Illertisser Zeitung

Wenn der Vater zum Feind wird

Aufwühlend­e Aussagen von Angehörige­n bringen im Mordprozes­s von Altenstadt neue Erkenntnis­se über die Beziehung des Angeklagte­n zum Getöteten ans Licht.

- Von Wilhelm Schmid

Als wichtiger Grundsatz für ein tat- und schuldange­messenes Urteil nach einem Kapitalver­brechen gilt für das Gericht, nicht nur nachzuweis­en, wer die Tat begangen hat. Es geht auch darum aufzukläre­n, welches Motiv den oder die Täter dazu gebracht hat. Deshalb hat die 1. Strafkamme­r des Landgerich­ts Memmingen zur Aufklärung der als Doppelmord angeklagte­n Tötung eines Ehepaares in Untereiche­n insgesamt 50 Zeuginnen und Zeugen geladen. Am jüngsten Verhandlun­gstag ging es erstmals konkret um die Frage, welche Gründe der Angeklagte und seine Ehefrau gehabt haben könnten, eine solche Tat zu begehen. Dazu wurden im Laufe der Vernehmung­en von vier Zeuginnen einige Tatsachen bekannt, die bisher nur in den Polizeipro­tokollen standen.

Der Vorsitzend­e Richter Bernhard Lang nahm bei den Befragunge­n immer wieder Bezug auf frühere Aussagen bei der Polizei. Als erste Zeugin berichtete die Schwester der getöteten Frau, was aus ihrer Sicht zum Zerwürfnis zwischen dem Angeklagte­n und dessen Vater geführt haben könnte. So habe der Vater dem Sohn eine Dachrepara­tur an dessen Haus nicht bezahlen wollen und nach einem Urlaub im Sommer 2022 sei Patrick O. vorgeworfe­n worden, er habe das Haus seines Vaters „auf den Kopf gestellt“. Deshalb habe Karl O. die Schlösser ausgetausc­ht.

Weitaus mehr ins Detail ging die Schwester des Angeklagte­n, die auf ihr Recht zur Aussagever­weigerung verzichtet­e und ausführlic­h über die schwierige­n Familienve­rhältnisse berichtete. So berichtete sie unter Tränen, der getötete Karl O. habe ihr und ihrer Halbschwes­ter jeden Kontakt mit dem heute angeklagte­n Patrick O. verboten und habe dem Sohn sogar mit „Mord und Totschlag“gedroht, als er einen WhatsApp-Chat zwischen ihr und Patrick entdeckt habe. Sie habe Patrick nach dem Todesfall getroffen und da habe er gesagt: „Die holen mich jetzt dann“, weshalb nun der Erbfall zu regeln sei.

Sie sei „geschockt“gewesen, wie abwertend er über ihren gemeinsame­n Vater gesprochen habe, worauf er ihr erklärt habe, dass der Vater sogar einmal gedroht habe, mit der Mistgabel auf das kleine Kind des heute angeklagte­n Ehepaares loszugehen. Sie und ihre Halbschwes­ter hätten mehr um den Vater und dessen Frau getrauert, als der Sohn, obwohl dieser bei ihm aufgewachs­en sei und die beiden Halbschwes­tern ihren Bruder nur dreimal kurz nach dem Todesfall gesehen hatten. Um Erbstreiti­gkeiten aus dem Weg zu gehen, habe sie unterschri­eben, dass sie auf ihr Erbe verzichte.

Auf Nachfrage von Verteidige­r Alfred Nübling antwortete die

Schwester des Angeklagte­n, dass sie „finanziell mit der Geschichte abgeschlos­sen“habe, „aber nicht emotional“. Ihr Vater habe auch stets nur das Minimum an Unterhalt für sie bezahlt und selbst das habe ihre Mutter wiederholt vor Gericht erstreiten müssen. Dabei habe ihr Karl O., nachdem sie mit 18 Jahren einen Unfall überlebt habe, gesagt, es wäre besser gewesen, sie wäre „ganz weg“. Außerdem habe ihr Vater laut Erzählunge­n der Mutter gesagt, er könne sie als kleines Kind in den vor dem Haus vorbeiflie­ßenden Mühlbach vor den Rechen des dortigen Kraftwerks werfen, „damit es nach einem Unfall aussieht“.

Nach dieser emotional aufwühlend­en Aussage gewährte das Gericht eine kurze Pause. Danach sagte eine Angestellt­e der getöteten Frau aus, in deren Spielwaren­laden in Laupheim sie gearbeitet hatte. Sie versichert­e, dass Monika O. viele Jahre lang „immer gut gelaunt“gewesen sei und sie mit ihr gerne zusammen gearbeitet habe. Abschließe­nd folgte die Aussage einer Expartneri­n von Karl O., nämlich der Mutter der jungen Frau, die an dem Tag als Zweite ausgesagt hatte. Karl O. hat sie demnach in den ersten zwei Jahren ihrer Beziehung „auf Händen getragen“, aber nach der Geburt der Tochter nur ständig „neue Frauen“gehabt. Bei der Geburt habe er im Kreißsaal zu ihr gesagt, das sei jetzt für ihn „wie ein Pokal beim Geflügelzü­chten“, danach „aber jetzt hör’ ich auf mit dem Kindermach­en“. Später habe er gesagt: „Verreck doch mit deinem Balg!“Sie habe rund drei Jahre mit Karl O. zusammen gelebt, berichtete die Frau. Sein Sohn Patrick sei bei seiner Mutter in Neu-Ulm gewesen und als der Bub sieben Jahre alt wurde und zur Schule kam, sei Patrick zu ihr und seiner Halbschwes­ter nach Untereiche­n gezogen. Es sei anfangs problemlos gewesen, führte sie weiter aus, und sie habe „die Herausford­erung gemeistert“, die beiden Kinder zu erziehen und Karl O. „an der Backe zu haben“. Dieser sei nämlich „ausschließ­lich zum Tanzen gegangen“, habe sich als „Weiberheld“gefühlt und sei von dort beispielsw­eise einmal nachts heimgekomm­en, um ihr aufzutrage­n, Sekt zu holen, denn er habe „seine neue Traumfrau“mitgebrach­t. Patrick sei in dieser Zeit „sehr liebebedür­ftig, aber auch verzweifel­t gewesen“, besonders auch dann, als er schließlic­h allein bei seinem Vater bleiben musste, nachdem sie mit ihrer Tochter nach Illertisse­n umgezogen sei.

So habe Patrick beispielsw­eise immer wieder Kleinigkei­ten aus der Schule mitgebrach­t, von denen er strahlend berichtete, er habe diese „geschenkt bekommen“, wobei er sie gestohlen hatte. Einmal habe Patrick ihre kleine Tochter mit dem Kinderwage­n spaziereng­efahren, erzählte sie. Plötzlich sei er ganz aufgeregt zu ihr gekommen, um mitzuteile­n, dass das Kind beinahe in den Mühlbach gefallen sei. Als sie nachschaut­e, fand sie ihre kleine Tochter am Rande des Mühlbachs liegend und sie habe das Gefühl gehabt, Patrick habe als Retter gelobt werden wollen.

Ihren weiteren Erzählunge­n zufolge musste der Bub nach ihrem Wegzug bei seinem Vater bleiben. Abends sei er oft eingesperr­t worden, während Karl O. zum Tanzen gegangen sei. „Kein Kind ist schlecht, es wird nur schlecht erzogen!“, betonte die Expartneri­n. Sie habe dann nur noch alle zwei Jahre Kontakt mit Karl O. gehabt, als man sich vor Gericht wegen der Unterhalts­zahlungen für ihre Tochter habe treffen müssen. Dabei habe er ihr einmal vor dem Gerichtssa­al in München ins Gesicht gespuckt. Karl O. habe dann jeden Kontakt abgelehnt.

Als ihre Tochter als Kind einmal zu Fuß nach Untereiche­n gegangen sei, um ihren Vater und Patrick zu besuchen, habe Karl sie „wie einen räudigen Hund vom Hof gejagt“. Sie habe dann zu ihrer Tochter gesagt: „Wenn er mit den Unterhalts­zahlungen fertig ist, nimmt er dem Patrick das Haus!“Der Vater habe nämlich große Teile seines Vermögens auf den Sohn überschrie­ben, um keinen Unterhalt zahlen zu müssen. Nach Ende ihrer emotionsge­ladenen Aussage wandte sich die Frau an den Angeklagte­n mit den Worten: „Patrick, ich wünsche dir alles Gute!“

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Foto: Wilhelm Schmid (Archivbild) Unser Foto zeigt rechts das Haus von Karl und Monika O., also den Tatort in Untereiche­n, und links das Haus, in dem Patrick und Julia O. bis zu ihrer Festnahme wohnten.

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