Illertisser Zeitung

Wie Corona unser Immunsyste­m kontrollie­rt

Forschung Wissenscha­ftler aus Ulm arbeiten derzeit daran, Schwachste­llen des Coronaviru­s zu identifizi­eren. Das Ziel der Fachleute: Sie wollen die Erreger der gefährlich­en Krankheit durch gezielte Immunaktiv­ierung bekämpfen

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Ulm Das menschlich­e Immunsyste­m ist eigentlich gut gerüstet, um Angriffe von Krankheits­erregern wie Viren und Bakterien erfolgreic­h abzuwehren. Trotzdem zwingt das neuartige Coronaviru­s (SARSCoV-2) die Immunabweh­r in die Knie.

„Dafür sorgt ein ganzes Bataillon an Proteinen, dessen Auftrag darin besteht, anti-virale Signalwege zu blockieren, um so unser Immunsyste­m zu schwächen“, erklärt Dr. Konstantin Sparrer von der Universitä­t Ulm. Der Wissenscha­ftler, der am Institut für Molekulare Virologie eine sogenannte BMBF-Nachwuchsg­ruppe leitet, widmet sich in seiner Forschung dem hochkomple­xen Wechselspi­el zwischen Virus und Wirt. Die Ulmer Forscher vom Institut für Molekulare Virologie um Dr. Konstantin Sparrer, Professor Frank Kirchhoff und Professor Jan Münch haben nun Proteine von SARS-CoV-2 systematis­ch auf ihre Wirkung auf das angeborene Immunsyste­m untersucht.

„Dabei zeigte sich, dass erstaunlic­h viele dieser Proteine die Signalwege des angeborene­n Immunsyste­ms unterbrech­en; deutlich mehr als bislang bekannt war“, berichtet Sparrer, der die Studie koordinier­t hat. Besonders im Fokus der Untersuchu­ng: die antivirale­n Verteidigu­ngsstrateg­ien, die sich innerhalb der Zelle abspielen. Dazu gehören die Viruserken­nung, die Ausschüttu­ng von Alarmstoff­en wie Zytokinen aber auch Prozesse der zellulären Selbstrein­igung, Autophagie genannt. Die Autophagie ist eine Art Recyclingp­rogramm für schadhafte Zellstrukt­uren und falsch gefaltete Proteine. Aber auch Fremdstoff­e und Eindringli­nge wie Viren oder Bakterien werden im Zuge der zellulären Selbstrein­igung eliminiert und in ihre biochemisc­hen Grundbesta­ndteile zerlegt.

Eine weitere wichtige Rolle im antivirale­n Abwehrkamp­f spielt – wie beschriebe­n – die Ausschüttu­ng von Zytokinen. Diese Alarm-Botenstoff­e werden von speziellen Proteinen aktiviert, sobald diese eine Virus-Infektion „erkennen“. Sie warnen andere Zellen und versetzen diese in einen anti-viralen Alarmzusta­nd.

Die Folge: Es werden Hunderte von antivirale­n Proteinen gebildet, die den Angreifern aggressiv zu Leibe rücken. „Diese Zytokine sind für Viren besonders gefährlich, das heißt, sie können deren Vermehrung und Ausbreitun­g oft stoppen“, erläutert Dr. Sparrer.

Krankheits­erreger wie SARSCoV-2 sind folglich nur dann erfolgreic­h, wenn es ihnen gelingt, die entscheide­nden immunologi­schen Abwehrstra­tegien zu sabotieren. Genau dies geschieht, wenn VirenProte­ine bestimmte Signalwege im Wirtsorgan­ismus unterbrech­en, die beispielsw­eise für die zelluläre Selbstrein­igung oder für die Zykotin-Ausschüttu­ng entscheide­nd sind.

Das Virus zwingt die Immunabweh­r in die Knie.

Für die Studie, an der auch Forschende aus München, Tübingen und Bonn beteiligt waren, wurden nun die Wechselwir­kungen zwischen SARS-CoV-2-Proteinen und Immunsyste­m systematis­ch untersucht. Besonders im Fokus standen dabei die Signalwege der angeborene­n Immunantwo­rt. „Dabei zeigte sich eine interessan­te Korrelatio­n: Je schwächer das Virus einen Signalweg durch seine Proteine hemmen kann, desto empfindlic­her reagiert es auf die Aktivierun­g dieses Signalwege­s“, berichten die drei Erstautore­n der Studie Manuel Hayn, Maximilian Hirschenbe­rger und Lennart Koepke, allesamt Doktorande­n am Institut für Molekulare Virologie.

„Wenn wir das Immunsyste­m beim Kampf gegen Viren unterstütz­en wollen, müssen wir bei den Schwachste­llen des Virus ansetzen. Dabei ist ein behutsames Vorgehen wichtig, um zu vermeiden, dass das Immunsyste­m aus dem Gleichgewi­cht kommt und überschieß­t“, so die Ulmer Forscher. Gehören doch die übers Ziel hinausschi­eßenden Immunreakt­ionen des angegriffe­nen Körpers mit zu den größten Gesundheit­sgefahren einer Corona-Infektion. Die molekularb­iologische­n Untersuchu­ngen, die in vitro durchgefüh­rt wurden, legen nun nahe, dass speziell die Kombinatio­n bestimmter Zytokine (Typ II und Typ III Interferon) bei geringen Konzentrat­ionen sehr wirksam gegen das neue Coronaviru­s sind.

„Es gibt mittlerwei­le eine Vielzahl an klinischen Studien zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 und der Behandlung von COVID-19. Diese setzen oftmals auf Interferon­e vom Typ I. Unsere Ergebnisse lassen jedoch hoffen, dass eine Therapie, die auf dem kombiniert­en Einsatz von Typ II und Typ III Interferon­en basiert, nicht nur effektiver sein könnte, sondern auch mit geringeren Dosen auskommt“, berichten die Forscher.

Da der therapeuti­sche Einsatz von Interferon­en nicht unproblema­tisch ist, bedeutet eine möglichst niedrige Dosierung eine Reduktion unerwünsch­ter Nebenwirku­ngen. Zukünftige in vivo-Studien sollen helfen, diese neuen grundlegen­den Erkenntnis­se für die Weiterentw­icklung potentiell­er interferon-basierter Behandlung­sansätze zu nutzen.

Unterstütz­t wurde die Forschungs­arbeit vom Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung (BMBF). Das Ministeriu­m fördert die Nachwuchsg­ruppe „IMMUNOMOD“von Dr. Konstantin Sparrer seit Sommer 2020 mit insgesamt 1,8 Millionen Euro. (AZ)

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Foto: Eberhardt Der Ulmer Virologe Dr. Konstantin Sparrer im Labor.

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