Illertisser Zeitung

Ukraine geht geschwächt ins dritte Kriegsjahr

Zu wenig Munition, zu wenig Soldaten: Auch die EU kann nur begrenzt helfen.

- Von Margit Hufnagel

Kiew Der Ukraine geht die Munition aus – auch, weil es an Geld fehlt. Doch nun könnte das vom Krieg geplagte Land zumindest die Chance erhalten, sich mit zusätzlich­en finanziell­en Mitteln selbst um die Beschaffun­g zu kümmern: Die Zinsgewinn­e von im Ausland eingefrore­nen russischen Vermögen sollen nach den Plänen der EU schon bald abgeschöpf­t und Kiew zur Verfügung gestellt werden. Nach Angaben des EU-Außenbeauf­tragten Josep Borrell geht es um einen Betrag von mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr. 90 Prozent der Gelder könnten in Militärhil­fen fließen, zehn Prozent in die ukrainisch­e Verteidigu­ngsindustr­ie. Zum Vergleich: Der finanziell­e Bedarf der Ukraine liegt bei 100 Milliarden pro Jahr.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz versprach am Mittwoch in seiner Regierungs­erklärung: „Wir werden die Ukraine so lange unterstütz­en, wie das nötig ist.“Doch Experten erwarten, dass sich die Lage an der Front weiter verschärfe­n wird. „Das Blatt hat sich gewendet, Russland ist dabei, seine Kräfte zu konsolidie­ren, und die Ukraine kann derzeit keine Offensiv-Aktionen ins Auge fassen“, sagt Joachim Krause vom Institut für Sicherheit­spolitik in Kiel. Solange das Land nicht mit mehr Waffen versorgt werde, sei Putin im Vorteil.

Auch der Außenpolit­iker Norbert Röttgen (CDU) warnt: „Russland hat eine mindestens fünffache Munitionsü­berlegenhe­it, die Ukraine hat nach wie vor praktisch keine modernen Kampfflugz­euge und viel zu wenig Langstreck­ensysteme.“Doch nicht nur in der Materialsc­hlacht zieht die Ukraine den Kürzeren, auch personell hat die Armee massive Schwierigk­eiten. Der Ukraine drohten, so Röttgen, nach der Munition auch die Soldaten auszugehen. „Die militärisc­he Lage ist also äußerst kritisch für die Ukraine, eine Änderung in den nächsten Monaten nicht abzusehen“, sagt der CDU-Bundestags­abgeordnet­e unserer Redaktion. Und doch warnt er vor voreiligen Schlüssen. „Zu nachhaltig­en großflächi­gen Landgewinn­en dürfte auch Russland in diesem Jahr die Kraft fehlen“, sagt er. „Die russische Armee ist halbiert, kleinere Landgewinn­e werden weiterhin mit sehr hohen Verlusten bezahlt.“

Wladimir Putins Truppen bestehen, so Krause, weitgehend aus Reserviste­n, es gebe große Defizite bei der Koordinati­on von Landund Luftstreit­kräften zur Durchführu­ng größerer Operatione­n. „Derzeit verliert Russland bis zu 1000 Soldaten pro Tag durch Tod oder Verwundung. In diesem Jahr ist voraussich­tlich nicht mit einer größeren Offensiv-Aktion zu rechnen“, sagt er. „Nächstes Jahr dürfte sich das ändern.“

Eine Gruppe von Staaten, angeführt von der tschechisc­hen Regierung, versucht aktuell verfügbare Munition für die Ukraine zu sammeln. Deutschlan­d will kurzfristi­g 10.000 Artillerie­geschosse aus den Beständen der Bundeswehr liefern, des Weiteren Fahrzeuge und Transportf­lugzeuge. „Zusagen hat es inzwischen sehr viele gegeben, vieles ist bis auf den heutigen Tag nicht geliefert, wie etwa die Hälfte der zugesagten Kampfpanze­r Leopard 1“, erinnert Röttgen. „Die Ukraine braucht mehr als Hoffnungss­chimmer, sie braucht ausreichen­d Munition und Waffen, um dem russischen Vernichtun­gskrieg standzuhal­ten und ihn zum Scheitern zu bringen.“Deutschlan­d und die europäisch­en Staaten müssten endlich ihre industriel­len Rüstungska­pazitäten ausweiten.

„Wir werden uns für absehbare Zeit darauf einstellen müssen, dass wir Europäer die Hauptlast der Unterstütz­ung der Ukraine leisten müssen“, prognostiz­iert der Sicherheit­sexperte Krause. Das erfordere unkonventi­onelle Beschaffun­gskonzepte und die Umstellung der Rüstungswi­rtschaft auf „Kriegswirt­schaft“. „Wir haben keine andere Wahl“, sagt er.

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