Ein Zirkus „strandet“in Illertissen
Notlage Rund 50 Kommunen hat die Zirkusfamilie Köllner angeschrieben auf ihrer Suche nach einem Platz, an dem sie eine Weile bleiben kann. Nur die Stadt Illertissen hat geholfen
Illertissen Die Sorgen halten Jacqueline Köllner nachts wach. „Ich gehe jeden Abend ins Bett und denke: Wie geht es weiter für uns und den Zirkus?“, sagt die 40-Jährige, während sie am Esstisch in einem ihrer Wohnwagen sitzt. Vor Kurzem hat der Circus Mulan, den sie und ihre Familie betreibt, in Illertissen sein Lager aufgeschlagen. Für die Köllners ist es ein großes Glück, in der Stadt sein zu dürfen. Denn die Suche nach einem neuen Platz, an dem sie eine Zeit lang bleiben können, schien zuvor aussichtslos.
Etliche gelbe Zirkuswagen und zwei Stallzelte stehen nun auf dem Illertisser Festplatz. Die Kamele Aladin und Tonja kauen im Freien eine Ladung Futter, ein paar Ponys schauen neugierig durch den Zaun ihres Geheges. Das große Zelt, in dem für üblich die Aufführungen stattfinden, hat die Familie gar nicht erst aufgebaut. Wer weiß schon, wann wieder Besucher auf den Rängen Platz nehmen und die Köllners ihnen „Manege frei!“zurufen können?
Zuletzt hatte der Circus Mulan mehrere Monate lang im Oberallgäu ausgeharrt – in Durach, auf der Wiese eines Landwirts. Eine ungewohnte Situation für die Familie, die vor der Pandemie 52 Wochen im Jahr durch Bayern tourte. Nun, im Frühjahr, möchte der Bauer seine Fläche wieder selbst nutzen – und die Köllners mussten zusammenpacken und weiterziehen. Nur wohin? Auf der Suche nach einem neuen Gastgeber schrieb die Zirkusfamilie an die 50 Städte und Gemeinden an. Die einzige positive Antwort auf die Bewerbung kam aus Illertissen.
Bei den sechs Erwachsenen und fünf Kindern war die Erleichterung groß. Einerseits, weil sie schon zwei Mal in Illertissen gastiert hatten und die Stadt kennen. Andererseits, weil das Illertal nicht allzu weit von Durach entfernt ist, sodass die Familie den Umzug stemmen konnte. Denn die rund 30 Tiere, die Zelte, die Kostüme und das andere Equipment von einem Ort zum anderen zu transportieren, kostet Geld.
Geld, das die Köllners nicht haben. „Wir haben seit fast einem Jahr keinen Verdienst mehr, das muss man sich mal vorstellen!“, sagt die 40-Jährige und schüttelt den Kopf. „Und wir haben keinen Euro an staatlicher Unterstützung bekommen. Die Anträge wurden abgelehnt, ohne Begründung.“Im ersten Lockdown wurden alle Termine abgesagt. Im Sommer waren Aufführungen zwar kurzzeitig wieder möglich, aber die Zuschauer kamen nicht wie erhofft – wohl aus Angst vor einer Ansteckung. Seit Herbst liegt wieder alles auf Eis. Die angestellten Artisten hat die Betreiberfamilie schweren Herzens nach Hause geschickt, weil sie ihnen keinen Lohn mehr zahlen konnte. „Wir haben große Existenzsorgen und kein geregeltes Leben mehr“, sagt Jacqueline Köllner. „Die Ungewissheit ist schlimm.“Ein banges Gefühl hinterlassen auch die Nachrichten von Zirkussen, die schon aufgegeben haben. Laut Köllner dürften es um die 80 gleich im ersten Lockdown gewesen sein.
Spenden hielten die Familie in den vergangenen Monaten über Wasser. Die Oberallgäuer unterstützten den in Durach gestrandeten Zirkus mit Futter, Geld für Diesel zum Heizen der Wagen und für die Versicherungen, ohne die keine Auftritte möglich sind. Die Hilfsbereitschaft sei großartig gewesen.
„Auch hier sind wir auf die Unterstützung der Bürger angewiesen“, ist sich Jacqueline Köllner bewusst. Noch sei Heu für zwei bis drei Wochen da. Aber sie sei dankbar für jeden Ballen, den ein Landwirt übrig habe.
Familien könnten gerne vorbeikommen und die Tiere mit Karotten oder trockenem Brot füttern – aber in Maßen, bittet Köllner, denn große Mengen bekommen den Vierbeinern nicht. Die Zirkusfamilie ist sich sicher, dass sich ihre Pferde, Ponys, Kamele, Lamas und Esel über Besuch freuen würden. „Nicht nur wir, auch die Tiere sind Trubel gewohnt, der soziale Kontakt fehlt ihnen. Da ist es toll, wenn sie gestreichelt werden.“In den zwei Stallzelten sei auch ausreichend Platz, um
genug Abstand zu anderen halten zu können.
Wie lange der Circus Mulan nun auf dem Illertisser Festplatz bleiben wird, ist noch nicht klar. Zwei Wochen seien angedacht. „Wir sind zu Gast hier und wollen der Stadt nicht zu sehr zur Last fallen“, sagt die 40-Jährige. Es sei nicht ihre Art, den kleinen Finger gereicht zu bekommen und dann die ganze Hand zu nehmen. Sie sehe sich jetzt schon nach einer neuen Bleibe um. Das könne kommunaler Grund, aber auch eine Wiese in einem Gewerbegebiet oder in Privatbesitz sein.
Kontakt: Wer die Zirkusfamilie Köllner unterstützen möchte, kann sie unter der Telefonnummer 0163/4507086 er reichen.