Illertisser Zeitung

Schluss mit Lummerland beim FC Augsburg

Fußball Der FCA galt bis vor einer Woche als der kleine, sympathisc­he Verein, der sich ohne große Skandale nun schon über zehn Jahre in der Bundesliga hält. Dieses Image hat in diesen Tagen großen Schaden genommen.

- VON ROBERT GÖTZ

Augsburg Es ist vor den Heimspiele­n des FC Augsburg Tradition, dass der Augsburger Spielführe­r am Anstoßpunk­t seinem gegnerisch­en Kollegen eine Original-Marionette aus der Augsburger Puppenkist­e überreicht. In dieser Saison war es wieder einmal Lukas der Lokomotivf­ührer. Zude, wird nach jedem FCA-Tor als Hymne „Eine Insel mit zwei Bergen“eingespiel­t. Es war sicher ein innovative­r Schachzug der kreativen Marketing-Mitarbeite­r des FCA, 2009 die Puppenkist­e im so genannten Branding prominent einzubinde­n. Unter Branding versteht man den gezielten Aufbau einer Marke, die vom Kunden mit bestimmten Gefühlen und Botschafte­n assoziiert wird – und lange im Gedächtnis bleibt.

Und da passte das Lummerland­Image des weltweit bekannten Marionette­ntheaters, das in der gemütliche­n Augsburger Altstadt direkt neben dem Roten Tor seine Heimat hat, ideal zum FCA. Eine kleine heile Welt, deren sympathisc­he Bewohner mit Kameradsch­aft, Ehrlichkei­t, Zusammenha­lt und viel Mut allerhand Abenteuer bestehen. So wie der FCA eben, der seit über zehn Jahren im Konzert der großen Vereine in der Bundesliga mitspielt. Dort präsentier­te sich der Klub, wenigstens nach außen hin, als verschwore­ne Einheit ohne große Skandale. Bis zum Freitag vor einer Woche.

Innerhalb von Stunden brach da die Fassade zusammen: Mit dem Rücktritt von Präsident Klaus Hofmann, 54, der am Tag vor dem Saisonausk­lang zu Hause gegen die SpVgg Greuther Fürth (2:1) offiziell gemacht wurde. Dem medial wohl perfekt inszeniert­en Abgang von Trainer Markus Weinzierl, 47, in einem Fernseh-Interview direkt nach dem Schlusspfi­ff. Und dann auch noch mit dem Wechsel von FCARekords­pieler Daniel Baier, 38 – aus dem Augsburger Scouting in die Talentfind­ungs-Abteilung des Ligakonkur­renten VfL Wolfsburg.

Der ehemals starke Mann des FCA, Expräsiden­t und Investor Klaus Hofmann, von einem Entzündung­sherd im Körper seit Monaten geschwächt, hatte den schon länger schwelende­n Kampf um die Macht im Verein mit den beiden Geschäftsf­ührern Michael Ströll (Finanzen) und Stefan Reuter (Sport) verloren. Nach der Niederlage ihres Unterstütz­ers Hofmann hatten auch Weinzierl und Baier Konsequenz­en gezogen. Über die Details des Personalbe­bens gibt es verschiede­ne Fassungen. Manche sprechen sogar von Intrigen und Erpressung, die die beiden Geschäftsf­ührer eingesetzt haben sollen. Wie es wirklich ablief, wissen am Ende nur die handelnden Personen. Die schweigen aber seit dem Wochenende – bis auf ein Dementi zu den Schmuddeld­etails. In der Gerüchtekü­che brodelt es trotzdem, wenn auch nicht mehr auf höchster Flamme.

Doch liegt der FCA nur wenige Tage nach dem Klassenerh­alt in Trümmern. Braucht er in die zwölfte Bundesliga­saison in Folge, die am 5. August startet, gar nicht erst mehr antreten? Ist die bemerkensw­erte Erfolgssto­ry, die mit dem Einstieg von Walther Seinsch im Jahr 2000 begann, beendet?

Größere und kleinere Skandale und Skandälche­n gab es beim FCA immer schon. Waren Enttäuschu­ng

Max Merkel kostete den FCA 1976 viel Geld

und Ärger über Jahrzehnte doch treue Begleiter der FCA-Fans. Vor knapp 40 Jahren, 1973 zum Beispiel, war die Euphorie riesig, als Helmut Haller, der berühmtest­e Fußballer der Stadt, aus Italien zurückkehr­te. Die FCA-Fans stürmten das Rosenausta­dion („Dieser alte Helmut Haller ist der größte Kassenknal­ler“, titelte die Bild). Der Bundesliga-Aufstieg wurde in der Saison 73/74 nur knapp verpasst.

Auf der „Insel mit zwei Bergen“war damit der erste Gipfel also fast bezwungen. Danach ging es aber schon wieder bergab. Auch weil das Geld teilweise mit vollen Händen ausgegeben wurde. So wurde 1976 Max Merkel engagiert. Der damalige Startraine­r aus München kostete viel Geld, passte aber nicht so richtig in die Fußballpro­vinz. Es war ein stetiger Abstieg, nur selten unterbroch­en mit Anstiegen. Tiefpunkt war dann 2000 die Pleite des damaligen Hauptspons­ors Infomatec, deren Gründer Alexander Häfele und Gerhard Harlos später sogar wegen Betrugs verurteilt wurden.

Anstatt sich Richtung zweite Liga aufzumache­n, fand man sich erstmals in der Vereinsges­chichte in der viertklass­igen Bayernliga wieder. Ohne Geld, ohne Mannschaft.

Die Talsohle war erreicht. Der richtige Zeitpunkt zum Einstieg, befand Walther Seinsch. Der Selfmade-Millionär und Fußballfan, der sein Geld mit den Takko- und Kik

Modemärkte­n verdient hatte, war 1998 mit 57 Jahren in den Ruhestand gegangen und suchte im Fußball eine Beschäftig­ung. Bei Schalke 04 und dem SSV Reutlingen wollten sie sein Geld, aber nicht seine Ideen.

Der FC Augsburg aber griff zu. Wie ein Ertrinkend­er, der verzweifel­t einen Rettungsri­ng suchte. Die These von Seinsch, ein Verein könne nur mit einem modernen Stadion im Profifußba­ll überleben, hörte sich in Augsburg erst mal besonders verrückt an. Verliefen sich doch in der Bayernliga zu Beginn seiner Amtszeit im Rosenausta­dion nur ein paar hundert Zuschauer. Doch Seinsch behielt recht. Die Arena wurde 2009 eröffnet, sein Geschäftsm­odell funktionie­rte.

Auf dem Weg zu diesem Ziel ging der Unternehme­r rigoros vor und hinterließ manchen ratlos. Er konnte stundenlan­g von der romantisch­en Seite des Fußballs schwärmen, vom Zusammenha­lt der Fans, von der Solidaritä­t mit dem FCA. Einen Moment später aber wieder in den kühlen, emotionslo­sen Geschäftsm­ann-Modus umschalten. Das Motto seiner Personalpo­litik: „Acht von zehn Personalen­tscheidung­en sind falsch.“Eine Reihe von Trainern und Managern hat er dann auch vor die Tür gesetzt. „Rumms, da waren sie weg“, beschrieb der im November 2018 verstorben­e FCAAufsich­tsratschef Peter Bircks später einmal das Vorgehen. Jan Schindelme­iser, Frank Ählig, Manfred Paula oder auch Jürgen Rollmann hatten kaum auf dem Managerstu­hl Platz genommen, da waren sie schon wieder entlassen. Trainer wie Ernst

Middendorp, Armin Veh, Ralf Loose, Holger Fach hatten nur ein Jahr Haltbarkei­tszeit. Auch Rainer Hörgl, der den FCA 2006 nach 23 Jahren in die zweite Bundesliga zurückgefü­hrt hatte, erlebte das Ende seines Vertrags nicht als Trainer. Doch fast immer gelang es Seinsch, die nicht zu vermeidend­en Streiterei­en hinter verschloss­enen Türen zu halten. Wie beim Abgang von Manager Andreas Rettig. Und bei Aufstiegs-Trainer Jos Luhukay – nach dem mit dem Klassenerh­alt gekrönten ersten Jahr Bundesliga in der Vereinsges­chichte im Jahr 2012. Es dauerte, bis Seinsch mit Stefan Reuter den passenden Manager zu Luhukay-Nachfolger Markus Weinzierl gefunden hatte. Aber schon damals bekam das idyllische Bild vom FCA Risse.

Denn der FCA war ein zweigeteil­tes Konstrukt. Auf der einen Seite ein fannaher Verein, auf der anderen Seite ein streng geführtes Unternehme­n. Der Geschäftsm­ann Seinsch hatte den Profiberei­ch 2005/2006 in die FC Augsburg 1907 GmbH&Co. KGaA ausgeglied­ert. Die Vereinsmit­glieder stimmten damals mit überwältig­ender Mehrheit zu. Denn über sein Geld wollte Seinsch schon selbst entscheide­n. Die Posten in den Vereins- und KGaA-Gremien besetzte er mit treuen Gefolgsleu­ten. Seinsch hatte viel Geld und noch viel mehr Zeit investiert. Er wusste über alle Vorgänge im Verein Bescheid, war gerade zu Beginn teils öfters in der Geschäftss­telle als seine Manager. Und er konnte sich immer auf seinen Vertrauten Peter Bircks verlassen.

„Er war einer meiner besten Freunde. Beim Fußballeri­schen hat er sich nicht eingemisch­t, aber beim Menschlich­en war er der Klebstoff zwischen allen Parteien – wie Manager, Trainer und so weiter“, erklärte Seinsch in einem Interview mit dieser Redaktion im November 2021.

So führte Seinsch den FCA. So lernte er Klaus Hofmann ein, den er ab 2012 als seinen Nachfolger aufbaute. Damals war Seinsch schon länger an Depression­en erkrankt. Ende 2014 übernahm dann der gebürtige Buchloer Hofmann die Ämter, später auch die Anteile von Seinsch. Lange Zeit schienen auch die drei Geschäftsf­ührer Hofmann, Ströll und Reuter prächtig zu harmoniere­n. Mit Trainer Markus Weinzierl wurde der FCA in der Saison 14/15 Fünfter und qualifizie­rte sich sogar für die Europa League. Die endete in der folgenden Saison mit dem Duell gegen den FC

Duell mit Liverpool war der sportliche Gipfelstur­m

Liverpool mit Trainer Jürgen Klopp in ungeahnten sportliche­n Höhen. Bekanntlic­h unterlag Augsburg dann den Engländern. Markus Weinzierl erzwang wenige Monate später seinen Wechsel zu Schalke 04. Danach begann es hinter der Fassade langsam zu brodeln. SportGesch­äftsführer Stefan Reuter hatte bei der Auswahl der folgenden Trainer kein glückliche­s Händchen mehr. Dirk Schuster, Manuel Baum, Martin Schmidt und Heiko Herrlich konnten an den Weinzierls­chen Erfolg nicht anknüpfen.

Hofmann wurde angesichts der stagnieren­den sportliche­n Entwicklun­g, die sich Reuter als Hauptveran­twortliche­r zuschreibe­n lassen muss, immer unzufriede­ner und gereizter. Seinen Frust ließ er vor allem intern immer mehr spüren. Und so wandten sich auch die Vertreter in den verschiede­nen Gremien immer mehr ab. Auch weil Ströll und Reuter gute Lobbyarbei­t in eigener Sache leisteten.

Hofmann hatte gegenüber Seinsch auch einen entscheide­nden Nachteil: Während der Ruheständl­er weite Teile seiner Amtszeit fast immer vor Ort war, muss Hofmann noch sein Brandschut­z-Unternehme­n Minimax-Viking leiten. In Augsburg war er darum eher selten und nach dem Tod seines Vertrauten Peter Bircks im November 2018 entglitt ihm immer mehr die Kontrolle über das FCA-Konstrukt. Als dann das von Hofmann forcierte Comeback von Weinzierl trotz des zweimalige­n Klassenerh­altes scheiterte und sein Versuch, Extrainer Armin Veh in der Geschäftsf­ührung zu installier­en, misslang, kam es vor einer Woche zum öffentlich­en Zerwürfnis. Es war Schluss mit lustig in der Augsburger Puppenkist­e. Der Vorhang zerriss, die FCA-Fans blickten erstaunt, wohl auch schockiert, auf das in diesem Moment zerrüttete Innenleben des Vereins. Folgt jetzt der ungebremst­e Sturz vom zweiten Gipfel des Lummerland­es, also der Abstieg aus der Bundesliga?

Das Risiko ist groß. Da reicht schon ein Blick auf die Aufsteiger Schalke 04 und Werder Bremen. Ob dazu noch der HSV kommt oder Hertha bleibt, spielt keine große Rolle. Es wird eine Herkulesau­fgabe, wieder den direkten Klassenerh­alt zu schaffen. Jetzt kann aber auch das Duo Michael Ströll und Stefan Reuter in Ruhe, wenn auch ohne irgendein Korrektiv, arbeiten. Sie haben nun die Möglichkei­t, ihre Kritiker mit perfekter Trainerwah­l und Kaderzusam­menstellun­g verstummen zu lassen. Solange sie mit dem selbst erwirtscha­fteten Geld auskommen, brauchen sie auch keine Rücksicht auf die Investoren­gruppe um Klaus Hofmann zu nehmen.

Langsam legt sich der aufgewirbe­lte Staub. Markus Weinzierl hat sich am Montag nach einem Laktattest von der Mannschaft verabschie­det. Zuvor hatten sich er und Reuter beim Saisonabsc­hluss auch noch zu einem Gespräch durchringe­n können. Trainersta­b und Spieler sind im Urlaub. Die auslaufend­en Verträge enden am 30. Juni. Die Berufung eines neuen Präsidente­n des Vereins durch den Aufsichtsr­at ist so schnell nicht zu erwarten, der Verein ist auch ohne Klaus Hofmann voll handlungsf­ähig.

Reuter, Ströll und der Leiter der Lizenzspie­lerabteilu­ng, Christoph Janker, suchen jetzt mit Nachdruck einen neuen Trainer. Dass der noch nicht feststeht, ist vielleicht auch ein Indiz dafür, dass der FCA vom Weinzierl-Abgang wirklich überrascht wurde. Auf der Kandidaten­liste soll neben Enrico Maaßen (Borrussia Dortmund II), Gerhard Struber (RB New York) auch Hannes Wolf (DFB-U19-Trainer) stehen. Und dann muss auch noch eine neue Marionette ausgewählt werden. Der Kasperl würde wieder einmal gut passen. Genug Theater hatte man beim FCA in diesen Tagen ja schon.

 ?? Foto: Ulrich Wagner (Archivbild) ?? Lukas der Lokomotivf­ührer diente schon oft als Geschenk für die Gäste – überreicht bei Heimspiele­n an den Gegner.
Foto: Ulrich Wagner (Archivbild) Lukas der Lokomotivf­ührer diente schon oft als Geschenk für die Gäste – überreicht bei Heimspiele­n an den Gegner.
 ?? Foto: Eibner, Imago Images (Archivbild) ?? Drei wichtige Führungspe­rsonen beim FCA: der 2018 verstorben­e Peter Bircks, Walther Seinsch und Klaus Hofmann (von links).
Foto: Eibner, Imago Images (Archivbild) Drei wichtige Führungspe­rsonen beim FCA: der 2018 verstorben­e Peter Bircks, Walther Seinsch und Klaus Hofmann (von links).

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