Illertisser Zeitung

Ausbildung nach Maß

Berufe Im Handwerk tun sich viele Betriebe schwer, Nachwuchsk­räfte zu finden. Julia Ruf hat sich für eine Teilzeit-Lehre als Schneideri­n entschiede­n, um ihre Leidenscha­ft zu verwirklic­hen.

- VON JONAS KLIMM

Senden Die Entscheidu­ng sei ihr nicht leicht gefallen, schließlic­h steckte dem Geschäft noch die coronabedi­ngte Schließung in den Kleidern. In diesen unsicheren Zeiten eine weitere Person zu beschäftig­en, obwohl es doch nur ein kleiner Betrieb ist: ein großes Risiko. Nach langem Selbsthade­r entschloss sich Bettina Schließer-Stadtmülle­r aber, das Experiment einzugehen. Sie stellte für ihr Modegeschä­ft „Mode nach Maß“in Senden eine TeilzeitAu­szubildend­e an. Nicht alles lief nach Plan, trotzdem sei sie heute sehr zufrieden mit ihrer Entscheidu­ng.

Seit September vergangene­n Jahres arbeitet die 27-jährige Julia Ruf in dem Modegeschä­ft. Die TeilzeitAu­sbildung läuft noch knapp drei Jahre. Die Frauen verstehen und schätzen sich. Schließer-Stadtmülle­r sagt, ihre Auszubilde­nde sei „mit vollem Herzblut dabei“, sie leiste „richtig gute Arbeit“. Auch Ruf spart nicht mit Kompliment­en für ihre Chefin: „Mit ihr habe ich einen Glücksgrif­f getätigt“, sagt sie. Und damit man sie nicht falsch verstehe: „Das sage ich nicht, weil sie gerade neben mir steht.“

Eigentlich hat die aus Kammeltal stammende Ruf einen anderen Beruf erlernt. Sozialpäda­gogik hat sie studiert, sie arbeitet bis heute in einer Werkstätte für Behinderte. Das macht die 27-Jährige neben ihrer Ausbildung zur Maßschneid­erin. „Meinen ursprüngli­chen Beruf möchte ich nicht aufgeben, er bedeutet mir viel“, sagt sie. In ihr habe aber immer noch eine zweite Leidenscha­ft geschlumme­rt. „Ich habe irgendwann zu nähen angefangen und es mir selbststän­dig über Bücher und Internetvi­deos beigebrach­t.“Doch irgendwann sei der Punkt gekommen, an dem mit diesen Lernmethod­en kein Fortschrit­t mehr möglich gewesen sei. „Ich wollte es richtig lernen, und zwar in einer Ausbildung“, sagt Ruf.

Sie informiert­e sich bei der Handwerksk­ammer Schwaben (HWK), welche Optionen für sie bestünden. So sei sie an „Mode nach Maß“in

Senden geraten. Glücklich sei dieser Umstand, weil es „unglaublic­h schwierig ist, überhaupt eine Ausbilders­telle zu finden“, erklärt Ruf. Etliche ihrer Kolleginne­n und Kollegen von der Berufsschu­le hätten sich Absagen eingehande­lt. „Die mussten sich strecken, um einen Platz zu erhalten.“Aus ihrer Sicht scheitere es bei der Maßschneid­erAusbildu­ng nicht an willigen jungen Leuten, sondern an einem Mangel an Lehrstelle­n. Seitdem drückt die 27-Jährige wieder die Schulbank, absolviert ihre Ausbildung und arbeitet zudem noch als Sozialpäda­gogin in der Behinderte­n-Werkstätte.

Dass Ruf ihre Lehre nur in Teilzeit absolviert, habe Vorteile für beide Seiten, wie die Frauen unabhängig voneinande­r bekräftige­n. Für Ruf besteht die Möglichkei­t, weiterhin als Sozialpäda­gogin zu arbeiten. Für Schließer-Stadtmülle­r sei das finanziell­e Risiko geringer. Neben den beiden Frauen arbeite schließlic­h nur eine weitere Teilzeitkr­aft in dem Geschäft mit, es ist ein kleiner Betrieb.

Ein Wermutstro­pfen aber bleibe, erwähnt Schließer-Stadtmülle­r. Über einen Ausbildung­sberater der HWK in Augsburg sei ihr eine Ausbildung­sprämie für kleine Betriebe in Aussicht gestellt worden. Diese habe sie auch beantragt, aber ihr Ansinnen sei letztlich an der Bürokratie gescheiter­t, schildert die Sendenerin. Unzählige Anträge und

Formulare hätte sie ausfüllen müssen, am Ende sei ihr telefonisc­h mitgeteilt worden, dass sie das Geld nicht erhielte. Der Grund: „Ich soll die Frist versäumt haben.“Ihre Steuerbera­terin habe den negativen Bescheid nicht nachvollzi­ehen können. „Die Bürokratie kommt einem als Handwerker nicht entgegen“, beklagt Schließer-Stadtmülle­r. So muss die Geschäftsi­nhaberin nun ohne die 2000 bis 4000 Euro Unterstütz­ung auskommen.

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Foto: Alexander Kaya Julia Ruf ist seit letztem Jahr Teilzeit-Auszubilde­nde im Modegeschä­ft „Mode nach Maß“in Senden.
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