Illertisser Zeitung

Hans Küng: Weltethos statt Amtskirche

Nachruf Er war ein weltumspan­nender Idealist mit Breitenwir­kung – und ein unbequemer Theologe mit Folgen

- VON ALOIS KNOLLER

Er konnte unglaublic­h süffisant formuliere­n. „Ich kann mir beim besten Willen nicht Jesus beim Pontifikal­amt im Petersdom vorstellen“, gab Hans Küng beim 2. Ökumenisch­en Kirchentag 2010 in München zum Besten. Kein Wunder, dass diesem Theologen die Zuhörer in Scharen zu Füßen lagen. Sein Leben lang hat er für eine moderne und zugleich ursprüngli­che Kirche gekämpft. Am Dienstag starb Küng im Alter von 93 Jahren. Er sei zuhause in Tübingen friedlich eingeschla­fen, sagte eine Sprecherin der Stiftung Weltethos.

Eine globale Ethik war sein zweites großes Lebensthem­a. Eine in

Frieden versöhnte Menschheit sah er nicht als reine Utopie, sondern als eine realistisc­he Vision und Leitbild. Die Stiftung hatte er 1995 selbst angeregt und als Präsident Profil und Inhalt verliehen. Nicht länger der bissige Kirchen- oder Papstkriti­ker wollte er sein, sondern ein Mahner. Auf seinem Lehrstuhl für ökumenisch­e Theologie wurde Küng zu einem der wichtigste­n Vordenker der Verständig­ung zwischen Christen, Juden und Muslimen.

Angefangen hatte der Schweizer als brillanter Theologe. Mit 20 ging er an die Päpstliche Universitä­t Gregoriana nach Rom, mit 32 wurde er Professor in Tübingen und Berater auf dem Zweiten Vatikanisc­hen

Konzil (1962–1965). Er und Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., waren Kollegen an der Fakultät – ein ungleiches Paar, das sich jedoch lebenslang schätzte. Als Papst lud ihn Benedikt sogar zu einer Privataudi­enz ein. Rehabiliti­ert

Hans

Küng (1928–2021) wurde er aber nicht, wahrschein­lich weil er auch Benedikt zurechtwie­s.

In der Auseinande­rsetzung mit dem Papstamt wurde Hans Küng derart zum Rebell, dass ihm 1979 der Vatikan die Lehrerlaub­nis entzog. Seine Streitschr­ift „Unfehlbar? Eine Anfrage“machte ihn früh zum Wortführer reformorie­ntierter Katholiken. Letzter Anstoß war für ihn die Pillen-Enzyklika „Humanae Vitae“(1968) von Paul VI., die in ihrer apodiktisc­hen Ablehnung der künstliche­n Geburtenre­gelung die Glaubwürdi­gkeit der katholisch­en Kirche und ihres Lehramtes so sehr erschütter­t hat, dass sich die wenigsten Katholiken noch um diese restriktiv­e Ehemoral scherten.

Der Kampf gegen die zentralist­ische römische Kirche wurde Küngs Mission. Die Kirche sei von einer Gemeinscha­ft der Gläubigen zu einer geistliche­n Diktatur geworden, schrieb er 2011 in seinem Buch „Ist die Kirche noch zu retten?“. All die großen Probleme wie der Priesterma­ngel, der Mitglieder­schwund und der Skandal um den sexuellen Missbrauch durch Priester waren für Küng die Folge einer ausufernde­n päpstliche­n Macht. Seine Interviews wurden zuletzt seltener und seine Appelle weniger energisch. Durch eine Parkinson-Erkrankung versagten ihm die Hände, auch sah er immer schlechter. Vor dem Tod empfinde er keine Furcht, betonte er.

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Foto: dpa

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