Wenn der Vater zum Feind wird
Aufwühlende Aussagen von Angehörigen bringen im Mordprozess von Altenstadt neue Erkenntnisse über die Beziehung des Angeklagten zum Getöteten ans Licht.
Als wichtiger Grundsatz für ein tat- und schuldangemessenes Urteil nach einem Kapitalverbrechen gilt für das Gericht, nicht nur nachzuweisen, wer die Tat begangen hat. Es geht auch darum aufzuklären, welches Motiv den oder die Täter dazu gebracht hat. Deshalb hat die 1. Strafkammer des Landgerichts Memmingen zur Aufklärung der als Doppelmord angeklagten Tötung eines Ehepaares in Untereichen insgesamt 50 Zeuginnen und Zeugen geladen. Am jüngsten Verhandlungstag ging es erstmals konkret um die Frage, welche Gründe der Angeklagte und seine Ehefrau gehabt haben könnten, eine solche Tat zu begehen. Dazu wurden im Laufe der Vernehmungen von vier Zeuginnen einige Tatsachen bekannt, die bisher nur in den Polizeiprotokollen standen.
Der Vorsitzende Richter Bernhard Lang nahm bei den Befragungen immer wieder Bezug auf frühere Aussagen bei der Polizei. Als erste Zeugin berichtete die Schwester der getöteten Frau, was aus ihrer Sicht zum Zerwürfnis zwischen dem Angeklagten und dessen Vater geführt haben könnte. So habe der Vater dem Sohn eine Dachreparatur an dessen Haus nicht bezahlen wollen und nach einem Urlaub im Sommer 2022 sei Patrick O. vorgeworfen worden, er habe das Haus seines Vaters „auf den Kopf gestellt“. Deshalb habe Karl O. die Schlösser ausgetauscht.
Weitaus mehr ins Detail ging die Schwester des Angeklagten, die auf ihr Recht zur Aussageverweigerung verzichtete und ausführlich über die schwierigen Familienverhältnisse berichtete. So berichtete sie unter Tränen, der getötete Karl O. habe ihr und ihrer Halbschwester jeden Kontakt mit dem heute angeklagten Patrick O. verboten und habe dem Sohn sogar mit „Mord und Totschlag“gedroht, als er einen WhatsApp-Chat zwischen ihr und Patrick entdeckt habe. Sie habe Patrick nach dem Todesfall getroffen und da habe er gesagt: „Die holen mich jetzt dann“, weshalb nun der Erbfall zu regeln sei.
Sie sei „geschockt“gewesen, wie abwertend er über ihren gemeinsamen Vater gesprochen habe, worauf er ihr erklärt habe, dass der Vater sogar einmal gedroht habe, mit der Mistgabel auf das kleine Kind des heute angeklagten Ehepaares loszugehen. Sie und ihre Halbschwester hätten mehr um den Vater und dessen Frau getrauert, als der Sohn, obwohl dieser bei ihm aufgewachsen sei und die beiden Halbschwestern ihren Bruder nur dreimal kurz nach dem Todesfall gesehen hatten. Um Erbstreitigkeiten aus dem Weg zu gehen, habe sie unterschrieben, dass sie auf ihr Erbe verzichte.
Auf Nachfrage von Verteidiger Alfred Nübling antwortete die
Schwester des Angeklagten, dass sie „finanziell mit der Geschichte abgeschlossen“habe, „aber nicht emotional“. Ihr Vater habe auch stets nur das Minimum an Unterhalt für sie bezahlt und selbst das habe ihre Mutter wiederholt vor Gericht erstreiten müssen. Dabei habe ihr Karl O., nachdem sie mit 18 Jahren einen Unfall überlebt habe, gesagt, es wäre besser gewesen, sie wäre „ganz weg“. Außerdem habe ihr Vater laut Erzählungen der Mutter gesagt, er könne sie als kleines Kind in den vor dem Haus vorbeifließenden Mühlbach vor den Rechen des dortigen Kraftwerks werfen, „damit es nach einem Unfall aussieht“.
Nach dieser emotional aufwühlenden Aussage gewährte das Gericht eine kurze Pause. Danach sagte eine Angestellte der getöteten Frau aus, in deren Spielwarenladen in Laupheim sie gearbeitet hatte. Sie versicherte, dass Monika O. viele Jahre lang „immer gut gelaunt“gewesen sei und sie mit ihr gerne zusammen gearbeitet habe. Abschließend folgte die Aussage einer Expartnerin von Karl O., nämlich der Mutter der jungen Frau, die an dem Tag als Zweite ausgesagt hatte. Karl O. hat sie demnach in den ersten zwei Jahren ihrer Beziehung „auf Händen getragen“, aber nach der Geburt der Tochter nur ständig „neue Frauen“gehabt. Bei der Geburt habe er im Kreißsaal zu ihr gesagt, das sei jetzt für ihn „wie ein Pokal beim Geflügelzüchten“, danach „aber jetzt hör’ ich auf mit dem Kindermachen“. Später habe er gesagt: „Verreck doch mit deinem Balg!“Sie habe rund drei Jahre mit Karl O. zusammen gelebt, berichtete die Frau. Sein Sohn Patrick sei bei seiner Mutter in Neu-Ulm gewesen und als der Bub sieben Jahre alt wurde und zur Schule kam, sei Patrick zu ihr und seiner Halbschwester nach Untereichen gezogen. Es sei anfangs problemlos gewesen, führte sie weiter aus, und sie habe „die Herausforderung gemeistert“, die beiden Kinder zu erziehen und Karl O. „an der Backe zu haben“. Dieser sei nämlich „ausschließlich zum Tanzen gegangen“, habe sich als „Weiberheld“gefühlt und sei von dort beispielsweise einmal nachts heimgekommen, um ihr aufzutragen, Sekt zu holen, denn er habe „seine neue Traumfrau“mitgebracht. Patrick sei in dieser Zeit „sehr liebebedürftig, aber auch verzweifelt gewesen“, besonders auch dann, als er schließlich allein bei seinem Vater bleiben musste, nachdem sie mit ihrer Tochter nach Illertissen umgezogen sei.
So habe Patrick beispielsweise immer wieder Kleinigkeiten aus der Schule mitgebracht, von denen er strahlend berichtete, er habe diese „geschenkt bekommen“, wobei er sie gestohlen hatte. Einmal habe Patrick ihre kleine Tochter mit dem Kinderwagen spazierengefahren, erzählte sie. Plötzlich sei er ganz aufgeregt zu ihr gekommen, um mitzuteilen, dass das Kind beinahe in den Mühlbach gefallen sei. Als sie nachschaute, fand sie ihre kleine Tochter am Rande des Mühlbachs liegend und sie habe das Gefühl gehabt, Patrick habe als Retter gelobt werden wollen.
Ihren weiteren Erzählungen zufolge musste der Bub nach ihrem Wegzug bei seinem Vater bleiben. Abends sei er oft eingesperrt worden, während Karl O. zum Tanzen gegangen sei. „Kein Kind ist schlecht, es wird nur schlecht erzogen!“, betonte die Expartnerin. Sie habe dann nur noch alle zwei Jahre Kontakt mit Karl O. gehabt, als man sich vor Gericht wegen der Unterhaltszahlungen für ihre Tochter habe treffen müssen. Dabei habe er ihr einmal vor dem Gerichtssaal in München ins Gesicht gespuckt. Karl O. habe dann jeden Kontakt abgelehnt.
Als ihre Tochter als Kind einmal zu Fuß nach Untereichen gegangen sei, um ihren Vater und Patrick zu besuchen, habe Karl sie „wie einen räudigen Hund vom Hof gejagt“. Sie habe dann zu ihrer Tochter gesagt: „Wenn er mit den Unterhaltszahlungen fertig ist, nimmt er dem Patrick das Haus!“Der Vater habe nämlich große Teile seines Vermögens auf den Sohn überschrieben, um keinen Unterhalt zahlen zu müssen. Nach Ende ihrer emotionsgeladenen Aussage wandte sich die Frau an den Angeklagten mit den Worten: „Patrick, ich wünsche dir alles Gute!“