Krisensicher mit Kunststoff und Präzision
Trotz vieler Krisen auf der Welt stimmen die Zahlen beim Familienbetrieb Weiss Kunststoffverarbeitung, der überwiegend die Autobranche versorgt. Was bedeutet der Wandel dort für Weiss?
Dass über Preise diskutiert wird, ist normal. Aber so viel Druck bei der Kundschaft hat Weiss Kunststoffverarbeitung noch nie gespürt, berichtet der geschäftsführende Gesellschafter Jürgen B. Weiss. Das Illertisser Unternehmen fertigt Präzisionsteile, die bis auf den tausendstel Millimeter genau sind. Fast zwei Drittel der Aufträge kommen aus der Automobilindustrie. Der Wandel dort bereitet dem Familienbetrieb keine schwerwiegenden Sorgen, doch Firmenchef Weiss sieht grundlegende Gefahren.
Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist die Arbeit quasi unsichtbar. Doch Betriebe wie Weiss versorgen viele andere Unternehmen. Nach Auskunft des Firmenchefs fertigen nur Lego und Bosch ihre Kunststoffteile selbst. Weiss beliefert Motorenhersteller, Bremsenfabrikanten und mehr. Viele Kunden legen Wert darauf, dass ihre Projekte nicht genannt werden. „Wenn wir stehen, stehen viele“, kommentiert der geschäftsführende Gesellschafter. Die Bedeutung der kleinen, hochpräzisen Komponenten hilft dem Unternehmen auch in schlechten Zeiten:
„Für das, was auf der Welt los war, war das Jahr 2023 gut“, findet Jürgen B. Weiss. Der Umsatz lag nach Unternehmensangaben bei 45,5 Millionen Euro in Illertissen und 11,6 Millionen Euro im ungarischen Györ, er stieg zum dritten Mal in Folge. 2024 soll wieder investiert werden, rund zwei Millionen Euro werden laut Plan ausgegeben, unter anderem für neue Maschinen. „Wenn Sie so präzise Teile fertigen, brauchen Sie präzise Maschinen“, formuliert Weiss.
Zuletzt hat das Unternehmen, das seinen Hauptsitz in der Rudolf-Diesel-Straße nördlich der Kernstadt hat, neue Kunden vermeldet: ein Medizintechnikunternehmen, einen Baumaschinenhersteller und einen Systemanbieter der Intralogistik, also für Materialflüsse innerhalb eines Betriebsgeländes. Der Weg zu neuen Kunden ist lang, er ziehe sich oft über zwei Jahre, schildert Betriebs- und Vertriebsleiter Christian Stecker. Persönliche Kontakte zu Beschäftigten, die den Arbeitgeber wechseln, Messestände, Fachpublikationen und der Ruf des Unternehmens helfen dabei. Weiss ist kein klassischer Automobilzulieferer. Seit vielen Jahren komme ein gutes Drittel der Aufträge aus anderen Bereichen. Eine bedeutende Rolle spielt diese Branche dennoch. Ein Risiko? „Wir sehen das nicht so“, sagt Jürgen B. Weiss.
In der Europäischen Union dürfen Autos mit Verbrennungsmotor nach 2035 nur noch zugelassen werden, wenn sie E-Fuels tanken – also synthetische Kraftstoffe, die mittels klimaneutral erzeugter elektrischer Energie hergestellt werden. In den USA würden aber neue Verbrennungsmotoren gebaut, berichtet der geschäftsführende Gesellschafter. Zudem fertige das Unternehmen ja keine Teile, die nur bei diesen Motoren benötigt werden. Beispielsweise wachse der Bedarf an hochwertigen Gehäusen für die Stecker von E-Autos. Christian Stecker ist überzeugt: „Wir haben genügend Zeit, woanders Fuß zu fassen.“Jürgen B. Weiss betont: „Die Umstellung auf E-Mobilität tut uns nicht weh.“Doch dass er den Schritt für falsch hält, verhehlt der Mann nicht: „Wir haben ja den Strom nicht.“
Sein Unternehmen verbraucht im Jahr 4,5 Millionen Kilowattstunden Energie, dank einer neuen PV-Anlage wird künftig ein Zehntel selbst produziert. Weiteres Potenzial ist da, davor muss ein Dach saniert werden. Die Kosten seien dennoch hoch, an einen Rückgang glaubt Jürgen B. Weiss nicht. Nicht nur sein Unternehmen spürt das, Kunden fragen angesichts der Entwicklungen nach günstigeren Preisen. Spielraum dafür sieht Weiss nicht. „Die Inflation geht zwar zurück, die Energiekosten und die Löhne aber nicht“, kommentiert der Unternehmer, der Vorstandschef für Nordwest-Schwaben des Verbands der Metall- und ElektroArbeitgeber (bayme vbm) ist.
Überhaupt, die Preise: Für manche Kunden sind die Angebote aus
Illertissen schlicht nicht attraktiv. „Wir machen hochpräzise Dinge, das kostet Geld“, sagt Weiss. Für „0815-Aufträge“sei man zu teuer. Dafür eben verlässlich und vielseitig. „Wir können konstruieren, wir können reparieren, wir sind flexibel“, zählt Christian Stecker auf. Er hat erlebt, dass Kunden wegen der Preise zu anderen Kunststoff verarbeitenden Betrieben wechselten und später zu Weiss zurückkehrten, weil die Qualität beim Konkurrenten
nicht ausreichte. Einen Hebel für günstigere Tarife hat das Unternehmen aber: Komponenten mit geringer Stückzahl, zum Beispiel 10.000 im Jahr, können in Handarbeit in Ungarn gefertigt werden. Der hoch spezialisierte Stammsitz in Illertissen und das Werk in Györ mit verhältnismäßig günstigen Preisen ergänzen sich, beschreibt Jürgen B. Weiss. Die Kombination mache eine Stärke des Familienbetriebs mit seinen rund 300 Beschäftigten aus, der 1946 gegründet wurde.
Das Unternehmen wirtschafte gut, Geld entnehme man nicht. So überstehe man auch harte Phasen: Die Coronapandemie etwa oder auch einen Cyberangriff im Jahr 2019. Der Betrieb könnte noch weiter wachsen, die Mittel und der Platz sind da. Doch Jürgen B. Weiss macht sich Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland. „Geld verteilen bringt nichts“, kritisiert er. Die Politik setze den Wirtschaftsstandort Deutschland aufs Spiel, warnt er – und meint nicht nur die Ampelregierung. Schon in den Jahren davor seien die Weichen falsch gestellt worden, findet er. „Das Umfeld ist wichtiger als Subventionen. Die Leute wissen schon, was sie zu tun haben“, sagt Weiss.
Der spezialisierte Stammsitz und das günstigere Werk in Ungarn ergänzen sich.