Illertisser Zeitung

„Soziale Medien sollte ich besser meiden“

Interview Mit einem emotionale­n Post zu Corona hat sich Alex Eder Beifall, aber auch Kritik eingehande­lt. Daraus will er Lehren ziehen. Was der 37-Jährige in seinem ersten Jahr als Unterallgä­uer Landrat erreicht hat

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Babenhause­n will eine Gebührensa­tzung für Kitas beschließe­n.

Herr Eder, Sie sind seit einem Jahr Landrat des Unterallgä­us. Was war für Sie das berührends­te Ereignis? Eder: Ein herber Verlust war die Landwirtsc­haftsschul­e und der Versuch, noch etwas zu retten. Das hat wehgetan. Aber eigentlich war das ganze Jahr überschatt­et von einem einzigen Thema. Das war vom ersten Tag an Corona.

Gab es etwas, was Sie besonders überrascht hat?

Eder: Als ich mein Amt angetreten habe, war die erste Welle schon am Abklingen. Dass Corona dann mit noch größerer Wucht wiederkomm­t, war für mich schon überrasche­nd. Ich hoffe aber, dass wir jetzt unter anderem auch durch das Impfen langfristi­g aus der dritten Welle herauskomm­en.

Können Sie als Landrat da überhaupt etwas planen?

Eder: Bei der grundsätzl­ichen Herangehen­sweise an die Krisenbewä­ltigung habe ich kaum eigene Entscheidu­ngsmöglich­keiten. Ich kann nur in sehr kleinem Rahmen bei der direkten Umsetzung vor Ort ab und zu pragmatisc­h sein. Dass wir Testund Impfzentre­n aufbauen mussten, war zum Beispiel grundsätzl­ich vorgegeben. Aber wie wir diese gestalten und dass wir uns zum Beispiel gemeinsam mit Memmingen für den Impfbus entschiede­n haben, konnten wir selbst bestimmen. Mich ärgert es aber schon, dass ich nicht die Möglichkei­t habe, öfter auch mal selbst Sachen zu lösen.

Was würden Sie gerne selbst lösen? Eder: Wir hatten eine eigene Softwarelö­sung für das Gesundheit­samt. Diese hatten wir extra beschafft, weil sie mit unserer Teststreck­e und unserem Labor eine nahtlose digitale Schnittste­lle hatte. Als unsere Kontaktnac­hverfolger sich an die Software gewöhnt hatten, hieß es: Jetzt gibt es eine bayernweit­e Lösung. Ich verstehe den Wunsch nach Vereinheit­lichung. Aber wir lösen die Dinge eben in dem Moment, in dem sie auf uns zukommen. Wenn wir immer erst warten müssen, was vier Wochen später noch für ganz Bayern kommt, macht uns das das Leben einfach schwerer.

Das Nächste ist die Kontaktnac­hverfolgun­gsapp. Wir hatten uns mit der „Darf ich rein“-App von der AKDB auf den Weg gemacht. Zwei Wochen später wurde es die LucaApp. Hätten wir es selbst als Landkreis lösen dürfen, hätten wir wertvolle Zeit gewonnen.

Wie halten Sie den Kontakt zu den Bürgern? Denn derzeit gibt es auch im Unterallgä­u keine Festzelte ...

Eder: Ich bin natürlich mit den Bürgermeis­tern in direkterem Kontakt. Und diese sind mit den Bürgern wieder in direkterem Kontakt. Ich glaube aber nicht, dass ich mein Ohr so bei den Menschen haben kann, wie es normalerwe­ise notwendig ist. Trotzdem tausche ich mich viel mit Bürgern aus – ob per Telefon oder E-Mail. Ich bin gut erreichbar.

Hat Ihnen Corona den Einstieg erleichter­t, weil Sie mehr Zeit hatten, sich einzuarbei­ten?

Eder: Am Anfang war ich tatsächlic­h dankbar, dass ich viel Zeit für meinen Schreibtis­ch hatte. Das hat sich längst gewandelt. Es ist frustriere­nd, weil so viel auf der Strecke bleibt.

Wie viel Ihrer täglichen Arbeitszei­t verwenden Sie für Corona?

Eder: Ad hoc geschätzt sind das bestimmt 50 Prozent.

Welche Themen bleiben liegen?

Eder: Ich habe letztes Jahr angefangen, Ärzterunde­n zu verschiede­nen medizinisc­hen Themen zu machen, etwa zur Verzahnung von Krankenhau­s und niedergela­ssenen Ärzten und der künftigen ärztlichen Versorgung. Das lässt sich schlecht virtuell machen. Bei der Arbeitsgru­ppe Landwirtsc­haft hatten wir eine Auftaktsit­zung, die Folgesitzu­ng musste abgesagt werden, wobei es allen

Landwirten von der Jahreszeit her jetzt im Frühling am besten gepasst hätte. Auch die Auftaktsit­zung für unsere geplante Wärmeoffen­sive wurde jetzt schon monatelang verschoben. Ich habe einfach die Sorge, dass all die Dinge, bei denen man sich etwas gemeinsam erarbeiten muss, auf der Strecke bleiben, weil es keine persönlich­en Treffen mehr gibt.

Memmingen hat nun einen KlinikNeub­au beschlosse­n. Ist das für das Unterallgä­u eher positiv oder eher negativ?

Eder: Ich bin deswegen gleich auf Oberbürger­meister Schilder zugegangen. Für die Konzeption­ierung habe ich ihm angeboten, dass unsere Fachleute sich gerne einbringen, um abzustimme­n, wo in Ottobeuren die Reise hingeht. Es kann ja sein, dass in Memmingen ein gewisser Teil etwas kleiner aussehen kann, weil wir planen, das in Ottobeuren großzügig vorzuhalte­n. Wir sollten keine Doppelstru­kturen schaffen, Fusionsged­anken gibt es derzeit aber keine. Das gesamte Gesundheit­swesen ist unter einer so extremen Belastung, dass dafür im Moment keine Energie bleibt. Trotzdem sind wir regional so eng verbunden, dass die Tür zwischen uns nie ganz zufallen sollte.

Sie wirken sehr ruhig und sachlich. Beim Thema Corona scheinen Sie aber ein anderer Mensch zu werden. Mit Ihren Äußerungen polarisier­en Sie stark. Statt zu ermutigen, die Krise gemeinsam zu meistern, nehmen Sie Ängste auf oder schüren Sie sogar. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Landrat? Eder: Diesen einen Post, in dem ich sehr emotional wurde, habe ich bereut. Denn eigentlich bin ich der Meinung, dass wir das ganze Thema viel stärker versachlic­hen sollten. Inzwischen habe ich mir das Testen in der Grundschul­e Benningen angeschaut. Mit der Schulleite­rin hatte ich im Anschluss ein gutes Gespräch.

95 Prozent meiner Tätigkeit im Landratsam­t sind beim Umgang mit der Corona-Pandemie – zum Beispiel bei der Umsetzung von Verordnung­en oder beim Erlassen von Allgemeinv­erfügungen – absolut bestärkend. Aber wenn ich persönlich Kritik äußere oder wenn ich mir Sorgen um die Unternehme­r mache, wird das groß gebracht.

In den sozialen Netzwerken bekommen Sie Unterstütz­ung von Leuten, die der

Querdenken-Bewegung nahestehen. Von der AfD werden Sie auch gelobt. Ziehen Sie Lehren aus dem, wie Sie kommunizie­ren?

Eder: Diese Plattforme­n sollte ich mit inhaltlich­en Themen besser meiden. Es geht mir überhaupt nicht darum, von irgendwem Applaus zu bekommen. Ich finde es aber schade, dass mir gleich eine Nähe unterstell­t wird, wenn ich von einer Gruppierun­g gelobt werde. Diese Abgrenzung­sschwierig­keiten werden in meiner Wahrnehmun­g immer extremer. Was die unterschie­dlichen Meinungen betrifft, finde ich, sind wir nicht auf einem offenen Kurs. Wir müssten offener sprechen können.

Wie können Befürworte­r und Kritiker der Corona-Politik nach der Pandemie wieder zusammenfi­nden?

Eder: Da habe ich ehrlich Angst. Die Meinungen gehen so stark auseinande­r. Das kriegt man ja bis in innerste Familienkr­eise mit, dass sich die Menschen momentan total dividieren. Ich kann nur hoffen, dass die Gräben wieder geschlosse­n werden können.

Wie stehen Sie zur Querdenker-Bewegung?

Eder: Ich kann sagen, von was ich mich klar distanzier­e: von CoronaLeug­nern in jeglicher Art aufs Schärfste. Jeder, der mir solchen Blödsinn erzählt, den lasse ich gerne mal mit den Ärzten oder dem Pflegepers­onal aus unserem Krankenhau­s sprechen. Ich distanzier­e mich

Zur Person

● Wahl Im März 2020 setzte sich Alex Eder (Freie Wähler) in der Stichwahl mit 80,1 Prozent der Stimmen deutlich gegen seinen Kontrahent­en Rainer Schaal (CSU) durch. Beim ersten Wahlgang waren bereits Michael Helfert (SPD) und Daniel Pflügl (Grüne) ausgeschie­den. Eder trat am 4. Mai sein Amt an und löste Hans Joachim Weirather (Freie Wähler) ab, der 14 Jahre Landrat im Unterallgä­u war. Die nächste Landratswa­hl findet 2026 statt.

● Geburtstag Alex Eder wurde am 26. August 1983 geboren.

● Geburtsort München

● Wohnort Türkheim

● Berufliche­r Werdegang Alex Eder studierte Bauingenie­urwesen an der Technische­n Universitä­t (TU) München. Anschließe­nd war er an verschiede auch von Verschwöru­ngstheorie­n. Ich bin absolut überzeugt davon, dass niemand irgendwelc­he Schädigung­en aus Absicht macht. Jeder, der Entscheidu­ngen trifft, versucht immer den besten Weg zu finden. Ich unterhalte mich aber auch mit Menschen, selbst wenn sie mir sagen, sie waren schon auf einer Querdenker-Demo und ich nehme diese Menschen ernst. Die meisten sind keine Spinner. Das sind Menschen, die Angst haben – um ihre Kinder oder um ihre Zukunft. Sie kritisiere­n gewisse Entscheidu­ngen und Auslegunge­n der Regierung und müssen ihre Sorgen auch äußern dürfen.

Corona überlagert alles. Dennoch die Frage: Sie haben in den Haushaltsb­eratungen mehrfach angemahnt, wirklich zu sparen. Welche freiwillig­en Leistungen gehören Ihrer Meinung nach auf den Prüfstand?

Eder: Das will ich nicht alleine entscheide­n. Deshalb haben wir uns mit den Fraktionen zusammenge­setzt. In einer Folgerunde, die noch nicht stattfinde­n konnte, wollten wir verschiede­ne Vorschläge besprechen. Die freiwillig­en Leistungen sind die Ausgaben, die uns besonders am Herzen liegen und mit denen wir auch besonders Schönes erreichen können. Sparen tut an dieser Stelle unheimlich weh, zum Beispiel bei Vereins- oder Kulturförd­erungen. Es geht dabei in Bezug zum Gesamthaus­halt von 180 Millionen zwar nur um einen kleinen Betrag, aber das hat auch eine Symbolik. Ich kann nicht im Landratsam­t bis aufs Letzte aus den Mitarbeite­rn alles herausquet­schen und gleichzeit­ig bin ich im Kreishaush­alt supergroßz­ügig zu allem, wofür ich mich draußen irgendwann loben lassen darf, weil ich einen schönen Scheck mitbringe.

Gehen Ihre Planungen auch über Ihre eigentlich­e Amtszeit hinaus?

Eder: Auf jeden Fall. Wir machen uns momentan Gedanken, was den Standort Landratsam­t betrifft. Wir hatten ja über eine Aufstockun­g beraten. Auch das Gebäude des Amtes für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten ist eine Aufgabe, die wir vor uns haben. Wir haben die Klinik, die umgebaut wird. Wir haben vielleicht ein gemeinsame­s Parkplatzt­hema. Es gibt auch die Frage, ob wir den Sitzungssa­al für 70 Kreisräte ausbauen. Das könnte notwendig werden, wenn die Einwohnerz­ahl weiter wächst. Ich denke aber, es würde auch genügen, wenn wir zu den vier Sitzungen im Jahr einfach ins Forum in Mindelheim gehen.

Werden Sie für eine weitere Wahlperiod­e antreten? Oder haben Sie es schon bereut, Landrat geworden zu sein? Eder: Ich habe es keinesfall­s bereut. Ich muss aber zugeben, dass es zurzeit wegen Corona nicht sehr viel Spaß macht. Wenn es noch fünf Jahre so weitergehe­n würde, würde ich aktuell ein Fragezeich­en dahinter machen, aber mit dieser Frage beschäftig­e ich mich einfach noch überhaupt nicht.

Was schätzen Sie am Unterallgä­u? Eder: Bei uns gibt es alles, was man braucht: viel Natur, ein reichhalti­ges Kulturange­bot, zahlreiche Freizeit- und Einkaufsmö­glichkeite­n, ein Bildungsan­gebot das seinesglei­chen sucht, eine zukunftsfä­hige Gesundheit­sversorgun­g und eine bärenstark­e Wirtschaft. Und alles, was wir selbst nicht haben, befindet sich in unmittelba­rer Nähe wie zum Beispiel die Berge oder der Bodensee.

Wie entspannen Sie?

Eder: Ich genieße es sehr intensiv, mit meiner Familie Zeit zu verbringen. Handwerker­projekt habe ich aktuell leider keines, aber abschalten kann ich auch gut beim Brennholzm­achen. So zehn Festmeter dürften da in letzter Zeit zusammenge­kommen sein.

Interview: Johann Stoll und Thomas Schwarz

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Foto: Ulrich Wagner Seit einem Jahr ist Alex Eder jetzt Landrat im Unterallgä­u. Geprägt war diese Zeit vor allem von der Pandemie, doch im Gespräch mit unserer Redaktion geht es nicht nur um Corona.
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Symbolfoto: dpa

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