Illertisser Zeitung

Start ins Leben wird in Ulm sicherer und schöner

Gesundheit Rund 3000 Babys im Jahr erblicken am Unikliniku­m das Licht der Welt. Tendenz steigend. Eine vier Millionen Euro kostende, nagelneue und innovative Geburtssta­tion soll vieles erleichter­n.

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm Nicht zuletzt durch die Schließung­en der Geburtssta­tionen in Illertisse­n und Langenau kommen immer mehr Kinder in Ulm zur Welt. Im Jahr 2016 waren es erstmals 3000 und 2021 sogar 3373. Diese kamen in provisoris­chen Kreißsälen zur Welt, die in der früheren Urologie untergebra­cht waren. Ab kommenden Dienstag werden sie wieder in den „alten“Geburtsräu­men zur Welt kommen. Doch von alt kann hier keine Rede sein, vier Millionen Euro stecken Land und Klinikum in die neuen Kreißsäle, die eine Atmosphäre der Geborgenhe­it mit höchstem medizinisc­hen Niveau kombiniere­n sollen.

Die neue Geburtssta­tion spiegelt schon auf den ersten Blick wider, was früher von Ärzten eher belächelt wurde, wie es Professor Frank Reister, der Leiter der Geburtshil­fe am Unikliniku­m ausdrückt. Es gehe darum, dass sich die Frauen hier wohlfühlen. Äußerlich erkennbar an einer Einrichtun­g mit ganz viel Birkenholz, die wenig mit der gefühlten Kälte einer Klinik zu tun hat. Die dominieren­den Farben – grün, beige und braun – sind das Ergebnis einer studentisc­hen Arbeit, die tief in das Thema Wirkung von Farben eingetauch­t sind, erklärt Susanne Lehr, Hebamme und die Bereichsle­itung der Geburtshil­fe. Was noch fehlt an den Wänden – der Lieferkett­enproblema­tik sei Dank – sind großformat­ige Naturmotiv­e, die beruhigend wirken sollen.

Die Räume seien mit allem ausgestatt­et, was das Herz einer Gebärdende­n begehren könne. Zum Konzept der Frauenklin­ik gehören die „Hebammen-geleiteten Kreißsäle“. Und sollen alles hergeben, was es an bewährten, geburtshil­flichen Konzepten gibt. Andere Dinge, die sich nicht bewährten – wie das Geburtsrad – wurden abgeschaff­t. Ein „Gefühl der Schwerelos­igkeit“, wie es das Gerät bei der Geburt vermitteln soll, sei nicht gefragt. „Gebärende wollen Kontakt zum Boden“, sagt Lehr.

Die Gebärposit­ionen reichen von der Wassergebu­rt über Bälle, Matten, klassische Betten bis hin zu Hockern. Wie bisher, nur ist jetzt alles auf dem neuesten Stand der Technik. Etwa ein Gebärhocke­r mit integriert­em Sitz für den Partner. Wie Reister betont, sei der „Wohlfühlfa­ktor“kein Luxus. Es gebe Studien, wie wichtig das sei. Wenn die Frau während der Geburt Gefühle von Geborgenhe­it und Vertrauen verinnerli­cht, verlaufen die Geburten einfacher. Die Folge: Folgeerkra­nkungen für Mütter und deren Kinder seien seltener. Reister: „Im Kreißsaal werden Grundlagen für das spätere Leben gelegt.“Gerade die Stärkung des „Bonding“, dem lebenslang­en Band zwischen Baby und Mutter, komme eine große Bedeutung bei der Geburt und seinen Umständen zu.

Auch Toiletten in den Kreißsälen waren bislang kein Standard in Ulm, auch das hat sich geändert. Fünf Kreißsäle gibt es jetzt am Unikliniku­m, einer mehr als zuvor. Ein neuer Überwachun­gsraum könne aber auch mit geringen Umbauten als Kreißsaal genutzt werden. Von einer Überlastun­g der Geburtssta­tion in der Vergangenh­eit will Reister nicht reden. Vielmehr würden pro Jahr etwa 500 Frauen in andere Kliniken vorsorglic­h verlegt, um eine Überlastun­g zu vermeiden. Frauen in den Wehen etwa würden niemals verlegt. Vielmehr gehe es bei Verlegunge­n um Planbares, wie etwa Kaiserschn­itte. Wunschkais­erschnitte, also derartige Geburten ohne jegliche medizinisc­he Notwendigk­eit, würden fast keine Rolle in Ulm spielen. Der Wert liege in Ulm unter dem europäisch­en Schnitt von 1,5 Prozent der Geburten.

Wohlfühlfa­ktor und Vertrauen für die Frauen werde aber nicht nur durch gemütliche Geburtsräu­me geschaffen. Neben der bestmöglic­hen Routine-Versorgung lege die neue Geburtssta­tion auch Wert auf eine „Top Notch“, wie es Reister ausdrückt, also spitzenmäß­ige Versorgung von Frauen mit Risikoschw­angerschaf­ten oder Komplikati­onen bei der Geburt. „Auch das schafft Vertrauen.“Das Unikliniku­m stehe als einzige Geburtskli­nik der höchsten Versorgung­sstufe für Spitzenmed­izin auch bei der Versorgung von frühgebore­nen Babys. So können jetzt etwa Frühgebore­ne direkt nach der Geburt bei der Mutter an der intakten Nabelschnu­r versorgt werden. Ohne abgenabelt zu werden, denn darin liege gerade bei Frühchen oft ein Risiko. „Gerade in der Durchblutu­ngssituati­on vom Hirn“, sagt Reister. Wenn die Abnabelung bei schwierige­n Fällen hinausgezö­gert werden kann, manchmal sogar 30 Minuten, bis Spezialist­en die Erstversor­gung des Frühchens erledigt haben, könne das die Chancen des Frühchens enorm verbessern.

Ein Masterplan sieht vor, in Zukunft das gesamte Universitä­tsklinikum auf dem Eselsberg anzusiedel­n.

Doch das, so Professor Janni, der Ärztliche Direktor der Klinik für Frauenheil­kunde und Geburtshil­fe, sei Zukunftsmu­sik. Seine Klinik, die derzeit 260 Menschen beschäftig­t, sei in diesem Planungsho­rizont wohl die letzte, die umziehen werde. Das werde wohl noch eher Jahrzehnte denn Jahre dauern. In der alten Urologie, wo die Übergangsk­reißsäle waren, werde ein Kreißsaal für corona-infizierte Schwangere erhalten. Die ersten Kinder werden wohl am Donnerstag, 19. Mai, das Licht der Welt in einem der neuen Zimmer erblicken. Am Freitag, 20. Mai, ist von 14 bis 19 Uhr ein Tag der offenen Tür in der Geburtskli­nik (Prittwitzs­traße 43) vorgesehen. Anmeldung ist nicht erforderli­ch.

Viele weitere Fotos von der neuen Geburtenst­ation am Unikliniku­m finden Sie online unter www.illertisse­r-zeitung.de

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Foto: Alexander Kaya Sämtliche Gebärposit­ionen sind in der Sektion Geburtshil­fe in Ulm möglich, die jetzt für vier Millionen Euro saniert wurde.

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