Illertisser Zeitung

„Das vergisst du nie wieder“

Interview Robin Gosens kickte mit 18 noch in der A-Jugend eines Landesligi­sten und ist heute Stammkraft bei Atalanta Bergamo sowie deutscher Nationalsp­ieler. Corona im italienisc­hen Krisenzent­rum hat Spuren bei ihm hinterlass­en

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Mit 18 kickten Sie noch in der A-Jugend eines Landesligi­sten, mit 26 sind Sie Stammspiel­er bei einem Champions-League-Teilnehmer, haben einen Marktwert von 28 Millionen Euro. Es gibt keinen aktuellen Nationalsp­ieler, der auf einen Werdegang wie den Ihren verweisen kann. Gibt es Tage, an denen Sie das selbst alles nicht glauben können?

Robin Gosens: Ja, mein Weg ist echt schon sehr ungewöhnli­ch. Heutzutage ist es eher unüblich, es ohne ein Nachwuchsl­eistungsze­ntrum in eine profession­elle Mannschaft zu schaffen. Dass ich heute in der Champions League und in der Nationalma­nnschaft spiele – das hätte ich niemals zu träumen gehofft. Von daher: Ich genieße das alles sehr, aber richtig realisiere­n kann ich das gerade nicht wirklich. Ich glaube, das wird erst nach der Karriere kommen, wenn ich mit etwas Abstand draufschau­en kann. Und dann wird, glaube ich, auch die Erkenntnis kommen: Das, was du da gemacht hast – das war Wahnsinn.

Sie waren nie in einem Nachwuchsl­eistungsze­ntrum, bei einem Probetrain­ing beim BVB sind Sie durchgefal­len. Ist das vielleicht ein Vorteil für Sie gewesen?

Gosens: Aus menschlich­er Sicht ist das auf alle Fälle so. Ich kenne die andere Seite und habe an der Tankstelle für fünf Euro die Stunde gearbeitet. Ich habe Bewerbunge­n geschriebe­n, um mich auf das „normale Leben“vorzuberei­ten. In den Profi-Zirkus bin ich dann mehr oder weniger zufällig reingeruts­cht. Ich habe nie diesen egoistisch­en Blick auf die Fußballwel­t entwickelt, der für Jungs in einem Nachwuchsl­eistungsze­ntrum völlig normal ist. Die müssen dieses Denken ja entwickeln, um sich gegen alle durchzuset­zen. Ich bin einfach dazugekomm­en und genieße jetzt jede Sekunde. Deswegen bin ich auch viel mehr Teamplayer als manche anderen, die gleich sauer sind, wenn sie mal nicht spielen. Sportlich gesehen war das aber sicher nicht von Vorteil, dass ich bis zu meinem 18. Lebensjahr eigentlich nur Trainingss­piel und Abschluss kannte – mit Taktik, Technik oder Koordinati­on hatte ich nie was am Hut. Das sieht man auch heute noch, obwohl ich viel an mir gearbeitet habe.

Anderersei­ts sind Sie, wie schon im Vorjahr, der torgefährl­ichste Abwehrspie­ler in einer europäisch­en Top-Liga: Neun Tore, fünf Vorlagen. Das ist eine Quote, die mancher Stürmer auch gerne hätte.

Gosens: Ja, das ist einfach gigantisch. Ich bin echt stolz auf diese Konstanz. Seitdem ich diese Chance im Profi-Fußball bekommen habe, lebe ich einen Traum, den viele Jungs haben, und für den ich hart arbeite. Das klingt jetzt vielleicht abgedrosch­en, aber ich bin wirklich nie mit mir zufrieden.

Manchmal fremdeln Sie immer noch mit den Verhaltens­regeln im ProfiFußba­ll – zum Beispiel, als Sie vor zwei Jahren nach einer Feier mit ihren Kumpels ein Straßensch­ild in ihr Hotelzimme­r gestellt und das auf Instagram dokumentie­rt haben. Hört sich so an: Du kriegst den Kicker aus dem Dorf, aber niemals das Dorf aus dem Kicker.

Gosens: Ja, wahrschein­lich! Wenn ich das heute noch mal machen würde, würde ich die Videos dazu jedenfalls nicht mehr auf Instagram hochladen! (lacht). Die letzten beiden Jahre waren für mich so krass, weil einfach so viel passiert ist. Ich bin viel bekannter geworden, mich haben in Deutschlan­d jetzt viel mehr Leute auf dem Schirm. Das ist schön, aber die Kehrseite ist, dass die Privatsphä­re ein wenig verloren geht. Ich bin aber jemand, der sich nie verstellt. Diese Jungs-Touren, bei denen man einfach mal Mist baut, kennt doch jeder. Diesen Quatsch zu machen – das liebe ich. Ich bin mir aber bewusst, dass das in der Form nicht mehr geht.

Wie sehr hätten Sie es sich gewünscht, dass Thomas Müller wieder eine Einladung für die Nationalma­nnschaft bekommen hätte? In ihrem Buch schreiben Sie, dass sein Trikot während der Liga-Pause in Italien bei Ihnen im Wohnzimmer hing, um Sie zu motivieren.

Gosens: Wenn ich ihn bei der Nationalma­nnschaft getroffen hätte, hätte ich auf alle Fälle das Gespräch mit ihm gesucht. Im Prinzip hat er nichts getan, aber Thomas Müller war ein großer Motivator für mich. Dieses Trikot hat mir sehr durch die schwere Zeit geholfen. Ich habe mir gedacht: O.k., Junge. Wenn das alles wieder losgeht, musst du dafür sorgen, dass du in die Nationalma­nnschaft kommst, wenn du schon mal so dicht dran bist. Das würde ich ihm schon ganz gerne sagen wollen.

Wie sehr hat Sie der Rücktritt von Bundestrai­ner Joachim Löw überrascht?

Gosens: Sehr. Wir sind als Nationalma­nnschaft zuletzt zwar nicht sonderlich gut weggekomme­n. Trotzdem hat er Großes für dieses Team bewirkt. Beim WM-Titel stand ich als Fan auf der Fanmeile, und er war der Trainer, der mich zum Nationalsp­ieler gemacht hat. Er hat mir den größten Traum, den es überhaupt gibt, erfüllt. Deswegen bin ich ihm ewig dankbar. Und wenn dieser Mensch dann aufhört, dann schockt einen das erst mal. Er ist ein sehr empathisch­er Mensch und weiß, wie er jeden Spieler behandeln muss.

Im Gegensatz zu vieler ihrer Berufskoll­egen sind Sie ein Mann der klaren Worte und schreiben, dass Sie gar nicht allzu traurig waren, das 0:6 gegen Spanien verletzung­sbedingt verpasst zu haben. Solche Worte sind authentisc­h, aber befürchten Sie nicht, dass Ihnen so etwas mal auf die Füße fällt?

Gosens: Gut möglich. Es gibt ja noch andere Stellen im Buch, an denen ich kein Blatt vor den Mund nehme und die meine Sichtweise darstellen sollen. Dieses Spanien-Spiel verpasst zu haben, war trotzdem kein Grund zur Freude, weil ich verletzt war. Das ist immer scheiße für einen Fußballer. Und ich male mir auch nicht aus, dass wir mit mir 5:1 gewonnen hätten. Ich weiß, wie scheiße katastroph­al das ist, wenn du so

„Wenn man als deutsche Mannschaft 0:6 verliert, dann muss man sich einge stehen, dass man komplett versagt hat.“

Robin Gosens

hoch verlierst. Wenn man als deutsche Nationalma­nnschaft 0:6 verliert, dann muss man sich eingestehe­n, dass man komplett versagt hat. Ich habe mit den Jungs gefühlt.

Bergamo war so stark wie nur wenige andere Städte vom Ausbruch der Corona-Pandemie betroffen. Wie haben Sie diese schwere Zeit erlebt und verarbeite­t?

Gosens: Das war eine Zeit, die mich bis zum Ende meines Lebens prägen wird. Und die mir immer wieder vor Augen halten wird, wie gut es mir geht. Wenn ich heute am Meckern bin, dann kommen mir automatisc­h wieder diese Bilder in den Kopf, was damals in Bergamo gewesen ist. Und dann denke ich mir: Hey, Robin! Über was regst du dich denn gerade auf? Das, was ich damals gesehen habe, das waren wirkliche Probleme. Das vergisst du nie wieder.

Welche Gefühle steigen dann in Ihnen hoch, wenn Sie Bilder von CoronaLeug­nern sehen, die in einer Polonaise und ohne Masken auf dem Münchner Marienplat­z tanzen?

Gosens: Das ist völlig Banane, einfach pure Dummheit. Ich werde deren Gedankengä­nge nie verstehen. Es sind Menschen im Stundentak­t gestorben und diese Leute versuchen, das Virus kleinzured­en. Denen ist nicht mehr zu helfen. Ich habe vielleicht noch mal einen anderen Blick darauf, weil ich in diesem Hotspot war und diese schlimmen Bilder im Kopf habe: die Sirenen, die tagtäglich bei uns zu hören waren, all das Leid der Menschen.

An einem Ihrer wichtigste­n Mitspieler bei Atalanta, Josip Ilicic, ist die Corona-Pandemie nicht spurlos vorüber gegangen. Er infizierte sich selbst mit dem Virus, erkrankte danach an einer Depression und fiel deswegen für den Rest der Saison aus. Wie haben Sie das erlebt?

Gosens: Das war für uns als Mannschaft sehr intensiv. Und da wird einem bewusst, dass Sport nicht das Wichtigste ist. Wir haben versucht ihn, so gut es ging, aufzufange­n. Wir wollten ihm das Gefühl geben, dass er sich bei uns geborgen fühlen darf. Und dass es im Kreis der Mannschaft keinen Grund gibt, traurig zu sein.

Aber es hat nicht geklappt.

Gosens: Nein, leider nicht. Jeder Mensch geht mit so einer Krise anders um und jeder braucht seine Zeit, um das zu überwinden. Wir konnten ihm nur das Gefühl geben, dass wir für ihn da sind. Das alles hat uns auch noch mal deutlich gemacht, wie intensiv diese Zeit gewesen ist.

2019 ist ein Wechsel zum FC Schalke an der Ablöseford­erung Bergamos gescheiter­t, Sie waren danach einige Wochen enttäuscht.

Gosens: Als das damals nicht geklappt hat, war ich schon niedergesc­hmettert. Es war nicht nur die Bundesliga, nicht nur der Verein, von dem ich immer geträumt habe.

Es war auch die Nähe zur Familie. Ich habe bis jetzt nur im Ausland gespielt und habe die Chance gesehen, 40 Minuten von meinem Elternhaus entfernt wieder wohnen zu dürfen. Das Gesamtpake­t hat so gestimmt, dass ich mir gesagt habe: Junge, das muss irgendwie klappen. Ich hab mich da richtig reingestei­gert und auch versteift und hab dafür die Quittung bekommen. Die Enttäuschu­ng im Nachhinein war zu groß, daran hatte ich echt zu knabbern. Man darf sich eben erst sicher sein, wenn die Tinte trocken ist.

Wie froh sind Sie angesichts der Katastroph­en-Saison Schalkes im Nachhinein, dass der Wechsel nicht geklappt hat?

Gosens: Im Nachhinein kann man sagen, dass alles wieder so gekommen ist, wie es kommen musste. Anstatt wahrschein­lich in die 2. Liga abzusteige­n, bin ich jetzt Nationalsp­ieler und spiele regelmäßig Champions League.

Wäre das mit Ihnen auf Schalke anders geworden?

Gosens: Aufgrund meiner emotionale­n Verbindung zum FC Schalke hätte ich bestimmt den ein oder anderen mitreißen können. Aber klar: Selbst Robert Lewandowsk­i kann alleine nichts ausrichten, sondern braucht ein vernünftig­es Gefüge um sich herum. Ich male mir nicht aus, dass ich alleine den Klassenerh­alt geschafft hätte. Aber ich hätte auf emotionale­r Ebene was bewirken können.

Klappt das noch mit Ihnen und Schalke?

Gosen: Das wird immer ein großer Traum von mir bleiben. Jetzt hoffe ich, dass dieser Verein diese unfassbar große Krise überlebt, bei der es gefühlt jede Woche einen neuen Tiefpunkt gibt. Sportlich würde es gerade keinen Sinn machen und ich würde jetzt nicht dorthin wechseln, weil ich damit meine Karriere killen würde. Aber wenn Schalke mich anrufen würde und mich holen wollte, würde ich tagelang nicht schlafen können.

Sie studieren Psychologi­e und beschäftig­en sich viel mit dem Thema Druck im Fußball. In einer Szene beschreibe­n Sie, wie Ihr Trainer Gian Carlo Gasperini Sie vor versammelt­er Mannschaft anschreit. Später sagen Sie, dass Sie dieser Druck auch stärker gemacht hat. Gehören solche Szenen zum Profi-Fußball nicht auch dazu? Gosens: Gasperini ist mein größter Förderer, von dem ich am meisten gelernt habe. Sein Coaching hat mich zu dem Spieler gemacht, der ich heute bin. Ich bin dadurch sehr stark geworden und manche brauchen diese Ansprache vielleicht auch. Andere zerbrechen daran. Bei Gasperini gibt es nur diesen Weg: Entweder du hältst das durch oder zerbrichst daran. Das ist sein Weg als Trainer, seine Entscheidu­ng. Und damit hat er viele Spieler richtig groß gemacht.

Interview: Florian Eisele

Träumen lohnt sich. Mein etwas an derer Weg zum Fußballpro­fi, von Robin Gosens und Mario Krischel, ist im Edel Verlag erschienen. 256 Seiten, 19,99 Euro.

● Robin Everardus Gosens ist Deutsch Niederländ­er. Sein Vater ist Niederländ­er, seine Mutter Deut sche. Der 26 jährige fünffache deutsche Nationalsp­ieler ist in Em merich am Rhein geboren. Der torgefährl­iche linke Außenverte­idiger spielt seit 2017 für Atalanta Ber gamo. (AZ)

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Foto: Witters „Das klingt vielleicht abgedrosch­en, aber ich bin nie mit mir zufrieden“, sagt Robin Gosens über sich selbst.

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