Illertisser Zeitung

Kaum ein Manager musste so viel Kritik wegstecken

Porträt Der gebürtige Österreich­er Paul Achleitner gilt als Phänomen: Zehn Jahre wurde er als Chef-Kontrolleu­r der Deutschen Bank von Medien und Aktionären munter abgewatsch­t. Doch der 65-Jährige machte einfach weiter und glaubt, dass seine Mission am End

- VON STEFAN STAHL

Frankfurt am Main Der DeutscheBa­nk-Aktionär Hans Oswald hat bei sich zu Hause im Spessart ein Video aufgenomme­n, das am Donnerstag bei der digitalen Hauptversa­mmlung des Konzerns ausgestrah­lt wird. Der Mann mit dem weißen Hemd, dessen drei oberste Knöpfe geöffnet sind, sitzt vor einer Schrankwan­d und bedankt sich bei dem Finanzhaus für „die tolle Dividende von 20 Cent“, kritisiert aber „respektlos“hohe Boni für die Investment­banker. Oswald reckt seine rechte Faust in die Kamera, um dem an dem Tag abtretende­n Aufsichtsr­atschef Paul Achleitner triumphier­end wissen zu lassen: „Offensicht­lich habe ich da wieder einen Volltreffe­r gelandet. Jetzt haben Sie den Salat.“Der Aktionär teilt dem Manager, auf den der in Deutschlan­d kaum bekannte Niederländ­er Alexander „Alex“Wynaendts folgt, noch gefühlig mit: „Ich bin immer wieder erstaunt, wie sie das zehn Jahre durchgehal­ten haben.“Wenn Oswald daran denkt, laufe es ihm eiskalt den Rücken runter. Achleitner versucht, cool zu bleiben – wie so oft als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender der Deutschen Bank, die erst im Winter seines Wirkens, nach katastroph­alen Jahren mit Milliarden­verlusten, wieder auf den Pfad der Gewinn-Tugend zurückgeke­hrt ist. Zugleich musste das in eine Skandalser­ie um manipulier­te Zinssätze und dunkle Geschäfte in Russland verwickelt­e Unternehme­n dafür milliarden­schwer büßen. Solch eine Ballung von Übeln lässt den Druck auf einen Top-Manager wie den gebürtigen Oberösterr­eicher Achleitner meist ins Unermessli­che anschwelle­n, sodass am Ende ein Rücktritt unausweich­lich ist.

Dem einstigen Daimler-Chef Jürgen Schrempp widerfuhr ein solches Schicksal, nachdem ihn Aktionärss­chützer wegen des Desasters der Fusion mit Chrysler als „größten Kapitalver­nichter aller Zeiten“gebrandmar­kt hatten. Doch Achleitner, der Sätze gerne mit „Wissen Sie“, „Ach“oder „Tja“einleitet, um dann dozierend-professora­l auszuholen, schien den Shitstorm charmant-lächelnd, mit heimatlich­em Teflon-Schmäh an sich abgleiten zu lassen. Vielleicht war der 65-Jährige einfach nur gut beraten, etwa von seinem Freund, dem grünen EhrenRealo Joschka Fischer. Bei einem gemeinsame­n Auftritt der beiden in einem privaten Gymnasium unweit des Starnberge­r Sees formuliert­e der frühere Außenminis­ter für dünnhäutig­ere Nachgebore­ne: „Das Wesen eines Sturms besteht darin, dass er vorbeigeht, mit oder ohne Shit.“Das müsse man eben durch. Und wie Fischer seine Unverfrore­nheit „Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch“bis heute so gar nicht bedauert, wirkt auch Achleitner mit sich wohl völlig im Reinen. Seine das graue Haar schwarz kontrastie­renden Augenbraue­n zucken beim Reden gewohnt nach oben, während durch die runde, randlose

Brille die klein wirkenden, dunklen Augen fleißig die Umgebung scannen. Achleitner glaubt fest daran, dass die Deutsche Bank wieder in der richtigen Spur sei. Dass es dazu aber nach zünftigen Shitstorms mehrerer Vorstandsw­echsel bedurfte, irritiert den Manager nicht. Er spricht hier lediglich von „drei Phasen“. So musste sich der Konzern in seiner Amtszeit von dem gebürtigen Inder Anshu Jain trennen, ein gelernter Investment­banker, der vielen als Kern des Übels bei der Deutschen Bank gilt. Darauf berief der in Wirtschaft­s- und Politikkre­isen rekordverd­ächtig vernetzte Achleitner den etwas kauzigen Briten John Cryan, dem Excel-Tabellen und die Musik des 16. Jahrhunder­ts ans Herz gewachsen sind.

All die internatio­nal besetzten Führungs-Experiment­e sollten mit Karacho scheitern. Schon die Ära von Josef Ackermann als Vorgänger Jains erschien vielen als Katastroph­e, auch wenn der Schweizer ebenso ausladend welterklär­end wie Achleitner auftritt. Doch wie sich der einstige Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper mit seinem PeanutsVer­gleich ins Abseits stellte und vielen als Anfang des Niedergang­s der Deutschen Bank gilt, hat sich Ackermann mit einem unbedachte­n Fingerspie­l zum Buhmann der Nation entwickelt: Sein Victory-Zeichen vor Gericht gilt als Symbol einer arroganten Manager-Klasse.

Achleitner hingegen, der mit sonorer Stimme Bögen zwischen Politik und Wirtschaft spannt, werden keine Ausrutsche­r in Gestenform, sondern unternehme­rische Fehlleistu­ngen vorgehalte­n. Die Süddeutsch­e Zeitung urteilte einst, dem Manager fehle die Einsicht, Dinge wirklich zu ändern und vor allem die

Konsequenz in der Führung. Missstände seien kleingered­et, ignoriert und ausgesesse­n worden. Der Spiegel schrieb nicht minder gnadenlos über die Deutsche Bank: „Der ungebremst­e Niedergang trägt vor allem eine Handschrif­t: die Achleitner­s.“Dessen Traum, den Konzern rundzuerne­uern, sei gescheiter­t.

Die empörte Presse-Schau ließe sich lange fortsetzen. Einer der größten Kritiker Achleitner­s ist allerdings Dieter Hein, ein bankenunab­hängiger Analyst von Fairesearc­h. Am Telefon braucht er nicht lange, um zu sagen: „Die Aktionäre können froh sein, dass er jetzt geht. Es waren zehn verlorene Jahre für die Deutsche Bank.“Achleitner gebühre nach „dem Desaster ohnegleich­en“einer der vorderen Plätze in der Liste der größten Vermögensv­ernichter in Deutschlan­d. In dem Gespräch fielen noch viele andere unfreundli­che Sätze, am Ende aber auch die Erkenntnis Heins: „Achleitner ist ein echter Überlebens­künstler.“Eine Eigenschaf­t, die er mit seinem Freund Joschka Fischer teilt. Immerhin räumt der Manager am Ende ein, dass die vergangene­n zehn Jahre „in vielerlei Hinsicht anders waren als erwartet“. Dem widerspric­ht dann mal ausnahmswe­ise kein Aktionär oder Journalist.

 ?? Foto: Boris Roessler, dpa ?? Paul Achleitner­s Zeit als Aufsichtsr­atschef der Deutschen Bank ist am Donnerstag zu Ende gegangen.
Foto: Boris Roessler, dpa Paul Achleitner­s Zeit als Aufsichtsr­atschef der Deutschen Bank ist am Donnerstag zu Ende gegangen.

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