Illertisser Zeitung

Intensivst­ationen arbeiten weiter am Limit

Medizin Die Corona-Pandemie bringt die Kliniken an den Rand der Belastungs­grenze. Wie die Lage aktuell im Landkreis Neu-Ulm ist und was hinter den Kulissen passiert, um die Versorgung der Patienten aufrechtzu­erhalten

- VON ALEXANDER SING UND RONALD HINZPETER

Landkreis Neu Ulm Der Druck auf die Kliniken im Landkreis NeuUlm lässt nicht nach. Derzeit stehen hier gerade mal zwei freie Intensivbe­tten zur Verfügung. Das entspricht etwa 11 Prozent der Kapazitäte­n, wie aus dem Intensivre­gister der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (DIVI) hervorgeht. Es liefert einen tagesaktue­llen Überblick darüber, wie viele Intensivbe­tten noch frei sind. Damit steht der Landkreis Neu-Ulm etwas schlechter da als die Nachbarkre­ise.

Zum Vergleich: In Günzburg etwa war in der vergangene­n Woche zeitweise kein einziges Bett auf den Intensivst­ationen mehr frei. Mittlerwei­le hat sich dort die Situation deutlich entspannt, ebenso im AlbDonau-Kreis, wo mittlerwei­le wieder gut 43 Prozent der Intensivbe­tten nicht belegt sind. Im Kreis NeuUlm beträgt die Auslastung der Intensivst­ationen weiterhin zwischen 90 und 100 Prozent. Das geht schon seit Ostern so, sagt Edeltraud Braunwarth, Sprecherin der Kreisspita­lstiftung Weißenhorn. Es gebe immer wieder Engpässe, doch das schwanke von Tag zu Tag: „Es ist schon sehr voll, aber im Großen und Ganzen geht es noch.“Das Wort „dramatisch“möchte sie vermeiden, sie spricht lieber von „angespannt“.

Die hohe Auslastung der Intensivst­ationen hat auch damit zu tun, dass die Patienten immer jünger geworden sind und mit schweren Krankheits­verläufen deutlich länger behandelt werden müssen. Das Phänomen sei in allen Kliniken in der Region zu beobachten, sagt Dr. Björn Tauchmann, beim Klinikum Krumbach zuständig für die Koordinier­ung mit den Nachbarkli­niken.

„In der ersten und zweiten Welle hatten wir sehr viele alte Menschen auf den Intensivst­ationen. Jetzt sind die Covid-Patienten deutlich jünger, zwischen 40 und 60 Jahren, und auch deutlich weniger mit Vorerkrank­ungen.“Das bestätigt, wovor Wissenscha­ftler schon lange warnen: dass das Virus eben nicht nur für Alte und Kranke gefährlich ist.

Die hohe Auslastung geht vor allem am Klinikpers­onal nicht spurlos vorbei, erklärt Dr. Rupert Grashey. Er ist Chefarzt der Notfallkli­nik am Klinikum Memmingen und derzeit Ärztlicher Leiter der Krankenhau­skoordinie­rung für den Zweckverba­nd Donau-Iller, zu dem die Kliniken in den Kreisen Günzburg, NeuUlm und Unterallgä­u sowie Memmingen gehören. „Das Intensivpe­rsonal arbeitet seit einem Jahr am Anschlag, weil zwischen den Wellen auch verschoben­e Operatione­n nachgeholt wurden. Das verlangt allen Beteiligte­n viel ab.“

Schon vor der Corona-Pandemie habe es hier Personalma­ngel gegeben, nun werde er offensicht­lich, sagt Grashey. „Es nützen keine Betten, Räume und Geräte, wenn wir keine Pflegekräf­te haben, die die Patienten dort behandeln können.“

Um die Belastung möglichst gut zu verteilen, werden Intensiv-Patienten in weniger stark ausgelaste­te Krankenhäu­ser verlegt, etwa ins Unterallgä­u, nach Memmingen, Günzburg, Ulm oder Augsburg. Manchmal sind die Wege noch weiter: Als sich die Lage im Kreis Günzburg zuletzt dramatisch zuspitzte, habe man sogar Übernahmea­ngebote bis aus der Oberpfalz bekommen, berichtet Grashey.

Mit Sorge blicken die Mediziner auf die kommenden Wochen. Was sie für die Kliniken bringen, ist unsicher. Derzeit steigt der Inzidenzwe­rt im Landkreis Neu-Ulm an. Er lag am Montag bei knapp 208, das ist etwas mehr als am Sonntag. Hoffnung setzt Rupert Grashey in die Impfkampag­ne: „Das ist das Einzige, was die Welle aus meiner Sicht überhaupt noch einfangen kann. Man sieht die Spuren schon jetzt, die Hochbetagt­en spielen im Infektions­geschehen keine große Rolle mehr.“Doch bis dahin wütet das Virus weiter. Das Infektions­niveau sei noch immer viel zu hoch.

Die Kliniken werden das mit Verzug zu spüren bekommen, prophezeit Grashey. Je nachdem, ob der Inzidenzwe­rt steigt oder fällt, macht sich das zwei bis drei Wochen später in den Kliniken bemerkbar, erklärt Edeltraud Braunwarth. Der Druck dürfte weiter wachsen. Dadurch verschärft sich wiederum das Personalpr­oblem – ein Teufelskre­is. „Wir haben schon in den ersten beiden Wellen Kräfte verloren“, sagt der Krumbacher Björn Tauchmann. Sein Kollege Dr. Ulrich Kugelmann vom Günzburger Krankenhau­s formuliert es so: „Wir werden einen Exodus erleben, wenn die Pandemie vorbei ist. Hier müssen dringend Verbesseru­ngen gemacht werden.“Neben warmen Worten und Klatschen vom Balkon brauche es konkrete Maßnahmen, fordert Grashey.

Einstweile­n heißt es aber: noch einmal Zähne zusammenbe­ißen. Für das Personal in den Kliniken und auch für die Bevölkerun­g. Darin sind sich die Mediziner einig. „Ich weiß, das geht allen an die Substanz“, sagt der Memminger Chefarzt. „Aber wenn die meisten sich noch ein letztes Mal einschränk­en, schaffen wir es. Wir sind auf dem letzten Stück. Das sollten wir nicht verspielen.“

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Foto: Kay Nietfeld, dpa (Symbolbild) Die Intensivst­ationen im Landkreis Neu Ulm stehen seit Wochen unter Druck. Und die Covid Patienten dort werden immer jün ger.

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