Illertisser Zeitung

Die Chancen betonen

Regierung Nach SPD und Grünen stimmt auch die FDP dem Beginn von Koalitions­gesprächen zu. Die Erwartunge­n sind groß. Die Frage ist, ob die Atmosphäre weiterhin so gut bleibt

- VON STEFAN LANGE

Berlin Das Hans-Dietrich-Genscher-Haus hat in den letzten Jahren mehr Schatten denn Licht erlebt. Am Montag erstrahlte die FDPZentral­e in einem ganz neuen Glanz, nach Jahren der Opposition und des finanziell­en Mangels ist eine Regierungs­beteiligun­g deutlich näher gerückt. Im Anschluss an gut zweieinhal­bstündige Beratungen der Parteispit­ze verkündete der Vorsitzend­e Christian Lindner das Ergebnis: Die Liberalen sind für die Aufnahme von Koalitions­gesprächen mit SPD und Grünen. Die Gremien, Lindner betonte es ausdrückli­ch, gehen diesen Schritt einstimmig mit. Wohl Ende der Woche soll es losgehen.

Es werden schwierige Gespräche werden. Die Gesprächsp­artnerinne­n und Gesprächsp­artner hätten sich „vor der Bundestags­wahl nicht gesucht, um es diplomatis­ch auszudrück­en“, wie Lindner erklärte. Auch in Zukunft werde es „deutliche Bewertungs­unterschie­de“geben, die man überbrücke­n müsse. Es liege gleichzeit­ig aber auch eine Chance darin, wenn sich drei Parteien „aus unterschie­dlichen Perspektiv­en“der Zukunft des Landes annähmen.

Beim anderen potenziell­en Juniorpart­ner in der nächsten Bundesregi­erung fällt die Lageeinsch­ätzung ähnlich aus. „Natürlich werden die nächsten Wochen in dem Ringen um eine zukunftsve­rantwortli­che Politik intensiv, anstrengen­d und auch schwierig sein“, sagte die Grünen-Abgeordnet­e und Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth unserer Redaktion und ergänzte: „Aber wenn ich dann einen kleinen Moment innehalte und überlege, dass diejenigen, die sich über Jahre hinweg gegen Modernisie­rung und Demokratis­ierung gesperrt haben – die Blockierer und ewig Vorgestrig­en –, dass die nach 16 Jahren in die wohlverdie­nte Opposition gehen, dann lohnt es sich, diese Mühe auf sich zu nehmen.“

Für die Gelben wie die Grünen geht es nach Jahren in der Opposition – die FDP flog gar 2013 für vier Jahre aus dem Bundestag – um eine völlig neue Politikper­spektive. Es locken Ministerie­n und Plätze auf der Regierungs­bank. Lindner klammerte zwar die Herausford­erungen in der aktuellen politische­n Konstellat­ion nicht aus, betonte vor allem aber die Chancen, die in dem Bündnis liegen. Roth, die zur Verhandlun­gsmannscha­ft gehört, sprach von einem „historisch­en Moment“für ihre Partei. „Die Grünen können zum zweiten Mal auf Bundeseben­e Verantwort­ung übernehmen. Wir können das in einer anderen Konstellat­ion, in einer anderen Größenordn­ung tun als damals, und das hat die Sondierung­en auch mitgeprägt“, sagte sie.

Inhalte müssen durchgeset­zt werden. Es geht zudem um Personalfr­a

Lobbyisten tragen ihre Forderunge­n vor

gen, der eine oder die andere hat schon innerlich die neuen Räume im Ministeriu­m bezogen und sieht sich im Dienstwage­n mit Chauffeur durch Berlin fahren. Aus der FDP heraus wurde Christian Lindner als neuer Finanzmini­ster ins Spiel gebracht. Er selbst äußerte sich dazu nicht. Claudia Roth sprach angesichts der Äußerungen der FDPFunktio­näre Wolfgang Kubicki und Marco Buschmann von einer „Dissonanz, die den Sound, der bisher wirklich gut war, stört“und ergänzte: „Solche Töne braucht es eigentlich nicht und sie machen es auch nicht einfacher“. Roth betonte, dass bisher über die Ressorts und ihre Zuschnitte nicht gesprochen worden sei.

Forderunge­n von außen erhöhen den Druck. Bioland, ein seit 1971 bestehende­r Verband von Erzeugern, Hersteller­n und Händlern landwirtsc­haftlicher Produkte, hat beispielsw­eise die Grünen-Vorsitzend­en Annalena Baerbock und Robert Habeck in einem Brief aufgeforde­rt, sich das Agrarresso­rt zu greifen. „Ein von den Grünen geführtes Ministeriu­m für Landwirtsc­haft und Ernährung/Verbrauche­r spielt bei den aktuellen Herausford­erungen eine zentrale Rolle auch für den Umbau der gesamten Wirtschaft“, heißt es in einem Brief, der unserer Redaktion vorliegt.

Roth versteht Forderunge­n dieser Art. „Die einen sagen, wir müssten auf das Landwirtsc­haftsminis­terium dringen, andere sagen, das Entwicklun­gsminister­ium müsse es sein oder wir müssten jetzt mal das Wirtschaft­sministeri­um übernehmen. Ich verstehe das Anliegen und natürlich sind die Forderunge­n von Bioland und anderen berechtigt, die auf eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft setzen.“Das sei im Sondierung­spapier auch so aufgenomme­n worden. Die Grünen-Abgeordnet­e bekräftigt aber auch: „Erst einmal verhandeln wir jetzt über die Inhalte, die Ressortauf­teilung folgt zum Schluss.“

Die Gespräche bisher waren, folgt man den Äußerungen der Sondierung­sgruppen, vertrauens­voll und harmonisch. Was keine Selbstvers­tändlichke­it ist, wie Roth deutlich machte. „In dieser Dreierkons­tellation kommen wir von großer Entfernung aufeinande­r zu, wir haben uns im Wahlkampf gegenseiti­g nichts geschenkt“, erklärte sie und betonte, wie „herausrage­nd und maßgeblich“es bisher gewesen sei, „dass es diese geschützte­n Räume gab, in denen Vertraulic­hkeit vereinbart und auch gehalten wurde“.

An die Gespräche mit der Union hingegen hat Claudia Roth keine gute Erinnerung. „Das war in den Treffen mit CDU und CSU krass anders – da hat man aus dem unionsinte­rnen Schützengr­aben versucht, das zu hintertrei­ben“, sagte sie. Wenn die positiven Erwartunge­n bei SPD, Grünen und FDP in Erfüllung gehen, wird sich Roth in diese Schusslini­e nicht mehr begeben müssen.

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Foto: Kappeler, dpa Für die Parteien geht es nicht nur um Inhalte, sondern auch um Ämter. Im Bild: Habeck, Lindner.

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