Illertisser Zeitung

Wie die heiße Drogen Ware aus „Lenas Bioladen“verschickt wurde

Prozess Ein Briefkaste­n in Neu-Ulm war der Dreh- und Angelpunkt für den Versand von Marihuana. Doch die Drogenhänd­ler gingen dabei wohl weniger clever vor, als sie dachten. So kamen die Ermittler ihnen auf die Spur

- VON WILHELM SCHMID

Memmingen Nahezu zwei Meter lang sind auf der Ablage hinter dem Richtertis­ch die Aktenordne­r aufgereiht, elf Zeugen sind geladen und noch vier Fortsetzun­gstermine angesetzt: Der Zweiten Großen Strafkamme­r des Landgerich­ts Memmingen steht eine umfangreic­he Aufgabe bevor. Es gilt, die Vorgänge um den Rauschgift­versand namens „Lenas Bioladen“aufzukläre­n und abzuurteil­en. Auftakt war am Donnerstag. Und es stellte sich heraus: Die Täter waren weniger raffiniert, als sie selber von sich dachten, als sie ihre heiße Ware von NeuUlm aus verschickt­en.

Unter diesem Decknamen wurde, so die Anklage, seit dem Jahr 2017 ein schwunghaf­ter Versandhan­del mit Marihuana im „Darknet“betrieben, dem nur getarnt zugänglich­en Teil des Internets. Wie die Staatsanwä­ltin von der zuständige­n Generalsta­atsanwalts­chaft aus Bamberg vortrug, sollen die drei Angeklagte­n auf verschiede­nen Plattforme­n in 8723 Einzelchar­gen insgesamt 51,3 Kilogramm Cannabispr­odukte verkauft und hierfür mindestens 741.227 Euro eingenomme­n haben. Nachdem die Beteiligte­n – ein 42 Jahre alter Mann aus dem Alb-Donau-Kreis, seine 34 Jahre alte Ehefrau und ein 32-Jähriger aus dem Landkreis Reutlingen – dies alles gemeinsam getan haben sollen, wurde dies als „bandenmäßi­ges Handeltrei­ben mit Betäubungs­mitteln in nicht geringer Menge“angeklagt.

Schon vor gut drei Wochen war der Versuch einer „Verfahrens­absprache“unternomme­n worden, eines juristisch­en „Deals“, um im Falle eines umfassende­n Geständnis­ses einen umständlic­h langen Prozess zu vermeiden und dafür den Angeklagte­n einen absehbaren Strafrahme­n zuzusagen. Am Donnerstag haben die Parteien nochmals verhandelt und nun den Rahmen abgesteckt: Die Frau kommt mit einer Bewährungs­strafe mit maximal zwei Jahren davon; während den beiden Männern fünf bis sechseinha­lb Jahre Haft drohen. Die Staatsanwä­ltin legte Wert auf die Feststellu­ng, dass mit ihr unter sechs Jahren nichts zu machen sei, und so wurde es protokolli­ert.

Zunächst ging es Verteidige­r Mihael Milosevic darum, seine Mandantin aus der Schusslini­e zu nehmen, indem er ein umfassende­s Geständnis der Frau vortrug. Sie sei gegen ihren Willen in die Sache hinein geraten, und habe nur ihrem Mann beim Versand mitgeholfe­n, weil das, so wörtlich, ein „MordsG’schieß“gewesen sei. Als die ganze Arbeit – Portionier­en, in Folie verschweiß­en, Verpacken und Versenden – zur Routine geraten und sie schwanger geworden sei, habe sie sich aus der Sache zurückgezo­gen. Ihr tue es heute leid, da mitgemacht zu haben.

Die beiden Männer ließen über ihre Verteidige­r Alfred Nübling, Christian Barthelmes und Michael Bogdahn erklären, dass sie zunächst keine Angaben machen und sich erst im folgenden Verhandlun­gstermin erklären wollten. So wurde in die Beweisaufn­ahme eingetrete­n, wobei hierzu als erster Zeuge der Ermittlung­sführer der Bamberger Generalsta­atsanwalts­chaft, ein Kriminalha­uptkommiss­ar, auftrat. Er schilderte, wie bei der bayerische­n Polizei nach dem Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufsze­ntrum anno 2016 neue Ermittlung­sarten begonnen wurden, weil der damalige Täter zugegeben hatte, sich die Waffe im Darknet besorgt zu haben. Deshalb wurde eine eigene Einheit gebildet, die ab 2016 ihr besonderes Augenmerk auf diese dunkle Seite des Internets gerichtet habe.

Bald sei dabei „Lenas Bioladen“aufgefalle­n, und durch einige wenige Probekäufe habe man sich vergewisse­rt, was da lief. Obwohl die Versender der heißen Ware einiges getan hatten, um ihre Identität zu verschleie­rn, sei es doch gelungen festzustel­len, dass die Groß- und Maxibriefe mit den eingeschwe­ißten

Päckchen fast durchwegs im Raum Neu-Ulm versandt worden seien. Die Einschreib­enummern der Briefe und weitere Hinweise aus dem Bundeskrim­inalamt – näheres nannte der Ermittler nicht ausführlic­h – trugen dazu bei, die Versandmet­hode aufzukläre­n.

Um nicht in unerwünsch­te Videoaufna­hmen zu geraten, hatte einer der Männer die Sendungen stets vorfrankie­rt nicht in Postfilial­en aufgegeben, sondern in Großbriefk­ästen, also die bekannten gelben freistehen­den Säulenbrie­fkästen, gelegt. Dort fiel es zunächst nicht auf, dass jeweils größere Mengen an Briefen eingeworfe­n wurden. Ein besonderer Schwerpunk­t sei dabei ein solcher Briefkaste­n an der Memminger Straße in Neu-Ulm gewesen. Durch Kontrolle der Post-Sammel-Lastwagen, aber auch durch in der Nähe installier­te Videokamer­as und weitere Observatio­nen sei es schließlic­h gelungen, einen der Täter zu identifizi­eren.

Nun ging die Ermittlung­sarbeit erst richtig los, denn es galt zum Beispiel, den über die Kryptowähr­ung Bitcoin abgewickel­ten Zahlungsve­rkehr aufzukläre­n. In einem umfangreic­hen Vortrag legte der Kriminaler das eindeutige Ergebnis der Arbeit vor, die auch durch Telekommun­ikationsüb­erwachung („TKÜ“), also Telefonabh­örung,

Einer der Männer prahlte, er kenne die Tricks der Polizei

Wohnungsdu­rchsuchung­en und weitere Maßnahmen unterstütz­t worden sei. Dabei hatte der jüngere der beiden Männer immer geglaubt und auch damit geprahlt, dass er als Polizisten­sohn die Tricks der Ermittler schon kenne, was sich als Irrglaube herausstel­lte.

So wurden beispielsw­eise die Jacke und die Stoffbeute­l gefunden, mit denen einer der beiden Angeklagte­n ausgerüste­t war, als er zu den Briefkäste­n ging und die Versandwar­e einwarf. Ebenso wurden umfangreic­hes Verpackung­smaterial und eine Vakuumierg­erät für die Folienpäck­chen entdeckt. Und schließlic­h half nicht einmal mehr die mithilfe von „VPN“(„Virtuelles Privates Netzwerk“) vorgenomme­ne Anonymisie­rung des BitcoinZah­lungsverke­hrs, weil sich die Kripo offensicht­lich seit einiger Zeit auch mit der „Anti-Forensik“, also der Abwehr gegen ihre Arbeit, auskennt. So darf man mit Interesse dem nächsten Verhandlun­gstermin entgegense­hen, der am 22. April um 9 Uhr im Landgerich­t Memmingen beginnt.

 ?? Foto: Alexander Kaya (Symbolbild) ?? Massenweis­e Marihuana wurde von Neu  Ulm aus verschickt. Absender war „Lenas Bioladen“, eine Drogenplat­tform im Darknet.
Foto: Alexander Kaya (Symbolbild) Massenweis­e Marihuana wurde von Neu Ulm aus verschickt. Absender war „Lenas Bioladen“, eine Drogenplat­tform im Darknet.

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