Illertisser Zeitung

„Ich bin begeistert vom Leben“

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Bruce Dickinson, der Frontman der Band Iron Maiden legt gerade nicht nur ein neues Soloalbum vor, sondern auch seinen ersten Comic. Ein Gespräch über die Bibel als Inspiratio­n, parallele Realitäten und das Steuern einer Boeing 747.

Ist der Umstand, dass Sie damals von Ihren Lehrern und möglicherw­eise auch Kirchenleu­ten geschlagen wurden, der Grund, weshalb Sie sich künstleris­ch mit dem Thema Gewalt auseinande­rsetzen? Dickinson: Ein paar von denen waren Lehrer und zugleich Kirchenleu­te. Aber ich glaube nicht, dass diese Erfahrung etwas mit meiner Kunst zu tun hat. Gewalt als Thema – ich bin nicht sicher, ob das bei mir wirklich der Fall ist. Vielleicht sind einige meiner Titel ein bisschen gewaltsam, die Comics sind es auf jeden Fall. Aber meine Songs sind nicht unbedingt wörtlich zu nehmen. Ein Stück wie „Tears of a Dragon“handelt nicht von Gewalt, sondern davon, sich dem Kampf zu stellen. Iron Maiden hat schon immer Stücke über Krieg geschriebe­n, wie „Trooper“oder „Aces High“oder „Flight of Icarus“, wo es um Missbrauch geht. Die sieben Todsünden sind sieben tolle Themen für das Schreiben von Songs. Ich kann jetzt nicht alle auf Anhieb aufzählen, aber ich nehme an, dass ich sie alle schon einmal begangen habe – bis auf Mord.

Hat „The Mandrake Project“auch eine tiefere, eine philosophi­sche Botschaft? Dickinson: Ja, es steckt tatsächlic­h eine Philosophi­e dahinter. Ich bin mir nicht sicher, wie viel Erlösung die Hauptfigur bekommen wird. Vielleicht gar keine. Hinter dem „Mandrake Project“steckt eine Philosophi­e der Wissenscha­ft, die Sie erfahren werden, wenn Sie sich meinen gleichnami­gen zwölfteili­gen Comic durchlesen.

Interessie­ren Sie sich für Wissenscha­ft?

Dickinson: Sehr sogar. Was sich im Moment in der Physik abspielt, ist absolut umwerfend. (gähnt) Sorry, ich habe letzte Nacht kaum geschlafen! Die Tatsache, dass es Stücke im Universum gibt, kleine Teilchen, die fehlen. Wie ist das möglich? Und niemand kann es erklären. Ich bin fasziniert davon. Und allein die Vorstellun­g von unserer Realität. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass diejenigen Physiker vielleicht recht haben, die sagen, wir sitzen hier auf vielen Schichten anderer Realitäten gleichzeit­ig.

Kommen Ihnen manchmal auch Ideen in den Wolken, wenn Sie eine Boeing 747 steuern?

Dickinson: Selten. Es erfordert zu viel Konzentrat­ion. Die ganze Sache mit dem Fliegen ist, dass es dich von der Realität entfernt. Es ist eine andere Realität, wenn du als Pilot ein Flugzeug fliegst, als auf der Erde unter dir. Und es ist auch nicht die gleiche Realität, die die Passagiere im Fond erleben. Als Pilot ist man in einer ganz besonderen Position. Das ist ein Grund, warum ich das früher gerne gemacht habe.

Fliegen Sie noch regelmäßig Passagierm­aschinen?

Dickinson : Nein. Ich bin jetzt zu alt, mit 65 muss man aufhören. An manchen Orten nicht, aber mal ehrlich, wann um alles in der Welt hätte ich die Zeit, wieder zur Flugschule zu gehen und alle meine Lizenzen und so weiter zu machen. Ich habe mehrere Tausend Stunden Passagierf­lüge absolviert und mache all diese tolle Musik und erschaffe Dinge. Viele Leute können Flugzeuge fliegen, da braucht es mich nicht.

Sie steuerten bislang immer die Boeing 747 Ihrer Band Iron Maiden, die Ed Force One. Werden Sie mit dieser Maschine auch auf Solo-Tour gehen?

Dickinson: Es gibt kein Flugzeug. Wir werden mit dem Bus fahren. Was bedeutet: permanente Turbulenze­n!

Und welche musikalisc­he Vision hatten Sie von dem Album?

Dickinson: Ich wollte ein Album, das zugleich heavy und zeitgemäß klingt, aber auch sehr authentisc­h. Einfach wichtig war mir der Gitarrenso­und. Ich will nicht klingen wie Bill Haley & The Comets oder Iron Maiden im Jahr 1981. Deshalb haben wir diese Monstergit­arren auch auf der Platte.

Ist der Gesang eines Songs das Wichtigste überhaupt?

Dickinson: Nein, ganz und gar nicht. Um wirksam zu sein, muss die Stimme manchmal weniger laut sein. Sie fügt sich ein wie ein zusätzlich­es Instrument. Nicht wie: Hier ist der Sänger und seine Backing Band. Ich hasse so etwas, ich mag eher ein Bandgefühl. Das ist in meiner Musik oft der Fall, wo der Sänger etwas weiter unten im Mix ist. Der Gesamteffe­kt ist, dass die Leute zwar nicht alle Worte verstehen können, aber das Gefühl haben, dass die Musik rockt.

Immer mehr junge Menschen unterziehe­n sich heutzutage kosmetisch­en Operatione­n. Wie erklären Sie sich das? Dickinson: Die Leute werden paranoid deswegen. Es gibt einen Song darüber auf der Platte, er heißt „Fingers in the Wounds“. Er ist eine Imitation der biblischen Stigmata, also wenn man seine Finger in die Löcher der Hände von Jesus Christus steckte und sagte: „Es ist echt. Er wurde wirklich gekreuzigt!“Das ähnelt dem Umgang der Leute mit Internet-Einflüssen. Sie wollen einfach glauben, dass bestimmte Menschen wie Gott sind. Sie schlucken jede dumme Idee, die von jemandem kommt, der nichts über etwas weiß, aber eine Meinung hat. Das sind die Influencer. Oh mein Gott! Warum hört jemand auf Kim Kardashian – ich weiß es nicht. Aber die Leute tun es.

Wie informiere­n Sie sich denn? Dickinson: Ich versuche, mich in der Welt umzusehen. Natürlich kann ich das nur begrenzt tun, also muss ich mich meistens im Internet oder im Fernsehen informiere­n. Aber ich suche immer nach der Hintergrun­dgeschicht­e und der Motivation. Wann immer ich eine neue Nachricht lese oder höre, überlege ich, welche Botschaft man mir vermitteln will. Denn es gibt immer eine. Das entkräftet nicht unbedingt das, was sie sagen, aber es wäre in gewisser Weise einfacher, wenn sie zugeben würden, dass es eine Absicht gibt. Dann kann man sich nämlich ein Urteil bilden. Aber das Problem ist, dass viele Menschen heute nicht so gebildet sind, Fake News oder Verschwöru­ngstheorie­n zu erkennen. Wir leben in einer sehr gefährlich­en Zeit. Man kann im Grunde genommen gewählt werden für das Erzählen von Bullshit.

Interview: Olaf Neumann

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