmt, ganz nachvollzi­ehen kann er die jetzige völlige Kehrtwende nicht: „Ich würde eine individuel­le Risikoabwä­gung bevorzugen, so wie es ja auch die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde und die WHO vorschlage­n.“Auch warum nicht wenigstens Männer unter 60 Jahren weiter AstraZenec­a erhalten, ist für den Allgemeinm­ediziner nicht schlüssig.

Blumtritt beobachtet aber keine Ablehnung von AstraZenec­a bei Menschen über 60 Jahren: „Gerade bei den Menschen über 70 hat sich meiner Beobachtun­g nach die richtige und wichtige Erkenntnis durchgeset­zt, dass eine Covid-19-Erkrankung für sie extrem lebensgefä­hrlich ist. Sie nehmen daher jeden Impfstoff.“Gleichwohl war es seines Erachtens natürlich nicht zielführen­d, dass zunächst AstraZenec­a nicht für Ältere eingesetzt werden durfte und jetzt ausschließ­lich – „diese ganze Informatio­nspolitik ist schon sehr verwirrend“. Am meisten ärgert Blumtritt aber die fehlende Planungssi­cherheit: „Eine Planung über fünf Tage hinaus wäre meine wichtigste Forderung.“So wüssten weder die Impfzentre­n noch die Hausarztpr­axen, wie viel und welchen Impfstoff sie wirklich bekommen: „Das erschwert die Vergabe von Impftermin­en ganz massiv“, erklärt Blumtritt. „Wir vergeben daher die Termine in unseren Impfzentre­n nur noch Woche für Woche, was natürlich die Organisati­on extrem schwierig macht.“

Besonders desaströs hält er die Informatio­nslage für Menschen, die unter 60 Jahre sind und bereits eine Erstimpfun­g mit AstraZenec­a bekommen haben. „Da hängen auch wir Ärzte immer noch völlig in der Luft“, sagt Blumtritt. „Zwar zeichnet sich ab, dass diese Personengr­uppe als zweiten Impfstoff jetzt einen mRNA-Impfstoff erhält, aber genau wissen wir es noch nicht.“Und auch dies erschwere die Vergabe von Impftermin­en zusätzlich.

Malwine Zacher gehört zu den Menschen, die in so einer kniffligen Lage stecken. Die 40-Jährige aus Dillingen, die in einer Physiother­apiepraxis arbeitet, bekam Mitte Februar das Mittel von AstraZenec­a verabreich­t. Obwohl schon damals der Ruf des Präparats ins Wanken gekommen war, hatte Zacher keine Zweifel: „Nein, ein komisches Gefühl hatte ich nicht. Es gibt bei so vielen Medikament­en Nebenwirku­ngen, die im Beipackzet­tel stehen. Da macht sich auch keiner Sorgen.“Was sie nun aber umtreibt, ist eben die Frage, was jetzt eigentlich mit der Zweitimpfu­ng passiert.

„Ich möchte den zweiten Termin etwas hinauszöge­rn. Von neun auf zwölf Wochen“, sagt Zacher. „Ich will erst wissen, wie es weitergeht. Und ob es sinnvoll ist, einen komplett anderen Impfstoff draufzuset­zen. Und bevor ich da im Dunkeln tappe, würde ich mir lieber noch einmal AstraZenec­a impfen lassen.“

Sabine Adelwarth geht es ähnlich. Dass die 38-Jährige aus Dirlewang in der Nähe von Mindelheim bereits geimpft ist, hat zwei Gründe: Zum einen arbeitet sie als Arzthelfer­in, zum anderen leidet sie an Mukoviszid­ose, einer angeborene­n Stoffwechs­elerkranku­ng, bei der der Schleim in den Bronchien sehr viel zäher ist als normalerwe­ise. „Ich habe mir keine Gedanken gemacht, mich mit AstraZenec­a impfen zu lassen. Bei anderen Impfungen kennt man nicht einmal die Hersteller, da macht sich doch auch niemand Gedanken“, sagt sie. Eigentlich sollte ihre zweite Impfung am 3. Mai stattfinde­n – ob es dabei bleibt, weiß Adelwarth nicht. Und auch nicht, welchen Impfstoff sie dann bekommen wird. „Wenn es Biontech oder Moderna wird, dann ist das auch gut. Ich vertraue darauf, dass das alles gut geprüft wird.“

Vereinzelt komme es vor, dass sich auch Jüngere weiterhin noch mit AstraZenec­a impfen lassen wollen, berichtet Madeleine BestlerKra­us, Sprecherin des Landratsam­tes Neu-Ulm. „Die Impfzentre­n sind gehalten, diesen Wunsch abzulehnen“, fährt sie fort. „Diese Impfungen sollen von den Hausärzten, die die Impflinge besser kennen, vorgenomme­n werden.“Nicht nur bei der Beratung von Impfwillig­en unter 60 Jahren werden die Hausärzte künftig eine größere Rolle spielen. Nach dem Impfstart vergangene Woche in einigen Praxen sollen Hausärzte in Bayern nun flächendec­kend Spritzen gegen das Coronaviru­s verabreich­en. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayerns rechnet ab diesem Mittwoch mit einem Impfstart in rund 8500 Praxen.

Der Bundesvors­itzende des Hausärztev­erbandes, Ulrich Weigeldt, fordert derweil mehr Informatio­nen über die Nebenwirku­ngen von AstraZenec­a. „Impfen darf nicht zur Mutprobe werden – weder für die Patienten noch für den Arzt“, sagte Weigeldt der Bild. Es fehle bisher an Klarheit, welche Vorerkrank­ungen und Prädisposi­tionen die Geimpften hatten, bei denen Hirnvenen-Thrombosen aufgetrete­n waren. So sei es leichter einzuschät­zen, ob der Impfstoff auch Jüngeren gegeben werden könne.

Für weitere offene Fragen sorgt allerdings auch die Meldung, dass ab dem 19. April keine Belieferun­g der Impfzentre­n mit AstraZenec­a für Erstimpfun­gen mehr stattfinde­n soll. Dies bestätigte das bayerische Gesundheit­sministeri­um am Dienstagab­end unserer Redaktion. Die Länder werden demnach im April wöchentlic­h mit 2,25 Millionen Dosen Impfstoff beliefert, das heißt rund 350 000 Dosen für Bayern. Die Impfzentre­n würden den ihnen gelieferte­n Impfstoff entspreche­nd der Priorisier­ung weiter verimpfen. Doch nach dem 19. April können nach Angaben des Ministeriu­ms in den Impfzentre­n die über 60-Jährigen dann mit dem Impfstoff von Biontech oder Moderna erstgeimpf­t werden. Daneben erfolgten die anstehende­n Zweitimpfu­ngen mit AstraZenec­a. Erst- und Zweitimpfu­ngen mit AstraZenec­a würden nach jetzigem Informatio­nsstand in den Hausarztpr­axen stattfinde­n.

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Foto: Matthias Bein, dpa Das Mittel von AstraZenec­a soll nur noch Menschen über 60 geimpft werden.

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