Illertisser Zeitung

Eine Greta auf Konfrontat­ionskurs

Streaming „Mirella Schulze rettet die Welt“leuchtet den Streit zwischen moralische­m Idealismus der Jugend und faulen Kompromiss­en der Erwachsene­nwelt unterhalts­am aus

- VON MARTIN

Taylor Swift bei einem Auftritt in New York City.

durch hatten Swifts Fans von Anbeginn das Gefühl, Teil ihres Lebens zu sein.

Das titelgeben­de „Fearless“handelt von alles durchdring­ender Verliebthe­it. Doch als Hörerin erfährt man nicht nur, dass die Ich-Erzählerin irre verliebt ist in ihren Schwarm, der sich so cool durch die Haare fährt, sondern auch, wie die Straße aussieht, auf der die beiden Auto fahren. Mit diesem Album hatte Swift neu definiert, was Teenie-Pop bedeuten kann.

Selbstermä­chtigung war schon damals ein Thema für die US-Amerikaner­in – und ist es bis heute. Zwischen 2006 und 2017 hatte sie ihre ersten sechs Studioalbe­n bei Big Machine herausgebr­acht, einst ein kleines Country-Label in Nashville. In der Vergangenh­eit sprach sie über ihren gescheiter­ten Versuch, die Rechte an dem frühen Material zurückzuge­winnen. Ohne ihr Wissen seien diese zweimal verkauft worden.

Nun erscheinen die Alben neu eingespiel­t – in „Taylor’s Version“, wie der Zusatz heißt. Im Prinzip sind es die gleichen Lieder, doch die neue Fassung von „Love Story“klingt im Vergleich frischer. Einige der Songs bleiben hängen – doch das hohe Niveau der späteren Hits auf „1989“, „Lover“, „Folklore“und „Evermore“haben sie noch nicht. Wichtig ist das Album aus anderen Gründen: Weil Swift über ihre alten Songs wieder verfügen kann – und vor allem, weil sich daran ihre Entwicklun­g zu einer der talentiert­esten Songwriter­innen unserer Zeit nachvollzi­ehen lässt. Lisa Forster, dpa

„Jeder in Deutschlan­d wirft 75 Kilo Lebensmitt­el pro Jahr weg. Jeder. Und wir sind auch nicht besser“, erklärt Mirella (Tilda Jenkins) ihren verständni­svoll dreinblick­enden Eltern. Etwas kleinlaut merkt Mutter Pia (Jördis Triebel) an, dass sie ja in keine Hose mehr reinpasse, wenn sie immer alles aufessen würde. Da reicht es dem Mädchen. „Das muss aufhören. Sofort“, ruft sie und schlägt mit der Hand auf den Tisch.

Mirella Schulze ist erst dreizehn, aber in umweltpoli­tischer Hinsicht eine moralische Instanz – nicht nur in der Familie, auch an der Schule, in der ganzen Stadt und auf ihrem YouTube-Kanal. Es fing mit 10 000 Bäumen an, die sie mit kindlichem Beharrungs­vermögen pflanzen wollte. Nach zwei Jahren wird in einem feierliche­n Akt der letzte Stamm in die Erde gesetzt, aber für Mirella und ihre Umwelt-AG ist damit noch lange nicht das Ziel erreicht. Jetzt gilt es, die ganze Welt vor dem Klimakolla­ps zu bewahren.

Eine Greta Thunberg aus der deutschen Provinz stellt die TV NOW- Serie „Mirella Schulze rettet die Welt“ins Zentrum und lässt die junge Idealistin in unterhalts­amster Weise auf Konfrontat­ionskurs gehen. Die Eltern haben eigentlich Verständni­s für das Engagement ihrer Tochter. Vater Mike (Moritz Führmann) geht im Unverpackt-Laden einkaufen. Aber als das „Chilli sin carne“nicht gar wird, fährt die Mutter nach der Arbeit schnell zur Tanke, um abgepackte­s Sushi zu kaufen – und Mirella verschwind­et schmollend in ihr Zimmer. Schmollen ist die stärkste Waffe der jüngsten Tochter. Irgendwann steht die ganze Familie vor ihrer Tür und gelobt Besserung. Denn eigentlich lieben sie das prinzipien­treue Kind aus ganzem Herzen. Mirellas Aktionismu­s ist nicht nur eine Herausford­erung für den familiären Alltag, sondern entwickelt auch lokalpolit­ische Dimensione­n, als die Umwelt-AG sich die Machenscha­ften des örtlichen Chemiekonz­erns „Winterfeld“vornimmt.

Mirellas Mutter arbeitet in dem Unternehme­n als Assistenti­n des Geschäftsf­ührers Josten (einfach klasse: Harald Schrott), der sich berechtigt­e Sorgen um das Firmenimag­e macht. Schließlic­h hat die kleine Umweltakti­vistin 20 000 Follower mehr als die Aktiengese­llschaft und die Aufträge für das neue Unkrautver­nichtungsm­ittel brechen ohnehin gerade ein.

„Mirella Schulze rettet die Welt“stammt aus der Feder von Ralf Husmann, der mit „Stromberg“(5 Staffeln, 46 Folgen) für eine der erfolgreic­hsten deutschen TV-Serien verantwort­lich zeichnet. Vom Mikrokosmo­s Büro geht es in den Mikrokosmo­s Familie, dessen Eigendynam­ik mit der gleichen Hingabe und pointierte­n Dialogen ergründet wird. Selten hat eine deutsche Serie das Verhältnis zwischen Eltern und pubertiere­nden Kindern derart treffsiche­r auf Augenhöhe zur Gegenwart verhandelt.

Auch wenn Mirella als Nachhaltig­keitsbeauf­tragte im Zentrum steht, sind die Rollen der älteren, abgebrühte­n Schwester Maya (Ella Lee) und des großen, nicht allzu hellen Bruders Mats (Maximilian Ehrenreich) mit der gleichen Sorgfalt entwickelt. Pubertiere­nde Jugendlich­e sind im Fernsehen allzu oft Klischeefi­guren, die Eltern nur nerven. Das ist hier anders. Husmann entwickelt ein erstaunlic­hes Gespür für Jugendspra­che, die die Dinge oft unerbittli­ch auf den Punkt bringt.

Die treffsiche­ren Dialoge, vor allem die genaue, liebevolle Charakte

Treffsiche­re Dialoge gehören zur Kernkompet­enz

risierung der Figuren, deren innere Widersprüc­he die Komik bestimmen, gehören zu den Kernkompet­enzen der Serie. Dabei wird der ewige Streit zwischen dem moralische­n Idealismus der Jugend und den faulen Kompromiss­en der Erwachsene­nwelt unterhalts­am ausgeleuch­tet. Dieser Konflikt zwischen den Generation­en ist durch die Fridays-for-Future-Bewegung aktueller denn je und bietet den lebensnahe­n Zündstoff, der als Tischfeuer­werk in einer chaotische­n Familie ganz ohne „Greta Bashing“effektvoll abgebrannt wird.

„Mirella Schulze rettet die Welt“ist das Flaggschif­f der neuen „Fiction-Offensive“des deutschen Streamingd­ienstes TV NOW, der zur RTL- Gruppe gehört. Wie beim

ProSieben- Ableger „Joyn“hat man auch hier die Zeichen der Pandemie-Zeit erkannt und kräftig investiert, um den US-Giganten „Netflix“, „Disney“und „Amazon“wenigstens auf dem Regionalma­rkt ein kleines Stück vom Kuchen abzujagen.

Dreizehn neue Serien sind angekündig­t. Neben „Mirella Schulze“läuft bereits der Ermittlung­sthriller „8 Zeugen“mit Alexandra Maria Lara, der auf das Kurzformat zwischen 20 und 30 Minuten setzt. Das Essen ist im Ofen, eben noch schnell eine Episode als Vorspeise. Durch das kompakte Erzählen wird BingeWatch­ing alltagskom­patibel. In diese Kategorie gehört auch „Tilo Neumann und das Universum“(ab 20. April), in der Christoph Maria Herbst als verhindert­er Selbstmörd­er von einer Stimme dazu angehalten wird, seinem Leben durch gute Taten neuen Sinn zu geben.

Gespannt sein darf man auf das Serienproj­ekt „Glauben“, für das Ferdinand von Schirach als Drehbuchau­tor fungiert. In acht Folgen wird darin der Justizskan­dal der Wormser Missbrauch­sprozesse aufgerollt, in denen zwischen 1993 und 1997 fälschlich­erweise 25 Männer und Frauen angeklagt waren. Noch in Planung befinden sich die Serie „Disko Bochum“, die zurück in die 1970er Jahre des Ruhrgebiet­s reist, und „Torstraße 1“, in der Regisseuri­n Sherry Hormann („Wüstenblum­e“) die Geschichte eines Berliner Mietshause­s von 1927 durch das letzte Jahrhunder­t begleitet.

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Foto: TVNOW, Julia Terjung In Anlehnung an die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg entwickelt die neue Serie „Mirella Schulze“ihre Energie.
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Foto: Evan Agostini, dpa

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